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Seine Partei profitiert von der Krise. Polens Präsident Andrzej Duda.

© REUTERS

Nach den Rücktritten der Minister in Polen: Linksopposition will Parlament auflösen

Nach den Rücktritten mehrerer Minister der rechtsliberalen Regierung in Polen fordert die Linksopposition die Auflösung des Parlaments. Aber von der Krise profitiert vor allem die politische Rechte.

Es klang dramatisch: „Das Land wird destabilisiert, wir brauchen Neuwahlen“, sagt Anna Bankowska. Die Abgeordnete des oppositionellen Linksbündnisses SLD hat am Donnerstag im polnischen Parlament einen Antrag auf Selbstauflösung des Parlaments gestellt. Stimmen zwei Drittel der Angeordneten zu, finden in Polen bereits im Sommer Neuwahlen statt. Diese Mehrheit dürfte allerdings schwer zu erreichen sein. „Wenn jemand sagt, dass man heute den Sejm auflösen will, muss er erst einmal die Realitäten und Regeln kennen“, sagte Premierministerin Ewa Kopacz, „dafür sind 307 Stimmen nötig.“ Die SLD hat 35 der 460 Parlamentsmandate, die Regierungskoalition besitzt zusammen 239 Abgeordnete.

Anlass für den Verzweiflungsschritt der Linken ist eine Rücktrittswelle in der Regierungsmannschaft der rechtsliberalen Premierministerin Ewa Kopacz. Diese hatte am Mittwochabend die Demission des Gesundheits-, Sport- und Schatzministers sowie dreier Vizeminister bekannt gegeben. Auch der Geheimdienstkoordinator und der Vorsitzende ihres Beraterstabs traten zurück. Ihnen folgte wenig später sogar der zweite Mann im Staat, Parlamentspräsident Radoslaw Sikorski. „Aus Sorge um die regierende Bürgerplattform, die als Einzige Polens guten Ruf im Ausland retten kann, trete ich zurück“, begründete der langjährige ehemalige Außenminister.

Beispiellose Skandale begleiten diese Regierung

Sikorski bezahlte damit zum zweiten Mal seine Entgleisungen, die er 2014 in abgehörten Privatgesprächen mit Parteifreunden und Geschäftsleuten in einem teuren parlamentsnahen Restaurant geäußert hatte. Zwei Kellner hatte damals fast hundert Treffen zwischen Regierungspolitikern und Geschäftsleuten aufgenommen. Nachdem einige Gesprächsprotokolle vom polnischen Nachrichtenmagazin „Wprost“ publiziert wurden, mussten Sikorski und Innenminister Bartolomej Sienkiewicz gehen. Weitere Konsequenzen zog der damalige Premier und heutige EU-Ratspräsident Donald Tusk aus der Abhöraffäre indes keine.

In der Nacht zum Montag hatte allerdings der wegen seines Behördenhasses in den sozialen Netzwerken bekannte Autohändler Zbigniew Stonoga 2500 Seiten Prozessakten aus dem juristischen Nachspiel der Abhöraffäre veröffentlicht. Die Staatsanwaltschaft versucht seit über einem Jahr, die Hintermänner des Lauschangriffs zu finden. Dabei wird man den Eindruck nicht los, sie würde manchmal mehr verschleiern als aufklären. Tusk hatte zu Beginn des Skandals die Schuldigen noch in Moskau gesucht, später sollte ein polnischer Kohlehändler den Auftrag zum Lauschangriff erteilt haben, um an der Börse Insidergeschäfte zu tätigen.

Tusks Nachfolgerin Kopacz hat nun endlich die Notbremse gezogen. Allerdings steht sie durch die Veröffentlichungen der Prozessakten auf Facebook auch unter großem Druck. Zurücktreten mussten nun alle Minister und Vizeminister, die in dem besagten Restaurant abgehört wurden. Dabei spielte es keine Rolle, ob deren Gespräche bisher an die Öffentlichkeit durchgesickert sind. „Wir können uns mitten im Wahlkampf nicht mit Tonbändern belasten“, begründete Premierministerin Ewa Kopacz im Fernsehen sichtlich verzweifelt.

Die politische Rechte macht mobil

Sämtliche Nachfolger will sie Anfang nächster Woche bekannt geben. Ihre Regierungspartei Bürgerplattform (PO) steht nach der überraschenden Niederlage des Staatspräsidenten Bronislaw Komorowski bei den Wahlen vor Monatsfrist enorm unter Druck. Bereits im Oktober stehen Parlamentswahlen an. Laut einer am Donnerstag veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TNS Polska würde die oppositionelle Kaczynski-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) diese Wahlen nach heutigem Stand mit 32 Prozent klar gewinnen. Die PO kommt demnach nur auf 24 Prozent, die Formation des rechtspopulistischen Rocksängers Pawel Kukiz auf 20 Prozent. Die linke SLD würde mit nur zwei Prozent die Fünfprozenthürde verpassen. Nicht zuletzt deshalb versucht die postkommunistische SLD mit dem Antrag auf Neuwahlen wieder etwas Schwung zu bekommen. Seit der Wende von 1989 waren die Linken immer im polnischen Parlament vertreten.

Polens neuer starker Mann, der künftige Staatspräsident Andrzej Duda (PiS), hat die Regierung am Donnerstag dringend aufgefordert, bis zu den Parlamentswahlen keine Richtungsentscheide mehr zu fällen. „Die Abhöraffäre ist über ein Jahr her, aber erst jetzt werden Konsequenzen gezogen, dies verhöhnt sämtliche demokratischen Standards“, sagte Duda. Regierungsfreundliche Kreise meinten, Kopacz’ Schritt sei arg verspätet, doch immerhin noch vor der Sommerwahlkampfpause erfolgt. Treffender drückte es der liberale Publizist Marcin Meller aus: „Das Schiff sinkt, doch nun werden noch einmal die Kajütenwände neu gestrichen.“ (mit dpa)

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