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Nach dem Parteitag: Wohin die FDP reisen wird

Es ist kaum acht Wochen her, da wollte die FDP den Berliner Parteitag nutzen, um ihren Chef Philipp Rösler loszuwerden. Der hat das zu verhindern gewusst und lässt den Machtkämpfen um sich herum freien Lauf. So könnte sie aussehen, die neue FDP.

Von Antje Sirleschtov

Manchmal sind es die kleinen Gesten, die eine Welt verändern können. Verbeugungen, die aus Kriegsgegnern Partner machen, oder Kopfstöße, die einen fairen Kampf als bitterste Vernichtung in Erinnerung bleiben lassen. An diesem Sonntag ist es ein kleines Lächeln von Rainer Brüderle.

Der Pfälzer hat gerade eine ganze Stunde lang vor den FDP-Delegierten des Parteitages geredet. Sehr leise hat er gesprochen, sehr bedacht jedes Wort von seinen Zetteln aufgenommen. So gar nicht der FDP-Fraktionschef, den man kennt. Das „Brüllerle“, wie ihn manche nennen, weil er sein Publikum gern anschreit, die Gegner kraftvoll als „Kommunisten“ oder auch schon mal als „Weicheier“ deklassiert und derbe Witze reißt, auch Herrenwitze, wie man weiß.

Als Brüderle seine Zettel schließlich zusammenschiebt an diesem Sonntag im Neuköllner Hotel „Estrel“ und der Beifall der 600 Liberalen unten im Saal schon tost, da taucht plötzlich am Rande seines Blickfeldes Guido Westerwelle auf. Mehr als zehn Jahre hat der die FDP mit massiver Härte geführt, bevor die Methode W. selbst zum größten Problem der Liberalen geworden zu sein schien.

Nun plötzlich lächelt Brüderle. Nur eben so hingehaucht, sichtbar für die, die weit vorn stehen an der Bühne. Und er winkt ihn, Westerwelle, näher heran, ruft auch die anderen, die frisch gewählte Führungsmannschaft zu sich. Dass sich die Wachablösung erst jetzt vollzieht, zwei Jahre nach dem Ende der Ära Westerwelle in Rostock, teilt sich gar nicht recht mit. Aber es ist so. Die Details erzählen es.

Zwei Tage und eine ziemlich lange Nacht haben die FDP-Mitglieder an diesem Wochenende geredet und gewählt. Es gab zum Schluss keine herausragenden Sieger, aber richtig verloren hat auch niemand, der es nicht vorher schon erwarten durfte wie Dirk Niebel.

Randfiguren traten plötzlich ins Rampenlicht, Hoffnungsträger bekamen Dämpfer verpasst. Sonntagmittag stehen sie alle für das Schlussbild zusammen, mit blutigen Nasen, und klopfen sich gegenseitig den Staub aus den Kleidern. So geht sie zu Ende, die die One-Man-Show, bei der der Boss für sich in Anspruch genommen hatte: „Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, gibt es einen, der die Sachen regelt – und das bin ich.“ Ob das Schiff FDP bis zur Bundestagswahl in sechs Monaten noch Feuer unter den Kessel zu bringen und die Segel zu setzen weiß – man wird sehen. Aber mehr als nur einen Kapitän gibt es schon. Eine Mannschaft nämlich rauft sich da langsam zusammen. Es ist der letzte Schritt, um sich vom Personenkult und der Machterwartung um ihren früheren Vorsitzenden zu lösen. Und dass der Schritt nicht so triumphal ausgefallen ist, liegt daran, dass diejenigen, die ihm folgten, die Boy Group um Philipp Rösler, nun ihrerseits schon eine Achterbahnfahrt der Gefühle hinter sich haben.

Es ist noch keine acht Wochen her, da hätte kein Mensch mehr einen Pfifferling darauf verwettet, dass Rösler den nächsten Parteitag der FDP als Vorsitzender übersteht. Er kann der Partei keine neue Richtung verordnen, er hat die Führung nicht im Griff und seine Reden auf Kongressen oder anderen Parteitreffen wurden immer ideenärmer, lustloser. „Der muss weg“, da sind sich fast alle um ihn herum einig, und zwar je schneller, umso besser. Schließlich ist ja bekannt: Wer mit einem schwachen Vorsitzenden in die Bundestagswahl zieht, hat schon am Start verloren.

