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Ein Anhänger der Opposition bei einer Demonstration in Kairo.

© dpa

Nach dem Putsch: Fehlstart in Ägypten

Die Bildung einer neuen Regierung in Ägypten hat einen schweren Rückschlag erlitten, der Machtwechsel in Ägypten gerät schon vier Tage nach dem Putsch ins Stocken. Und die Anhänger der verfeindeten Lager rufen zu neuen Massenprotesten auf.

Im Ägypten hat die Bildung einer Übergangsregierung gleich zu Beginn einen schweren Rückschlag erlitten. In der Nacht zu Sonntag musste Interimspräsident Adly Mansour die Nominierung des liberalen Friedensnobelpreisträgers Mohamed El-Baradei für den Posten des Ministerpräsidenten zurückziehen und seine Vereidigung absagen. Quergelegt hatte sich die salafistische Al-Nour-Partei, die sich bei dem Militärputsch dem Anti-Mursi-Lager angeschlossen hatte. „Eine Berufung Baradeis verletzte den Fahrplan, den die politischen und nationalen Kräfte vereinbart haben“, erklärte Parteichef Ahmed Khalil. „Meine Partei wird sich aus der Allianz zurückziehen, falls Baradei vereidigt wird.“  Ein anderen ranghohes Parteimitglied fügte hinzu: „Wir können nicht von nationaler Versöhnung sprechen und dann Mursis ärgsten Gegner zum Ministerpräsidenten machen.“ El-Baradei sei ein Technokrat und nicht in der Lage, die Spaltung auf den Straßen zu überwinden.

Für Sonntagabend riefen die Anhänger Mursis und der Oppositionsbewegung Tamarod die Ägypter erneut zu neuen Massenprotesten auf. Seit dem Militärputsch am Mittwochabend sind bei blutigen Zusammenstößen zwischen Anhängern und Gegnern Mursis landesweit bisher mindestens dreißig Menschen getötet und mehr als 1000 verletzt worden.

Parallel zeichnete sich am Sonntagabend eine Möglichkeit zur neuen Regierungsbildung ab. Interimspräsident wollte den Sozialdemokraten Siad Bahaa al-Din als neuen Ministerpräsidenten benennen, wie ein Sprecher des Präsidenten nach Angaben der Agentur Reuters sagte. El Baradei solle sein Stellvertreter werden. Das sehe eine Vereinbarung unter den neuen politischen Kräften des Landes vor. Für die beiden Personalvorschläge werde eine breite Unterstützung gesehen. Al-Din war Chef der ägyptischen Investment-Behörde unter dem früheren Präsidenten Hosni Mubarak. Er war zurückgetreten, bevor Mubarak gestürzt wurde.

Zu den schwersten Gewalttaten kam es auf der Kairoer Insel Roda im Stadtteil Manial. Dort verschanzten sich mehrere Stunden lang bärtige Scharfschützen der Islamisten auf dem Dach einer Moschee am Nilufer und feuerten auf die Anwohner, die ihnen zuvor den Durchmarsch zum Tahrir-Platz versperrt hatten. Zwölf Menschen starben, dutzende wurden verletzt, Hauswände sind von Kugeln durchsiebt. Polizei und Militär jedoch griffen in die Straßenkämpfe nicht ein, die vom Abend bis in die frühen Morgenstunden tobten. Tausende geschockter Bewohner folgten am Samstag dem Trauerzug für ihre getöteten Angehörigen und Freunde. „Die Muslimbrüder sind die Feinde Allahs“ skandierte die Menge und „Wer wird uns die Rechte für unsere Kinder zurückgeben?“

Grund für den Widerstand der Salafisten gegen Mohamed El-Baradei, den früheren Chef der Wiener Atomenergiebehörde IAEO, ist offenbar die Angst, in konservativen islamistischen Kreisen der Bevölkerung an Rückhalt zu verlieren. Die Al-Nour-Partei hatte bei den Parlamentswahlen 2011 ein Viertel aller Stimmen bekommen und kontrollierte zusammen mit den Muslimbrüdern im der ersten demokratisch gewählten Volksvertretung Ägyptens nahezu drei Viertel aller Mandate.

Die künftige Übergangsregierung soll die vom Militär ausgesetzte Verfassung überarbeiten und Neuwahlen des Präsidenten und des Parlaments vorbereiten. El-Baradei plädierte in einem Interview des „Spiegel“ dafür, spätestens in einem Jahr neu zu wählen. Wie zuvor in seinem Interview mit der BBC verteidigte er erneut das Vorgehen der Streitkräfte gegen Mursi, der autoritär regiert und gegen den Geist der Demokratie verstoßen habe. Die Entscheidung zum Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten sei schmerzlich gewesen. „Sie war außerhalb des legalen Rahmens, aber wir hatten keine andere Wahl“, sagte El-Baradei, der nicht von einem Putsch oder Staatsstreich sprechen wollte.

Auch die USA als wichtigster Geldgeber der ägyptischen Armee vermeiden offiziell den Begriff Putsch. Anderenfalls müssten sie die jährliche Militärhilfe von rund 1,3 Milliarden Dollar beenden, mit der Ägyptens Streitkräfte rund 80 Prozent ihrer Ausrüstung finanziert. US-Präsident Barack Obama verurteilte die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern und Gegnern Mursis. Der russische Präsident Wladimir Putin sieht Ägypten auf dem Weg in den Bürgerkrieg. Das Land sei dabei, Syrien in einen solchen Konflikt zu folgen, sagte Putin nach Angaben der Nachrichtenagentur RIA Nowosti. Außenminister Guido Westerwelle will die weitere Unterstützung für Ägypten von demokratischen Fortschritten abhängig machen. Die bisherigen Errungenschaften der Revolution wie Meinungsfreiheit, Demonstrationsrecht und Schutz vor staatlicher Willkür dürften jetzt nicht preisgegeben werden, sagte Westerwelle in Berlin.

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