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Befürworter des katalanischen Unabhängigkeitsreferendums demonstrieren am Dienstag in Barcelona.

© dpa

Nach dem Referendum in Katalonien: Was kann die Eskalation verhindern?

Katalonien strebt weiter in die Unabhängigkeit. Das heizt den Konflikt an. Was kann die EU tun? Fragen und Antworten zum Thema.

Nach dem Referendum vom Sonntag will Katalonien bald seine Unabhängigkeit ausrufen. Die EU-Kommission hat es abgelehnt, eine Vermittlerrolle in dem Konflikt zu spielen.

Auf welchem Standpunkt steht Brüssel?

Frans Timmermans, Vizepräsident der EU-Kommission erklärte am Mittwoch in Straßburg während der Debatte im Europa-Parlament erneut: „Die EU-Kommission wird den Konflikt um Katalonien weiterhin als eine interne Angelegenheit behandeln.“ Er müsse auf der Grundlage der Gesetze Spaniens beigelegt werden. Timmermans schlägt sich damit auf die Seite der Zentralregierung in Madrid. Er wirft der katalanischen Regionalregierung vor, nicht die Prinzipien der spanischen Verfassung zu respektieren. Wörtlich: „Es besteht Konsens hier im Haus, dass die Regionalregierung von Katalonien ignoriert hat, dass rechtsstaatlichen Prinzipien ohne wenn und aber der Vorrang eingeräumt werden muss.“

Was meint Timmermans damit?

Die spanische Verfassung sieht ein Referendum zum Austritt eines Landesteils aus dem Nationalstaat explizit nicht vor. Hinzu kommt, dass die spanische Justiz hat das Referendum als illegal bezeichnet hat. Auch der Fraktionschef der Liberalen im Europa-Parlament, Guy Verhofstadt, stellt die Legitimität des Unabhängigkeitsreferendums in Frage: „Es ist kein Zufall, dass die Organisatoren für die Gültigkeit nicht einmal eine Minimumbeteiligung definiert haben.“ Verhofstadt sprach von „Täuschung“ durch die Organisatoren des Referendums. Nur 42 Prozent der Katalanen beteiligten sich an der Abstimmung.

Welche Gründe gibt es noch für die Ablehnung der EU, sich als Vermittler einzuschalten?

Die Mitgliedsstaaten und damit die zentrale Regierung des jeweiligen Landes sind der Ansprech- und auch der rechtliche Vertragspartner der Kommission. Die Kommission hat zudem offiziell die Rolle, Hüterin der EU-Verträge zu sein. Es ist nicht im Sinne der auf Integration ausgerichteten EU-Verträge, wenn Mitgliedsstaaten zerfallen und die staatliche Funktionsfähigkeit eines Mitgliedslandes eingeschränkt wird. Letztlich steht in Spanien die Integrität eines Mitgliedsstaates auf dem Spiel. Daher ist die Forderung der Separatisten, Brüssel solle sich zum Vermittler im Streit machen, unrealistisch. Brüssel könnte nichts anderes tun, als in einem Konflikt um die Unabhängigkeit eines Teilstaates Partei für den Zentralstaat ergreifen. Am deutlichsten sprach dies der CSU-Politiker Manfred Weber, Chef der EVP-Fraktion im Europa-Parlament, in der Debatte an: „Die EU wird nicht eingreifen in einem internen Konflikt einer funktionierenden Demokratie in einem EU-Mitgliedsstaat.“ Weber geht sogar noch weiter: „Es handelt sich noch nicht einmal um einen internen Konflikt Spaniens, es ist ein interner Konflikt in Katalonien.“ Eine unverantwortliche Regionalregierung dürfe nicht damit durchkommen, dass sie die spanische Verfassung ignoriert.

Hat auch der rigorose Einsatz spanischer Polizeikräfte diese Position nicht erschüttern können?

Allerdings sitzt auf der EU-Ebene der Schock tief über die Bilder der Polizeigewalt in Katalonien. „Die Bilder machen traurig“, sagt ein Abgeordneter der EVP-Fraktion, zu der auch die deutschen Christdemokraten gehören. Die Polizei sei mit erschreckender Gewalt gegen Menschen vorgegangen, die eben keine Randalierer waren, sondern friedlich an einer Abstimmung teilnehmen wollten. Auch Timmermans machte deutlich, dass die Kommission den Einsatz kritisch sieht: Er sprach von traurigen Bildern. „Gewalt ist nie eine Lösung.“ Er sprach aber letztlich dem Staat nicht das Recht ab, dem Prinzip der Rechtstaatlichkeit durch den Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung zu verhelfen: „Manchmal bedarf es auch des angemessenen Einsatzes von Gewalt,“ sagte er. Und im Hinblick auf die katalanischen Separatisten warnte er: „Eine Meinung wird nicht dadurch wertvoller, weil sie besonders laut vorgetragen wird.“

Welche Folgen hätte eine Unabhängigkeit für die EU-Mitgliedschaft?

