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Schluck: Die FDP muss aus dem bayerischen Landtag ausziehen.

© dpa

Nach der Bayernwahl: Es wird rauer in der Woche vor der Bundestagswahl

Die Bayernwahl ist nicht nur einfach ein Vorlauf. Eine Woche vor der Bundestagswahl macht sie mächtig Stimmung. Aber dann gibt es auch Leute, die sagen: Das Land da im Süden habe mit dem Rest nichts zu tun.

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Drei? Mit 4,7 oder 4,8 Prozent hätte man gut leben können, das klingt irgendwie nach Hoffnung, nach: Alles ist möglich, strengen wir uns noch mal ein bisschen an in den nächsten Tagen. Bis zur fünf, jener magischen Grenze für den Einzug in Parlamente, da ist es nicht mehr weit. Aber drei Prozent?

Als die Verlierer dieses Abends um 20 nach sechs aufs Podium in der Berliner FDP-Parteizentrale steigen, sind ihre Gesichter gezeichnet vom Schock. Gerade hat jemand im Fernsehen gesagt, es bleibe bei drei Prozent der Wähler, die der FDP in Bayern ihre Stimme gegeben haben. Es werde nicht mehr werden. Die Bayern sahen keinen Sinn darin, ihr Kreuzchen bei den Liberalen zu machen. Raus aus der Regierung sind sie damit und raus aus dem Landtag. Und schon in sieben Tagen müssen sie wieder hier stehen, nächsten Sonntag, nach der Bundestagswahl. Eine furchtbare Ahnung steigt in Philipp Rösler und Rainer Brüderle auf: Es könnte eine Wiederholung geben. Wenn sich herausstellt, dass Bayern nicht irgendwo im Süden ist, sondern überall. Wenn niemand mehr einen Sinn darin sieht, die FDP zu wählen. Raus aus der Regierung wären sie dann und raus aus dem Bundestag.

Der FDP-Vorsitzende wird an diesem Sonntag nur einen kurzen und sehr knappen Satz zur Bewertung des Desasters von München sagen. Eine „schwere Niederlage“, presst er hervor. Dann streckt Rösler den Rücken, stellt beide Füße fest auf den Boden und ballt die Hände zur Faust. Er darf jetzt auf keinen Fall schwach werden. Es muss vorwärts gehen. Rösler spricht Wichtiges immer betont leise in Mikrofone. Aber heute ist kein Tag für leise Töne. „Jetzt erst recht!!“ Er klingt wie ein Häuptling, der sein Häufchen blau-gelb Angemalter mit ihren Tomahawks zur Schlacht gegen einen übermächtigen Gegner aufpeitscht. Vom „Weckruf in Bayern“ wird Rösler reden, ach was, schreien, und dass alle Liberalen nun „Aufstehen und kämpfen“ müssten. Sieben Tage noch: „Es geht um Deutschland“, ruft Rösler in die Kameras. „Es geht um alles!“

Für ihn und seine Partei stimmt das schon mal. Für alle anderen ist dieser bayerische Wahlabend keine Katastrophe, sondern bloß schwierig. Man erkennt das unschwer daran, welchen Wert die Spitzenleute in Berlin auf die Feststellung legen, dass in Bayern in Uhren ja doch irgendwie anders gingen.

Deshalb dürfe man den Urnengang am südlichen Rand der Republik nicht einfach als Vorboten des nächsten, des weitaus wichtigeren in einer Woche nehmen. Die Einigkeit der Uhrmacher ist parteiübergreifend. Die reine Freude ist dieser Test eine Woche vor der Bundestagswahl für keinen von ihnen. Selbst der CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe strahlt nur kurz über den „guten Tag für Bayern und die Unionsfamilie“ und den „Rückenwind“, bevor er zur eigentlichen Botschaft kommt. Sie besteht aus drei Teilen. Erstens: In acht Tagen, „das wird ein knappes Rennen.“ Zweitens: Dass die FDP in Bayern aus dem Landtag fliegt, sei ja nun so ungewöhnlich nicht und deshalb kein böses Omen für den Bund – da werde es der Partner ganz sicher schaffen. Drittens aber und wichtigstens: „Zweitstimme ist Merkelstimme!“

Der Satz ist eine Kampfansage. Noch jedes Mal, wenn Union und FDP Seite an Seite in einen Wahlkampf gezogen sind, hat die CDU es bisher augenzwinkernd geduldet, dass die Freidemokraten ihr mit einer Zweitstimmenkampagne Wähler abspenstig machten. Seit Niedersachsen ist Schluss damit. Bei der Landtagswahl im Frühjahr hatte der CDU-Spitzenmann David McAllister so demonstrativ darum geworben, seinem schwächelnden Koalitionspartner über die Hürde zu helfen, dass die Freidemokraten mit zehn Prozent davongingen und McAllister auf den letzten Metern scheiterte.

