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Hat bislang keinen Notfallplan: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

© imago/CommonLens

Nach dem Votum der Briten: Der Brexit spaltet – auch die Koalition

Merkel schließt sich dem Chor der Tempomacher nicht an, Gabriel hingegen weiß schon, was jetzt zu tun ist.

Von Robert Birnbaum

Axel Schäfer ist aus Bochum und auch sonst ein vernünftiger Mensch, aber am Sonntag geht dem SPD-Vizefraktionsvorsitzenden mal kurz der Gaul durch. „Die SPD wird es keinen Tag lang hinnehmen, wenn die Bundeskanzlerin beim EU-Gipfel am Dienstag vor dem Zeitdiktat von Premier David Cameron einknickt“, droht Schäfer. Ganz ernst gemeint sein kann das nicht. Denn dass Angela Merkel den Briten in Brüssel schlecht mit Waffengewalt dazu zwingen kann, der EU formal den Scheidebrief zu überreichen, weiß der Europapolitiker besser als andere. Erhellend ist sein Zwischenruf trotzdem. Der Brexit trifft die große Koalition im Aufgalopp zum Wahlkampfjahr und droht sie zu spalten.

Davon, dass die Regierenden mit einer Zunge reden, kann schon keine Rede mehr sein. Der Streit um das Tempo des britischen Ausstiegs ist dabei nur ein vordergründiges Symbol. Denn eigentlich sind sich in Berlin alle einig, dass es gut wäre, wenn sich der Brexit nicht lange hinschleppt – aus ökonomischen wie aus pädagogischen Gründen: Je schneller deutlich wird, dass die Briten ihr „Out“ etwas kostet, desto geringer die Gefahr, dass das britische Vorbild in anderen EU-Staaten Schule macht.

Merkel legt den Bremsgang ein

Merkel hat sich dem lauten Chor der Tempomacher aber nicht angeschlossen. „Ehrlich gesagt: Es soll nicht ewig dauern“, sagte sie nach der Unionsklausur in Potsdam. „Aber ich würde mich auch nicht wegen einer kurzen Zeit verkämpfen.“ Ihr Kanzleramtschef Peter Altmaier rechnet angesichts der Ankündigungen aus London mit „Wochen oder Monaten“. Die britische Politik sollte die Zeit haben, die Folgen eines Austritts zu überdenken, sagt Altmaier – stellt aber klar, dass er damit nicht etwa andeuten wolle, dass Berlin eine Rücknahme des Volksvotums für möglich halte.

Merkel legt auch inhaltlich den Bremsgang ein. „Abschreckung“ sei der falsche Begriff, wenn es um die Austrittsbedingungen für die Briten gehe: „Das ist jetzt kein Grund, besonders garstig zu sein bei den Verhandlungen“, sagt sie. Man werde schließlich mit dem Königreich auch hinterher noch eng zusammenarbeiten müssen und wollen.

Einen Krisenplan hat die Kanzlerin nicht

Tatsächlich hat Merkel keinen fertigen Krisenplan, sondern zunächst in den Sondier-Modus geschaltet. Ihr Hauptziel sei es, die verbleibenden 27 Staaten beisammenzuhalten, sagen Leute aus ihrem Umkreis. Daher auch ihre Warnung vor inhaltlichen Schnellschüssen, für die sie sich bei der Unionsklausur prinzipiell auch die Rückendeckung der CSU geholt hat. Merkel sei aber klar, dass am Ende auf sie die Führungsaufgabe zukomme, sagen Teilnehmer der Tagung.

Für andere ist das nicht so klar. SPD-Chef Sigmar Gabriel hat schon am Freitag eine Abkehr vom „Sparregime aus Brüssel“ verlangt – ein kaum verdeckter Angriff auf Merkel, der in der Union genau so ankam: Wer jetzt Südeuropäern Reform-Rabatt zugestehen wolle, der führe geradewegs in die nächste Euro-Krise, schimpft ein Unionsmann. Merkel dürfte aber von Frankreichs Präsident François Hollande und Italiens Regierungschef Matteo Renzi an diesem Montag in Berlin ähnliche Forderungen hören.

Kommt ein Europa der zwei Geschwindigkeiten?

Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), dessen Amt für den formalen Ablauf der britischen Austrittsverhandlungen zuständig ist, stellt schon konkrete Forderungen auf. Er hat seit Monaten mit seinem französischen Kollegen Jean-Marc Ayrault ein Papier ausgearbeitet. Beide fordern eine rasche Vertiefung der Union auf zentralen Feldern wie etwa der Verteidigung. Es soll ein „flexibles“ Europa entstehen, in dem nicht jedes Mitglied jeden Schritt mitgeht – eine Neuauflage der alten Idee Wolfgang Schäubles von einem „Europa der zwei Geschwindigkeiten“.

Merkel findet das Papier mindestens eine Tempostufe zu hoch. In der Unionsklausur warnte sie vor dem Ruf nach „mehr Europa“ – der spiele nur den Europagegnern in die Karten. Dass jeder den Brexit nutzt, seine Lieblingsideen neu aufzutischen, finden auch andere CDU-Spitzenleute wenig hilfreich bei der Suche nach gemeinsamen Antworten. Aber daran besteht – Krise hin, Wahlkampf her – womöglich nur begrenztes Interesse.

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