In den EU-Verträgen ist die Abspaltung eines Teils eines EU-Mitglieds nicht geregelt. Offizielle Position Brüssels ist aber, dass Katalonien dann nicht mehr EU-Mitglied wäre. Die EU-Kommission leitet dies aus der Prodi-Doktrin von 2004 ab. Der damalige Kommissionspräsident Romano Prodi hatte erklärt, ein Gebiet, das sich von einem Mitgliedsland abspalte und unabhängig werde, sei fortan „ein Drittstaat“. Die europäischen Verträge würden „vom Tag seiner Unabhängigkeit an auf seinem Gebiet keine Anwendung mehr finden“.

Könnte Katalonien EU-Mitglied werden?

Ja. Nach Art. 49 EU Vertrag kann „jeder europäische Staat“ Mitglied der EU werden, sofern er europäische Werte wie Menschenrechte, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Minderheitenrechte achtet.

Könnte Madrid eine solche Mitgliedschaft verhindern?

Ja, das ist möglich, denn über die Aufnahme eines neuen Mitglieds in die EU muss der Rat einstimmig entscheiden.

Was sagt das Völkerrecht in Bezug auf Bestrebungen nach Unabhängigkeit?

Ein Recht auf Sezession gibt es nicht, ein unter allen Umständen garantiertes Recht auf staatliche Einheit allerdings auch nicht. Auch Europas jüngere Geschichte zeigt: Fordern Vertreter einer Volksgruppe einen neuen Staat, spielt weniger das dort bislang geltende Recht, ja nicht mal das Völkerrecht eine Rolle – sondern die politischen, gegebenenfalls militärischen Kräfteverhältnisse. Welche Seite weiß wie viele Wähler, Aktivisten, Unterstützer hinter sich? Wer hat Verbündete im Ausland? Wer kann sich auf internationaler Bühne behaupten? Grob vereinfacht geht es auf der einen Seite um das Selbstbestimmungsrecht – also den Anspruch, denjenigen, die sich aus sprachlichen, kulturellen, wie auch immer gearteten historischen Gründen als Nation fühlen, auch einen Staat zu gewähren. Auf der anderen Seite steht der Grundsatz territorialer Integrität, also die Unverletzlichkeit der Grenzen eines Staates – schon um des kostbaren Friedens willen.

Welche ähnlichen Fälle hat es in Europa gegeben?

Nicht nur in Asien, wo sich die irakischen Kurden nach Jahrzehnten der Unterdrückung für unabhängig erklären wollen, sondern auch in Europa gibt es aktive Sezessionsbewegungen. Schotten wollen sich von Großbritannien spalten, Südtiroler von Italien. Nach der Wende trennten sich Tschechen und Slowaken einvernehmlich – ein seltenes Beispiel friedlicher Sezession. Jahrelange Kämpfe begleiteten den Zerfall Jugoslawiens. Im Juni 1991 verkündeten Slowenien und Kroatien einseitig ihre Unabhängigkeit vom jugoslawischen Bundesstaat. Mit Verweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker erkannte die deutsche Bundesregierung die neuen Staaten an, gefolgt von den meisten europäischen Regierungen. Bis 1995 dauerten die militärischen Auseinandersetzungen mit Serbien. Gemeinhin wird international anerkannt, wenn sich eine Volksgruppe abspaltet, die zuvor unterdrückt wurde – nur auch das ist nicht immer so. Während die deutsche Bundesregierung auch Kosovo als Staat anerkannt hat, tut Spanien das nicht. Die Gründe dafür liegen in der spanischen Innenpolitik. Es soll verhindert werden, dass sich Katalanen, aber auch die Basken auf das Beispiel Kosovo berufen können.

Wie kann die spanische Regierung weiter vorgehen?

Artikel 155 der spanischen Verfassung erlaubt die zwangsweise Entmachtung der katalanischen Regionalregierung, wenn die dortige Führung fortgesetzt gegen Gesetze sowie die Verfassung verstößt und „schwerwiegend das allgemeine Wohl Spaniens verletzt“. Damit könnte Spaniens Regierung, nach Billigung durch den spanischen Senat, die Region befristet unter ihre Kontrolle stellen. Und möglicherweise sogar das katalanische Parlament auflösen, auch wenn dieser Extremfall unter Verfassungsrechtlern umstritten ist. Der in Artikel 155 beschriebene Ernstfall wird vermutlich spätestens dann eintreten, wenn Kataloniens Separatisten die einseitige Unabhängigkeitserklärung verabschieden. Dies werde, kündigte der katalanische Ministerpräsident Cables Puigdemont in einem Interview mit dem britischen TV-Sender BBC an, nur noch eine Frage von Tagen sein.

Was ist bisher in Barcelona über die nächsten Schritte beschlossen worden?

Das vom katalanischen Parlament bereits vor dem Referendum beschlossene „Abspaltungsgesetz“ sieht unter anderem die Ausarbeitung einer Verfassung sowie Parlamentswahlen innerhalb eines Jahres vor. Die Liste der Aufgaben wäre lang. Das neue Land müsste darüber hinaus eine eigene Währung schaffen, es müsste Geld und eigene Reisepässe drucken lassen. (mit dpa)

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