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Ein britischer Polizist vor dem Haus des verstorbenen Beresowksi.

© Reuters

Update

Nach dem Tod des Kreml-Kritikers: Polizei: Beresowski wohl nicht Opfer eines Verbrechens

Er galt lange Zeit als Russlands Staatsfeind Nummer 1: Nach dem Tod des Kreml-Kritikers Boris Beresowski ermittelt die britische Polizei. War es ein natürlicher Tod, ein Selbstmord – oder sogar Mord? Für letzteres gibt es laut Polizei bislang keine Belege.

Der russische Oligarch Boris Beresowski ist nach ersten Erkenntnissen der Polizei nicht Opfer eines Verbrechens geworden. „Wir haben nichts, was nach derzeitigem Stand darauf hindeutet, dass Dritte beteiligt waren“, sagte Chief Inspector Kevin Brown von der ermittelnden Thames Valley Police am Sonntag. Es wäre aber falsch, vor dem endgültigen Ergebnis der Obduktion über die Todesursache zu spekulieren, betonte er.

Die Polizei sperrte die Villa des russischen Oligarchen Boris Beresowski in der Mill Lane in Ascot die ganze Nacht zum Sonntag weitläufig ab und schickte am Sonntagmorgen Sonderbeamte, die das Haus auf Spuren von chemischen und biologischen Kampfstoffen und sogar nukleares Spaltmaterial durchsuchten. Erst am Sonntagmittag wurden die Sperren wieder abgebaut.

Wieso ermittelt die Polizei?

Nach einer Serie mysteriöser Todesfälle von Exilrussen in Großbritannien, darunter Alexander Perepilichny, ein Kronzeuge im laufenden, posthumen Steuerbetrugsprozess gegen den in russischer Haft ums Leben gekommenen Sergei Magnitsky und die spektakuläre Ermordung des russischen Doppelagenten Alexander Litvinenko 2006 in London durch eine tödliche Dosis Polonium-210, wollte die Polizei kein Risiko eingehen. „Wir mussten sicherstellen, dass alle möglichen Vorsichtmaßnahmen ergriffen wurden“, so Polizeiinspektor Simon Bowden.

Der Tod des berühmtesten Exilrussen in Großbritannien sei weiterhin „ungeklärt“, hieß es am Sonntag. Erst nach der Polizeidurchsuchung wurde die Leiche Beresowskis aus dem Haus entfernt. Einige Quellen hatten am Samstagabend, nachdem ein Schwiegersohn Beresowskis dessen Tod auf Facebook bekannt gegeben hatten, schnell von einem Selbstmord gesprochen. Auch Beresowskis russischer Anwalt Alexander Dobrowinski sprach bei Rossia 24 , dem Nachrichtenkanal des Staatsfernsehens, von Selbstmord. Er habe aus London einen Anruf bekommen, wonach sein Mandant „sich umgebracht hat“, sagte er. Wer der Anrufer war, sagte er nicht.

Doch ein Freund des Toten, Demian Kudriavtsev, sagte russischen Nachrichtenagenturen, es gebe keine äußeren Anzeichen eines Selbstmords.

Welche Probleme hatte Beresowski?

Das Milliardenvermögen, das der einstige „Pate des Kreml“ angesammelt hatte, war schon lange abgeschmolzen. Er musste wegen Depressionen eine Spezialklinik aufsuchen, auch von Herzinfarkten des 67-Jährigen war die Rede. Ausgerechnet die englische Justiz, auf die er so große Stücke hielt, fügte ihm die schwersten Schläge zu. Einer der Gründe, warum er 2000 in Großbritannien um politisches Asyl ersuchte und sich dort niederließ, sei das englische Rechtssystem gewesen, sagte er vor Jahren dem Guardian. Englische Gerichte hatten wiederholt Auslieferungsgesuche Russlands abgelehnt.

Aber als Beresowski seinen ehemaligen „Schützling“ Roman Abramowitsch in London wegen Erpressung und Betrug auf rund 3,5 Milliarden Euro Schadenersatz verklagte, wurde er enttäuscht. Er verlor den zweijährigen Prozess gegen den Besitzer des FC Chelsea auf ganzer Front und musste Abramowitsch noch rund 41 Millionen Euro bezahlen – über 117 Millionen Euro betrug die gesamte Prozesskostenrechnung. Schlimmer noch, der Richter bescheinigte Beresowski, ein „unzuverlässiger Zeuge“ zu sein, der „Wahrheit als flexiblen Begriff“ betrachte.

