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Staatsmacht gegen Protestbewegung. Die Polizei trägt einen Aktivisten mit Maske Anfang August bei der Auflösung des Lagers in Düsseldorf fort.

© dapd

Nach den Räumungen: Occupy-Bewegung formiert sich neu

New York, London, Berlin, Frankfurt – die meisten Occupy-Camps sind geräumt oder wegen mangelnder Teilnahme eingegangen. Die öffentliche Phase von Occupy scheint vorbei. Doch die Bewegung formiert sich neu. Aber anders.

Die letzten großen Camps in Frankfurt, Münster und Düsseldorf sind geräumt. Wo zehn Monate lang die Zelte der Occupy-Bewegung standen, sieht es schon wieder so aus, als sei nichts passiert. Auch die Zeltlager in Kiel und Hamburg sind bedroht – entweder von der bevorstehenden Räumung oder durch die schwindende Zahl von Aktivisten.

In Kiel hatte Bürgermeister Peter Todeskino die Camper Ende vergangener Woche vor ein Ultimatum gestellt. Bis zum 1. September sollten sie die Zeltstadt endgültig räumen. Dagegen werden die Zelte auf dem Gerhart-Hauptmann-Platz in Hamburg bisher noch geduldet. „Die CDU würde das Camp aber gerne auflösen“, meint Barbara, eine Aktivistin aus dem Camp, die nur mit Vornamen genannt werden möchte. Zudem sei auf dem Platz im September ein Handwerksmarkt geplant, so dass Occupy Hamburg wohl bald umziehen müsse. Die Stadt habe ihnen aber signalisiert, dass ein Camp an anderer Stelle durchaus geduldet würde.

Es sind aber nicht nur die drohenden Räumungen, die den Aktivisten zu schaffen machen. „Wir hatten gedacht, dass im Sommer wieder mehr Leute kommen, und dass wir dann mit ein paar hundert Leuten den Rathausplatz besetzen können“, meint Barbara. Inzwischen leben nach ihren Schätzungen nur noch 20 Leute fest im Camp.

Bildergalerie: Räumung des Camps am Bundespressestrand in Berlin

Damit passiert in Deutschland, was in England, den USA und Spanien schon vor Monaten geschehen ist – Occupy muss die Zelte abbrechen. Geht nun zu Ende, was im Oktober letzten Jahres so überraschend begann? „Viele Leute glauben, dass Occupy nach der Räumung am Ende ist“, gibt Sam Halvorsen, ein Londoner Occupy-Aktivist zu. „Eigentlich war die Luft aber schon raus, bevor die Polizei das Camp geräumt hat“, meint ein anderer Aktivist, der das Pseudonym Jake Stenning benutzt.

Nach der Räumung des Camps vor der Kathedrale St. Paul’s im Februar hatten die Londoner Aktivisten versucht, die Besetzung stattdessen in einem unbenutzten Gebäude der Schweizer Bank UBS weiterzuführen. „Aber dort wurde es dann zunehmend chaotischer – es kamen immer mehr Obdachlose und Alkoholiker“, erzählt Stenning. Inzwischen sei es um die Occupy-Gruppe recht still geworden. Es gebe zwar weiterhin Aktivisten, die sich regelmäßig treffen, aber die Gruppe habe sich seit der Räumung des Camps vor St. Paul’s stetig verkleinert. Auf den wöchentlichen Hauptversammlungen seien inzwischen im Durchschnitt nur noch zehn bis 15 Leute.

„Ich denke, dass dies nicht nur eine negative Entwicklung ist. Es zeigt auch, dass die Bewegung sich verändert“, meint Sam Halvorsen. Inzwischen spiele sich immer mehr in kleineren Gruppen und Initiativen ab. Ein Beispiel ist Occupy-Research, eine Gruppe, die sich dafür einsetzt, den Protest in die Forschung zu tragen – und die Forschung in den Protest. Auch in Deutschland sind eine Reihe von themenbezogenen Occupy-Initiativen gegründet worden. Da gibt es beispielsweise die Arbeitsgruppe Occupy-Money in Frankfurt am Main, die sich nach eigenen Angaben mit „der Erforschung und Aufklärung über die Funktionen und Fehlfunktionen gegenwärtiger Geld- und Finanzsysteme“ beschäftigt; oder Occupy-Public-Space, eine Gruppe kunstinteressierter Aktivisten, die sich im Frankfurter Camp kennengelernt haben.

Der Anthropologe Jeffrey Juris, der an der Northeastern University in Boston über die Occupy-Bewegung forscht, sieht darin einen Trend. „Seit den Räumungen der Camps dezentralisiert sich die Bewegung zunehmend. Es formen sich kleinere Gruppen, die lokal agieren und sich einem spezifischen Thema widmen“, erklärt der US-Wissenschaftler. Diese Gruppen vernetzen sich dann zunehmend mit Stadtteilinitiativen und Grassroots-Organisationen, die sich mit ähnlichen Thematiken beschäftigen. Nach Einschätzung des Anthropologen ist die öffentliche Phase der Bewegung vorbei.

„Der Protest geht weiter“ – Optimismus trotz Räumungen

Viele Occupy-Aktivisten sehen das anders. Auch nach der Räumung der Camps soll es „bunt und kreativ“ weitergehen. „Der Protest geht weiter. Die Polizei wird sich dann eben mit anderen Protestformen auseinandersetzen müssen“, insistiert Erik Buhn, ein Frankfurter Aktivist. Nach der Räumung des Camps vor der Europäischen Zentralbank (EZB) hat Occupy Frankfurt bereits eine Mahnwache in der Nähe der EZB aufgebaut. „Uns war immer bewusst, dass das hier ein temporärer Protest ist. Das ist ja kein Grund, einfach aufzuhören.“

Bildergalerie: Räumung des Camps vor der EZB-Zentrale in Frankfurt

In Spanien und Großbritannien, aber auch in Berlin will sich die Occupy-Bewegung an den Großdemonstrationen für soziale Gerechtigkeit und Frieden beteiligen, die für den 11. und den 15. September geplant sind. „Die große Frage ist natürlich, ob dann wieder besetzt wird“, meint Sam Halvorsen von Occupy London. „Wichtiger ist aber, dass kleine Gruppen mit einfallsreichen und öffentlichkeitswirksamen Aktionen auffallen.“ Ob Occupy überhaupt genug eint, um so dezentral zu agieren, lässt er unbeantwortet. Erik Buhn, ein Frankfurter Occupy-Aktivist, sieht darin kein Problem. Occupy sei schließlich kein festes Logo, sondern die ständige Aufforderung, sich mit Fragen zu beschäftigen, die alle angingen.

Auch wenn sich die meisten Aktivisten optimistisch zeigen, leugnet kaum einer, dass durch die Räumungen ein wichtiger Aspekt der Bewegung verloren gegangen ist. „Hier im Camp können wir Hierarchiefreiheit erleben und basisdemokratische Strukturen aufbauen. Das Besondere an Occupy war ja gerade, dass das mitten in der Stadt, mitten im normalen Leben stattfinden konnte“, sagt Barbara von Occupy Hamburg: „Wir mussten nicht aussteigen, um das zu erleben.“

Emily Katzenstein

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