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Politik: Nach den Dinosauriern Von Stephan-Andreas Casdorff

Strukturwandel, das ist das Wort. Es hätte alle Chancen, zum Wort dieses Monats zu werden, sogar zum Wort des nächsten Jahres, obwohl es schon so oft gebraucht worden ist.

Strukturwandel, das ist das Wort. Es hätte alle Chancen, zum Wort dieses Monats zu werden, sogar zum Wort des nächsten Jahres, obwohl es schon so oft gebraucht worden ist. Um die Veränderung in Deutschland am Beispiel des Ruhrgebiets zu beschreiben. Strukturwandel in Deutschland ist immer, und jetzt wieder besonders durch Wahlen, diesmal Kommunalwahlen in NordrheinWestfalen. 14 Millionen Menschen konnten wählen. Nicht wählen zu gehen, wie erschreckend viele von ihnen, hält den Strukturwandel nicht auf.

Politik als Mesozoikum: Alles wandelt sich. Blauer Himmel war ein Ziel sozialdemokratischer Politik, damals, zu Zeiten der großen Zechen. Heute gibt es blauen Himmel ohne Zechen, aber eben auch Städte ohne Arbeitsplätze. Was die Menschen einsehen müssen, wird in seiner vollen Härte sichtbar: Im Industrieland Nordrhein-Westfalen gibt es unverändert enormen Renovierungsbedarf, durch jahrzehntelang aufgeschobene Reformen. Das sagen die Verantwortlichen selber. Und es gibt Hartz IV, den Strukturwandel der anderen Form: ein Meteoriteneinschlag der Politik.

Zu blauem Himmel und zur Sonne führt der erstmal nicht. Vielleicht, wenn alles gut geht, zu erblühenden Landschaften. Aber zunächst zu Unzufriedenheit. Sie ist es auch, die das politische Handeln in diesen Wochen bestimmt, so oder so. Die einen halten sich zurück, aus Sorge vor Stimmverlusten in Regionen großer sozialer Traurigkeit, die anderen stürmen voran, weil alles andere auch nicht hilft. So wirkt es, ganz besonders im Blick auf die Landtagswahlen im Mai, und beide Konkurrenten – Peer Steinbrück und Jürgen Rüttgers – haben für ihre Parteien ihre Wahl zu treffen. Eine grundstürzende. Eine grundlegende.

Steinbrück hat sich entschieden. Das war einfach. Für ihn (und mit ihm die ganze SPD) gibt es im einstmals stolzesten Gebiet der Partei keine andere Chance, als alles anzupacken, was liegen geblieben ist. Sie hat schon genug verloren an Zeit und Stimmen, mehr wäre das Ende der organisierten Sozialdemokratie in ihrer bekannten Ausprägung. Wo, wenn nicht bei Arbeitnehmern, ist sie zu Hause? Und wo, wenn nicht bei Arbeitnehmern, ist die Mehrheit zu holen? Wandel durch Annäherung an die Wirklichkeit: Die traditionellen Milieus lassen sich nur halten, wenn Politik für sie gemacht wird. Strukturwandel im Zeichen besserer Chancen für die nachfolgenden Generationen – die gegenwärtigen Härten können nur so ertragen werden. Gerade im Ruhrgebiet gilt das, das ja auch immer eine Art Musterregion für politische Auseinandersetzung gewesen ist.

Für Jürgen Rüttgers kommt der Tag der Entscheidung jetzt, nach den Kommunalwahlen. Die Bundes-CDU wird noch besser sehen können, welche Bedeutung Nordrhein-Westfalen für das ganze Land und für die Partei hat. Wenn Rüttgers Hartz IV skeptisch aus dem Blickwinkel eines 50-Jährigen betrachtet, der 30 Jahre gearbeitet hat, dann gehört das zum Parteiprogramm: Der rheinische Kapitalismus, die christlich-soziale Prägung, ihr Bonner Wesen, das alles ist ihr großer Wert und ihr Kapital im Westen – verliert sie dort, strahlt das aus. Wie ja auch ein Plus seine Wirkung bundesweit entfaltet hätte.

Es wird weiter umgewälzt, die Aufwerfungen reichen bis nach Berlin. Im nächsten Jahr wird weiter gewählt und langfristig entschieden. Politik als Mesozoikum: Die Welt begann so zu werden, wie wir sie kennen. Dann, am Ende dieser Zeit, kam der Meteoriteneinschlag. Wir haben ihn einigermaßen gut überstanden.

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