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Politik: Nach dem Vorbild Ägypten

Beim Weltsozialforum begehrt jetzt auch die afrikanische Zivilgesellschaft auf

Berlin - „Freiheit für Ägypten“, forderten hunderte Demonstranten am Freitagmittag. Nicht in Kairo – sondern in Dakar, der Hauptstadt des Senegal, knapp 5200 Kilometer südwestlich vom Tahrir-Platz, der in den vergangenen 19 Tagen zum Zentrum der Weltöffentlichkeit wurde.

Dass in Dakar seit vergangenem Montag geschätzt 40 000 Globalisierungskritiker und Aktivisten aus aller Welt beim Weltsozialforum zusammentrafen, hat die Weltöffentlichkeit kaum bemerkt. Dabei, das berichten Teilnehmer, konnte man auch beim mittlerweile zehnten Treffen – ursprünglich als Gegenentwurf des Weltwirtschaftsforums in Davos gegründet - spüren, wie der Funke aus Nordafrika überspringt. „Die politischen Prozesse in der arabischen Welt strahlen nach Dakar aus“, sagte Andreas Bohne vom Solidaritätsdienst International, der in den vergangenen Tagen am Forum teilnahm. Immer wieder seien in den verschiedenen Veranstaltungen undemokratische und diktatorische Regierungen angeprangert worden. „Unter den Teilnehmern war eine optimistische Aufbruchsstimmung zu spüren“, sagte Hugo Braun von Attac dem Tagesspiegel. Bei Solidaritätsbekundungen mit Ägypten und Tunesien sei es am Rande auch zu Stimmungsmache gegen den senegalesischen Präsidenten Abdoulaye Wade gekommen. „Wade weg!“ hätten die Demonstranten gerufen.

Das habe es bisher noch nie so gegeben, sagte Jürgen Reichel, der seit vielen Jahren Mitglied im Internationalen Rat des Weltsozialforums ist und auch für den Evangelischen Entwicklungsdienst in Dakar war. Erstmals würde die afrikanische Zivilgesellschaft ihre Kritik öffentlich gegen die eigenen Regierungen richten. Erstmals würden die Menschen Transparenz von ihren Herrschern fordern. „Die Revolutionen in Tunesien und Ägypten haben dem Forum einen Schub an Demokratie gegeben“, sagte Reichel.

Doch auch abseits der Forderungen nach mehr Demokratie und Freiheit gab es viele andere Themen, die die Teilnehmer aus mehr als 1 200 Bewegungen, Initiativen und Organisationen diskutierten. Es ging um Armut, um Menschenrechte, um Umweltfragen, um die Gleichberechtigung der Frauen. Eine zentrale Kritik an Staaten außerhalb Afrikas gab es beim „land grabbing“, zu Deutsch Landraub. Immer mehr Unternehmen und Staatsfonds, zum Beispiel aus China, Indien oder Saudi-Arabien, erwerben oder pachten Land, um dort für ihre heimischen Wirtschaften Lebensmittel zu produzieren. Anbaufläche, die den Afrikanern fehlt, um ihre eigene Nahrung anzubauen. Der ehemalige Präsident Brasiliens, Lula da Silva, forderte eine „landwirtschaftliche Revolution“ in Afrika. Der Kontinent müsse zuerst genug für seine eigene Bevölkerung produzieren, bevor es in andere Staaten exportiere. „Ohne Ernährungssicherheit gibt es keine Souveränität“, sagte Lula.

Afrika werde auch auf dem Wasser ausgebeutet – vor allem von der Europäischen Union. Hunderte Menschen demonstrierten gegen die Plünderung der Fischbestände an der westafrikanischen Küste. „Das Verhältnis Europas zu den afrikanischen Staaten wird weiterhin als neokolonial und von Ausbeutung geprägt wahrgenommen“, sagte Alexis Passadakis, der auch für Attac beim Forum war.

200 Migranten aus aller Welt verabschiedeten eine Weltcharta für Migranten. Darin verlangten sie Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit für alle Menschen, egal ob ihre Migration freiwillig oder erzwungen ist. Jeder Mensch solle seinen Wohnort mit allen Rechten frei wählen können. Das Weltsozialforum, oftmals wegen seiner Unverbindlichkeit kritisiert, brachte am Ende dann doch so etwas wie zwei praktische Beschlüsse auf den Weg: Im März soll es einen weltweiten Tag der Solidarität mit den Revolutionen in Nordafrika geben und im Oktober einen weltweiten Aktionstag im Kampf gegen die globale Verschuldung der Staaten.

 christian Wermke

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