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Ex-Präsident Mursi im Gerichtssaal nach dem Urteilsspruch.

© Reuters

Nach dem Todesurteil gegen Ägyptens Ex-Präsidenten Mursi: Strafjustiz in Kairo bringt Deutschland in Zugzwang

Mit dem Todesurteil gegen Ex-Präsident Mursi stößt Ägypten den Westen ein weiteres Mal vor den Kopf. In eine schwierige Lage wird auch Deutschland gebracht - dort wird der derzeitige Präsident Sissi am 3. Juni zum Staatsbesuch erwartet - einen Tag nach der offiziellen Urteilsverkündung.

Das Todesurteil gegen den vom Militär gestürzten islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi und 105 Mitangeklagte hat international scharfe Kritik ausgelöst. „Wir sind tief besorgt“, erklärte ein Sprecher des US-Außenministeriums und kritisierte erneut „die Praxis von Massenprozessen und Massenurteilen, die unvereinbar sind mit Ägypten internationalen Verpflichtungen und einem Rechtsstaat“. Außenminister Frank-Walter Steinmeier verlangte eine Überprüfung, ob der Richterspruch nach Recht und Gesetz gefallen sei. „Für uns ist das in Deutschland eine Form der Strafe, die wir kategorisch ablehnen“, sagte er in der jordanischen Hauptstadt Amman. Amnesty International nannte den Prozess „grotesk unfair“ und den Richterspruch einen Beleg für „den kläglichen Zustand der Strafjustiz im Land“. Die Todesstrafe sei zum Lieblingswerkzeug der ägyptischen Mächtigen geworden, um die politische Opposition zu eliminieren. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kritisierte, Ägypten kehre zu alten Zeiten zurück und warf den westlichen Staaten vor, den Militärputsch von Ex-Feldmarschall Abdel Fattah al-Sissi zu ignorieren.

Beratung durch Scharia-Experten

Nach ägyptischem Recht müssen die von dem Gericht vorgesehenen Todesurteile jetzt dem ägyptischen Obermufti vorgelegt werden, der als Scharia-Experte ein Beratungsrecht hat. Das endgültige Verdikt soll dann am 2. Juni verkündigt werden. Es kann in einem Revisionsprozess angefochten werden. Das Gericht warf den Angeklagten vor, die zu Beginn des Arabischen Frühlings vorübergehend festgenommen worden waren, zusammen mit rund 20.000 Kriminellen am 28. Januar 2011 aus dem Gefängnis ausgebrochen zu sein. Mubarak hatte damals gezielt das Wachpersonal abgezogen und die gesamte Polizei von den Straßen beordert, um Chaos zu säen und seine aufständische Bevölkerung einzuschüchtern.

Sollte das endgültige Todesurteil gegen Mohamed Mursi am 2. Juni verkündet werden, wäre das einem Tag vor dem Staatsbesuch von Präsident Sissi in Deutschland. Die heikle Reise, für die die ägyptische Führung monatelang antichambriert hat, ist im politischen Berlin schon jetzt wegen der unverändert krassen Menschenrechtsverstöße des Regimes umstritten. Das Mursi-Todesurteil wird die innenpolitischen Spannungen in Ägypten weiter eskalieren lassen. In den ersten drei Monaten 2015 erlebte das Land genauso viele Anschläge wie im gesamten Jahr 2014. Am Samstag erschossen Terroristen auf dem Sinai zwei Richter und einen Staatsanwalt, die sich in El-Arish auf dem Weg zum Gericht befanden. Am Sonntag ließ die Justiz in Kairo sechs Männer hinrichten, die von einem Militärgericht zum Tode verurteilt worden waren, obwohl zwei von ihnen zum Zeitpunkt der ihnen zur Last gelegten Terrortaten im Gefängnis saßen. Dagegen könnte Ex-Diktator Hosni Mubarak bald auf freien Fuß kommen, nachdem ein Gericht seinen Prozess wegen der über 850 erschossenen Demonstranten eingestellt hatte, und der Ex-Diktator seine dreijährige Haftstrafe für Unterschlagung demnächst abgesessen haben wird.

Fast 6000 Menschen als Terroristen verhaftet

Die bizarre Härte des Mursi-Urteils und der endgültige Verkündigungstermin 24 Stunden vor Sissis geplantem Deutschlandbesuch deuten aber auch darauf hin, dass sich die Konflikte innerhalb des Machtkartells von Kairo verschärfen. Denn mit ihrem Agieren untergräbt die Justiz demonstrativ die Bemühungen Sissis, Ägypten in Europa wieder salonfähig zu machen. Auch hat der Präsident inzwischen in zahlreichen Interviews mit internationalen Medien versprochen, sich für Haftentlassung und Begnadigung junger Demokratieaktivisten einzusetzen, ohne dass tatsächlich etwas geschieht. Im Januar geriet Sissi nach der Erschießung der Demonstrantin Shaimaa El-Sabagh durch die Polizei mit dem damaligen Innenminister Mohamed Ibrahim aneinander und forderte ihn im direkten Gespräch zum Rücktritt auf. Mohamed Ibrahim jedoch weigerte sich, so dass Sissi seine Absetzung erst sechs Wochen später in einer größeren Kabinettsumbildung durchsetzen konnte. Seitdem häufen sich in auffälliger Weise polizeikritische Berichte in der ansonsten handzahmen und regimetreuen Presse. Das willkürliche Vorgehen der Sicherheitskräfte jedoch ist ungebrochen. Allein in den Monaten Januar bis April wurden nach Angaben der unabhängigen „Tahrir Institute for Middle East Policy“ fast 6000 Menschen als angebliche Terroristen verhaftet. Insgesamt beläuft sich die Zahl der Gefangenen seit dem Sturz von Mursi auf mehr als 41.000, darunter Frauen und Minderjährige. Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen wurden bisher mehr als hundert Menschen in Verhören zu Tode gefoltert.

Anfang der Woche beschlagnahmte die Staatssicherheit eine Ausgabe der Zeitung „Al Watan“, die eine 15-seitige Sonderbeilage mit dem Titel „Sieben Kräfte stärker als Sissi“ enthielt. Als Faktoren, die Sissis Macht begrenzen, wurden aufgezählt Korruption, Geschäftsleute, geheime Geschäftemacher, soziale Medien und traditionelle Medien, das Innenministerium sowie Individuen mit Einfluss. In einem begleitenden Editorial der konfiszierten Zeitung stand zu lesen: „Dieses Land bewegt sich in keine gute Richtung. Es gibt sehr starke Beweise dafür, dass wir immer noch dort stehen, wo wir am 24. Januar 2011 waren. Das einzige heute ist – zerfetzen, verbieten und unterdrücken.“

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