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Politik: Nach dem Scheitern siegen

Von Claudia Keller

Eigentlich müssten die Kirchen an Ostern voll sein, gerade dieses Jahr. Denn die Geschichte des Jesus von Nazareth, die dort verhandelt wird, beschreibt im Kern eine Situation, die auch uns heute betrifft. Es ist die Geschichte eines Menschen, der scheitert. Jesus kann sich nicht gegen die römischen Besatzer durchsetzen und wird erniedrigt, seiner Ehre beraubt und aus der Gemeinschaft ausgestoßen. Zuletzt wird er hingerichtet. In Jesus Christus ist der christliche Gott aus seiner übermenschlichen Höhe herabgestiegen und Mensch geworden. Es ist der Christengott, der da außerhalb von Jerusalem, verlassen und verloren, am Kreuz hängt. Dieser Christengott zieht nicht als König nach Jerusalem ein und übernimmt die Macht. Er macht uns vor, wie man scheitert. Er ist ein Gott der Loser, der Verlierer.

Andere Religionen denken sich ihren Gott als strahlenden Sieger. Muslimische Jungs im Wedding lachen, wenn sie in einer Kirche „diesen Typ da am Kreuz“ sehen. Auch die Christen selbst konnten sich lange Zeit nur schwer mit ihrem erniedrigten Gott abfinden und stellten Jesus mit erhobenem Haupt am Kreuze dar oder betonten seine Fähigkeiten als Heiler. Die Kreuzigung geriet dann zu einer Art Missgeschick.

Scheitern ist das große Tabu der Moderne, schrieb der amerikanische Soziologe Richard Sennett. Gescheitert zu sein, ist aber längst nicht mehr nur ein Problem von wenigen. Über fünf Millionen Arbeitslose sind gescheitert bei dem Versuch, ihren Job zu behalten oder einen zu finden. Über zehn Prozent der Berliner Schüler scheitern dabei, einen Schulabschluss zu machen. Die, die noch Arbeit haben, ahnen, dass es auch mit ihnen schnell bergab gehen kann. Die Angst, bald überflüssig zu sein, sitzt mittlerweile einer wachsenden Mehrheit im Nacken. Lösungen sind nicht in Sicht, Ideen werden nur zaghaft ausprobiert, denn vor lauter Angst, dass es schief gehen könnte, trauen sich auch Politiker immer weniger zu – obwohl längst bekannt ist, was getan werden müsste. Dabei steckt im Scheitern eine enorme Chance.

Anders als es uns vergangenes Jahr Mel Gibson in seinem Passionsfilm weismachen wollte, endet die Geschichte nicht mit der Kreuzigung, sondern mit der Auferstehung. Auf den Karfreitag folgt Ostersonntag, auf die Erniedrigung die Erlösung, ein neuer Aufbruch. Darin steckt die ungeheuerliche Kraft des Christentums: Wir können Angst in Zuversicht verwandeln und aus dem Scheitern zu neuen Zielen aufbrechen. Das geht allerdings nur, wenn man sich erst einmal eingesteht, dass vieles schief gelaufen ist, und man bereit ist, sich zu verändern. Sich selbst Fehler einzugestehen, gehört aber zu dem Schwierigsten überhaupt, solange alle immer nur Sieger sein wollen, solange alle immer nur Sieger sein müssen, um dazuzugehören – solange uns die Bilder und Vorstellungen von Moderne in unseren Köpfen dazu zwingen, Helden zu sein.

Nur noch wenige werden als Sieger in unsere Gesellschaft hineingeboren. Für die allermeisten gilt, dass erfolgreich erst wird, wer Niederlagen überwinden lernt und den Mut findet, noch einmal von vorne anzufangen, ob als Arbeitsloser oder Unternehmer, Familienvater oder Schulabbrecher. Wie das geht, haben uns die Christen vor 2000 Jahren gezeigt. In der ausweglos scheinenden Situation nach der Kreuzigung haben sie weitergekämpft, bis sie sich durchgesetzt hatten.

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