Dirk Niebel, der vor zwei Monaten als einziger öffentlich den Vorsitzenden Rösler kritisiert hatte, fällt durch.

An so manche „doofe Abende“ erinnert sich Rösler an diesem Samstag. Abende, an denen er sich grundsätzliche Fragen gestellt habe. Soll er alles hinschmeißen, Brüderle oder gar Christian Lindner die Führung übergeben? Rösler wusste von Anfang an, dass ihm Westerwelles Härte fehlt, dass es ihm nicht egal ist, was andere über ihn denken. Vor ein paar Tagen, als er in Berlin seinen 40. Geburtstag gefeiert hat, da wurde das noch mal deutlich. Wie dankbar er seinem Vater und seiner Frau war, wie wichtig es ihm ist, gemocht zu werden, während ihn in Berlin scheinbar alle für eine Fehlbesetzung halten.

Auch an diesem Wochenende hat Rösler wieder die Zweifel an seinem Führungsvermögen genährt. Denn er hat es auf eine interne Kraftprobe ankommen lassen. Vier Kandidaten hatten sich schon vor Wochen um die Posten seiner Stellvertreter beworben. Aber es gibt nur drei Stellen zu besetzen. Jedem war klar, dass einer als Verlierer übrig bleiben würde, was dessen Parteifreunde zu Hause als öffentliche Degradierung empfinden könnten. So was ist nie gut, wenn Bundestagswahlen anstehen und jeder auf Marktplätzen und in Shoppingcentern gebraucht wird. Rösler hätte als Vorsitzender seine Favoriten bestimmen und die Wahl im Vorfeld diplomatisch lenken können. Parteichefs haben viele Möglichkeiten dazu.

Aber der „nette Herr Rösler“, wie er sich selbst einmal genannt hat, erklärte die nahende Personalschlacht schon früh zum Zeichen „innerparteilicher Demokratie“. Und mehr noch: Eine Stunde vor der Wahl nannte er einen der Kandidaten, den FDP-Chef aus Sachsen, Holger Zastrow, dann auch noch flapsig einen „Dickkopf“. Plötzlich standen die Zeichen in Neukölln auf Sturm: Zastrow aus Sachsen gegen Birgit Homburger, die Landeschefin des ältesten und eines der größten Landesverbände, Baden-Württemberg. Ost gegen West, Mann gegen Frau: Finstere Gesichter, nur mit Not konnte die sonst so coole Frau Homburger in der Anspannung Tränen zurückhalten.

Fast zwei Stunden lang rannten Emissäre hin und her, rangen die Hände und redeten mit Engelszungen auf die gegnerischen Truppen ein. Und der Parteivorsitzende? Der steht lange mit hilflosem Gesicht hinter seinem Stuhl im Präsidium. „Der Philipp kann einfach niemandem wehtun“, versucht einer aus seiner Umgebung den Grund für den kalten Kriegshauch, der da durch den Saal wehte, plausibel zu machen. Am Ende gewinnt Zastrow. Die ostdeutschen Delegierten jubeln. Und Homburger muss sich mit dem hintersten Listenplatz im Parteipräsidium zufrieden geben. Ohne Gegenkandidat schafft sie die erforderliche Mehrheit trotzdem nur knapp.

Dirk Niebel, der vor zwei Monaten als einziger öffentlich den Vorsitzenden Rösler kritisiert hatte, fällt durch. Was von Rösler vielleicht doch irgendwie gewollt war, nur dass er es eben nicht selbst ist, der es erledigt. Niebel hatten die Baden-Württemberger zum Spitzenkandidaten ihres Heimatverbandes gewählt. Lange Gesichter in deren Reihen.

Wie soll man die Leute in Reutlingen oder Stuttgart jetzt dazu bewegen, jedes Wochenende für die FDP in den Wahlkampf zu ziehen?

