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Über dem Bundeskanzleramt in Berlin ziehen dunkle Regenwolken auf.

© dpa

Nach dem Röttgen-Rauswurf: Merkels schwarz-gelbes Himmelfahrtskommando

Norbert Röttgen drohte für Bundeskanzlerin Angela Merkel zur "Lame Duck" zu werden und das kann sie gar nicht gebrauchen. Aber ihr Rauswurf Röttgens zeigt auch: Es geht an ihre Substanz.

Angela Merkel hat es ja auch drauf ankommen lassen. Für Mittwochabend hatte sie sich ein Himmelfahrtskommando ins Kanzleramt bestellt. Ein gutes dutzend schwarz gekleideter Herren vom "Himmelfahrtsverein" aus Chemnitz warteten mit ihren schwarzen Zylindern und den weiß-grün gestreiften Schärpen vor dem Kanzleramt und staunten, als eine ganze Meute Kameraleute und Journalisten an ihnen vorbeimarschierte. Nun, sie ahnten schon, dass die nicht wegen ihnen da waren, sondern eher wegen des anderen Himmelfahrtskommandos - dem schwarz-gelben. Denn Angela Merkel hat nur drei Tage nach dem Wahl-Desaster in Nordrhein-Westfalen ihren Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) entlassen. Es ist kein Rücktritt Röttgens. Ganz im Gegenteil. Er wollte weitermachen, sie hat ihn rausgeschmissen. Zu niederschmetternd war Röttgens Debakel in Nordrhein-Westfalen und das Thema Energiewende ist nicht nur zu groß, um es einem derart angeschlagenen Minister zu überlassen. Es ist auch zu sehr mit ihr persönlich verbunden, als dass sie es in den Händen eines Mannes lassen kann, der nur noch als "Mister 26 Prozent" herumgereicht wird. Merkel war es, die diese Wende hingelegt und gestartet hat.

Die Wahl in NRW in Bildern:

Schon einmal hätte sie in einer ähnlichen Situation sicher am liebsten genauso reagiert, aber da konnte sie nicht, weil der Kabinettskollege Mitglied der Liberalen ist: Guido Westerwelle. Norbert Röttgen wäre im Kabinett Merkels nur eine weitere "Lame Duck" geworden. Und sie kann derzeit wohl alles gebrauchen - nur keinen Entenmarsch.

Sie brauchte viel mehr einen kleinen Befreiungsschlag. Den erhofft sie sich von Peter Altmaier. Der gehört zum engsten Kreis der Merkel-Vertrauten. Er ist an Wahlabenden stets einer der ersten, der das Wahlergebnis ins rechte Merkel-Licht rückt - fast egal, wie verheerend es ist. Nur am Sonntag konnte und wollte auch er nichts mehr beschönigen. Zu eindeutig war das Debakel in Nordrhein-Westfalen. Auf Twitter fliegen Altmaier beinahe fraktionsübergreifend die Herzen aller zu, ist er doch einer derjenigen, die das Social-Media-Handwerk in der Bundespolitik am besten beherrschen. Als Umweltpolitiker hat er sich zwar noch keinen großen Namen gemacht, aber als Netzwerker mit guten Kontakten und das kann bei dem Mega-Thema Energiewende von großem Vorteil sein.