Ein englisches Gericht verdonnerte ihn auch im teuersten Scheidungsurteil der englischen Prozessgeschichte zu Zahlungen von zwischen 170 und 290 Millionen Euro an seineEx-Frau Galina, mit der er zwei Kinder hat. Villen, Häuser, der Rolls Royce, die Jacht, Londoner Stadtwohnungen musste Beresowski verkaufen. Erst letzte Woche hatte er im Auktionshaus Christie’s Kunst zur Versteigerung eingeliefert, unter anderem ein Lenin-Porträt von Andy Warhol. „Er lebte am Ende in Armut und konnte es nicht ertragen“, wird sein Rechtsanwalt, Alexander Dobrowinski, zitiert. In seinem letzten Interview sagte der einstige Fädenzieher des Kreml dem „Forbes Russia Magazine“, dass er ein gebrochener Mann sei. Sein Leben habe seinen Sinn verloren, er wolle nach Russland zurückkehren und habe „unterschätzt“, wie „wichtig“ Mütterchen Russland für ihn sei. In einem handschriftlichen Brief an seinen größten Widersacher, Wladimir Putin, soll er vor zwei Monaten Fehler eingestanden und gebettelt haben, man möge ihn ins Mutterland Russland zurückkehren lassen.

Auch Kreml-Kritiker ziehen bisher keine Parallelen zum Fall des vergifteten Litwinenko

Welche Rolle spielte Boris Beresowski in der russischen Politik?

Er war einer der Intimfeinde von Präsident Wladimir Putin. Boris Beresowski, die graue Eminenz der russischen Politik, als der schwache Herrscher Boris Jelzin in den Neunzigerjahren das Sagen hatte. Beresowski, damals der reichste Mann Russlands, der auch dem Jelzin-Clan als Vermögensberater diente, soll Putin als Nachfolger ins Spiel gebracht und dazu bei den Parlamentswahlen Ende 1999 auch den Vorläufer der heutigen Kremlpartei „Eignes Russland“ auf Kiel gelegt und mit einer Anschub-Finanzierung versorgt haben. Doch dann kam Beresowski den Geschäftsinteressen von Putins Paladinen in die Quere. Einem drohenden Prozess wegen Betrugs, Geldwäsche und versuchten Umsturzes entzog er sich durch Flucht nach Großbritannien, wo er später auch politisches Asyl bekam.

Von London aus unterstützte er die tschetschenischen Separatisten und die außerparlamentarische liberale Opposition in Moskau, machte gegen die Haftstrafen für Michail Chodorkowski und die Quasi-Verstaatlichung von dessen einstigem Vorzeige-Unternehmen Jukos mobil und ließ auch sonst an Putin kein gutes Haar. Das sorgte für erhebliche Spannung im russisch-britischen Verhältnis. Zumal Beresowski Moskau auch für den Tod von Ex-KGB-Offizier Alexander Litwinenko verantwortlich machte, der 2006 in London mit radioaktivem Polonium vergiftet wurde. Litwinenkos Hinterbliebenen zahlte Beresowski eine Art Leibrente, bis er selbst in finanzielle Schwierigkeiten geriet.

Gibt es Verbindungen zum Fall Litwinenko?

Der Fall Litwinenko ist bisher nicht aufgeklärt, ebenso wenig wie andere Morde an prominenten Putin-Kritikern, allen voran der Anschlag auf die kritische Journalistin Anna Politkowskaja, die im Oktober 2006 erschossen wurde. Beresowski zeigte in der Causa Politkowskaja wie im Fall Litwinenko mit dem Finger auf Putin und dessen Entourage.

Parallelen zu Beresowskis eigenem Tod indes vermeiden in Russland sogar extrem risikofreudige Verschwörungstheoretiker und die auf Krawall abzielende Boulevardpresse. Nicht aus Angst vor Rache, sondern, weil es nach ersten Erkenntnissen nur wenig Sinn macht. Beresowski war, lange bevor er Samstag leblos in seinem Haus im Londoner Stadtteil Surrey aufgefunden wurde, politisch wie wirtschaftlich erledigt. Sein Tod kommt dem Kreml sogar höchst ungelegen: Weil er Medien die Steilvorlage liefert, die halb vergessenen Morde an Regimegegnern erneut an die große Glocke zu hängen und den Bogen zur weiteren Marginalisierung der russischen Zivilgesellschaft zu schlagen, die Putin seit der Rückkehr in den Kreml zügig vorantreibt.

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