So richtig übel nehmen die Liberalen ihrem Vorsitzenden die Kandidatenschlacht dann aber auch nicht. Schließlich hat Philipp Rösler vorher zu alter rhetorischer Stärke zurückgefunden. Und angeknüpft an eine Hoffnung, die seine FDP schon vor zwei Jahren mit ihm verbunden hatte: Die inhaltliche Öffnung. Weg vom „Mehr Netto vom Brutto“-Prinzip, hin zu „mehr Lebenswirklichkeit“.

Jetzt begründet Rösler die Einführung von Mindestlöhnen mit liberalen Grundwerten und gesteht ein, dass die FDP bei familienpolitischen Themen, die sich insbesondere an Frauen richten, nichts zu sagen hat und deshalb auch bei Frauen kaum punkten kann. So ausführlich spricht Rösler über Kinderbetreuung und Schulbildung und die, „seien wir doch mal ehrlich“, noch immer bestehende Doppelbelastung von Frauen in Zeiten von Kindern und Karriere, dass mancher erwartete, gleich werde der FDP-Chef die Einführung einer Frauenquote fordern. Was sich – ganz nebenbei – viele Frauen in der FDP längst wünschen, sich nur nicht laut zu sagen trauen. Weil Guido Westerwelle das immer doof fand. Und man wusste ja, was der Chef nicht wollte ...

Philipp Rösler jedenfalls hat seine Definition von liberaler Politik an diesem Wochenende deutlich gemacht: Man nehme jedes Alltagsproblem der Menschen ernst und frage sich, wie es aus liberaler Sicht gelöst werden kann.

Röslers Blick auf den politischen Liberalismus ist das schon lange, war es auch, als er vor zwei Jahren zum FDP- Chef gekürt wurde. In der Zwischenzeit ist es nur in Vergessenheit geraten. Vielleicht, weil Energiewende und Europakrise dazwischen kamen. Vielleicht aber auch, weil man vom Nachfolger Westerwelles irgendwie erwartet hatte, dass der sich ebenso hart gegen seine Widersacher stellen würde. Weil solche Kämpfe nicht Röslers Sache sind, hat er sich darin wohl aufgerieben.

Die Delegierten haben es ihm nun nicht nachgetragen und ihn mit einem guten Ergebnis im Amt bestätigt. Für den Bundestagswahlkampf haben sie mit Brüderle einen, der in Bierzelten Attacken gegen den politischen Gegner reiten kann, und mit Rösler einen, der nach vorne denkt.

Bleibt die Frage, welchen Platz da noch Christian Lindner einnehmen soll, den viele als jungen Hoffungsträger und künftigen FDP-Chef sehen.

Mit federndem Schritt strebte der 34-jährige Chef des größten Landesverbandes Nordrhein-Westfalen am Samstag zur Bühne und wirbelte dort wie ein junges Fohlen herum, das endlich frei herumtollen darf. Gestochen scharfe Attacken auf SPD und Grüne, kluge Analysen wechselten mit keckem Witz. Sieben Minuten Lindner, wie man ihn in der FDP kennt: Ohne ein Blatt Papier, ohne Selbstzweifel, ohne Netz auf dem Hochseil. Der Saal jubelte minutenlang, als Lindner schließlich zufrieden zurück zu seinem Platz strebte.

Als erster Stellvertreter des FDP-Vorsitzenden wollte er wieder zurück nach Düsseldorf fahren, und das mit mehr Stimmen im Gepäck als der Vorsitzende am besten. Doch als wenig später das Votum der Delegierten bekannt wird (knapp zehn Prozent weniger als Rösler), sieht der Hoffnungsträger auf einmal ziemlich ramponiert aus. Wie einer, der plötzlich doch nicht so gut in die Mannschaft passt. Vielleicht haben ihm die Liberalen nicht ganz verziehen, dass er vor gut einem Jahr medienwirksam sein Amt als Generalsekretär in Berlin hingeschmissen und Philipp Rösler in schwerer See im Stich gelassen hat. Auch, wenn er danach strahlend in Nordrhein-Westfalen die Partei vor dem Untergang bewahrte. Vielleicht vermuten manche hinter diesem selbstbewussten Strahlen aber auch einen Kapitänstypus, den sie gerade froh sind, losgeworden zu sein.

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