Wer aber folgt nun Peter Altmaier auf den Posten des Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers? Was sich nach verstaubter Amtsstube anhört, ist tatsächlich ein zentraler Posten in der Machtkonstruktion von Angela Merkel. Wer diesen Posten inne hat, muss viel kommunizieren - nach innen und außen - und viel organisieren. Im Idealfall ist er die rechte Hand des Fraktionsvorsitzenden. Ein Name wird immer wieder genannt: Peter Hintze. Der ehemalige CDU-Generalsekretär und derzeitige Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium gilt als Kandidat - weil er organisieren und kommunizieren kann. Und er ist aus Nordrhein-Westfalen. Landsmannschaftliche Fragen spielen in der Politik keine unwesentliche Rolle, weil sie, geschickt verteilt, eine breite Basis sichern. Nun verliert die NRW-CDU mit Röttgen einen Mann - bleiben zwar noch Verteidigungsminister Thomas de Maizière und als Chef des Bundeskanzleramts und Minister für besondere Aufgaben, Ronald Pofalla. Aber trotzdem brauchen die Nordrhein-Westfalen nun eine Kompensation - vermutlich auf dem Posten des Parlamentarischen Geschäftsführers. Nur muss dieser wiederum mit Fraktionschef Volker Kauder gut klar kommen. Und da könnte das Problem liegen. Das Verhältnis zwischen Hintze und Kauder gilt zumindest als nicht ganz unproblematisch. Schon einmal hat sich Kauder auf dieser Position auf einen eingelassen, mit dem er nicht konnte: Norbert Röttgen.

Das Thema NRW könnte für Merkel aber auch aus einem anderen Grund gefährlich werden. Denn der Landesverband NRW ist nicht sonderlich angetan vom Rausschmiss Röttgens. Gut zu sprechen sind sie auf ihren Spitzenkandidaten a.D. zwar auch nicht, aber ihn als Minister einfach rauszuschmeißen, das geht ihnen dann doch zu weit. Und die NRW-CDU hat ein gutes Gedächtnis, das für Merkel irgendwann nochmal zum Problem werden könnte. Nicht jetzt, weil sie in Düsseldorf zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind. Aber dann, wenn Merkel es vielleicht gar nicht gebrauchen kann.

Absteiger und Hoffnungsträger in der CDU in Bildern:

Der Rauswurf Röttgens ist auch der letzte Beleg dafür, dass die heftige Wahlniederlage in NRW eben nicht nur ein Problem Röttgens war, sondern auch zum Problem Merkel geworden ist. Für Röttgen ist es ein Sturz ins politisch Uferlose. Galt er doch einst als heißer Anwärter auf Merkels-Nachfolge, jetzt ist er nur einer von vielen, die Merkel aus dem Weg geräumt und ins Nirwana gestürzt hat. Nur Merkel geht es jetzt an die Substanz. Viele personelle Manöver kann sie sich nicht mehr leisten, denn nahezu alle engen Vertrauten sitzen nun schon bei ihr am Kabinettstisch. Ihre personellen Reserven sind aufgebraucht, ob es auch ihre politischen sind, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Die Aufgaben sind gewaltig und vor allem konfliktträchtig: Betreuungsgeld, Vorratsdatenspeicherung, Energiewende - und nicht zuletzt die Euro-Krise, die mit der Neuwahl der Griechen im Juni eine ganz neue Wendung bekommen kann. Sie braucht dafür im Grunde ein Kabinett der Verlässlichkeit und Stärke. Im Moment aber hat sie eines der Zwietracht und Blockade.

Mit Peter Altmaier gewinnt sie immerhin für eines der Themen einen, dem zuzutrauen ist, dass er es erfolgreich angehen kann. Er ist auch ein geschickter Vermittler - nicht nur, wenn er, wie in der Euro-Krise, renitente Unionsabgeordnete bekocht. Doch am Ende wird es jetzt noch mehr auf die Chefin selbst ankommen. Die Zeit des Abwartens, Taktierens und Auslotens ist vielleicht nicht vorbei, aber es wird nun deutlich schwieriger. Es sind die Tage der Entscheidung und Merkel wird, ob sie will oder nicht, viel stärker in Konflikte eingreifen und sich entscheiden müssen, auf welcher Seite sie steht - und das möglicherweise bevor feststeht, welche Seite wirklich gewinnt.

Das Himmelfahrtskommando Schwarz-Gelb geht mit dem Rauswurf Röttgens nun also erstmal in eine neue Runde - mit veränderter Besetzung, aber merklich ausgedünnt.

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