Der Schock sitzt bis heute tief. Noch mal passieren soll das nicht. Außerdem brauchen sie diesmal wirklich jede Stimme selbst, schon damit der Horst in München nicht größenwahnsinnig wird. Gröhe gibt sogar öffentliche Nachhilfe im neuen Wahlrecht: „Entscheidend für die Mehrheitsbildung ist die Zweitstimme!“ Aber auch abseits der Mikrofone zeigt sich die CDU-Spitze finster entschlossen. Ob es nicht doch eine klitzekleine Zweitstimmenhilfe für die FDP, sicherheitshalber ... ? „Nein!“ sagt ein CDU- Spitzenmann und noch mal: „Nein!“

Bei der FDP hören sie das nicht gern. Von wo, wenn nicht aus dem bürgerlichen Lager, sollen denn jene Stimmen kommen, die ihr in acht Tagen das Überleben, womöglich gar das Mitregieren sichern sollen? Enttäuschte und taktisch veranlagte CDU-Anhänger oder Protestwähler, das war immer das Reservoir für eine FDP in Not. Aber selbst mit den Protestlern ist das inzwischen so eine Sache. Für die gibt es neuerdings die „Alternative für Deutschland“.

Die AfD ist in Bayern nicht angetreten wegen größerer Querelen in den eigenen Reihen. Das könnte sich im Nachhinein auszahlen, weil es ihnen vielleicht eine böse Niederlage erspart hat. Für die neuen Wutbürger wäre nicht viel Raum gewesen zwischen Freien Wählern, die auch gegen den Euro sind, und einer CSU, die sich bei passender Gelegenheit ebenfalls euroskeptisch zu geben weiß. So bleiben sie die Unbekannte.

Da hat also eine FDP in Not nur die Angst vorm roten Mann. „Wer nicht will, dass Sigmar Gabriel (der SPD-Vorsitzende) zum mächtigsten Mann in Deutschland wird“, warnt Philipp Rösler am Sonntagabend, der müsse seine Zweitstimme der FDP geben. Sein Generalsekretär Patrick Döring hat längst die FDP-Kandidaten in den Wahlkreisen aufgerufen, mit ihren jeweiligen CDU- und CSU-Kollegen ein Geschäft auf Gegenseitigkeit zu schließen: Eine Erststimmen-Wahlempfehlung für den Unionsbewerber gegen eine Zweitstimme für die FDP. Das riecht zwar schwer nach Mitleidskampagne. Aber wo die Not groß ist, spielen Geschmacksfragen keine Rolle mehr. Selbst Spitzenkandidat Rainer Brüderle, ein eigentlich von sich und seiner liberalen Idee überzeugter Mann, greift zum Äußersten: Wenn die traditionsreiche FDP verschwindet, die „Deutschland entscheidend mit geprägt hat“, drückt Brüderle auf die Tränendrüse, „dann ist das eine andere Republik!“

Stimmen bringt der FDP-Ausfall der SPD nicht. Aber Stimmung.

Für ihn und seine FDP stimmt das schon mal. Andere würden es nicht ganz dramatisch nehmen. Im Willy-Brandt- Haus bemühen sich ein paar Hundert Sozialdemokraten jedenfalls um den Nachweis, dass Schadenfreude ein starker politischer Antrieb sein kann. Als bei der ersten Wahl-Prognose im Fernsehen der Balken der SPD die psychologisch wichtige 20-Prozent-Marke übersteigt, bricht Jubel aus. Noch viel lauter und viel heftiger applaudieren die Genossen aber, als nur wenige Sekunden später klar ist, dass die FDP aus dem Landesparlament fliegt.

Was den ersten Teil des Jubels angeht, erklärt er sich vor allem daraus, dass die bayerischen Genossen in den letzten Umfragen stark auf ein Projekt 18 zugesteuert hatten, ein Ergebnis noch unter dem historischen Tiefpunkt von 18,6 Prozent vor fünf Jahren. Der bescheidene Zuwachs ist daran gemessen Anlass zur Erleichterung. So schlimm scheint es mit dem „Stinkefinger“-Auftritt des Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück also nicht gewesen zu sein. Breit grinsend steht Steinbrück neben Parteichef Gabriel auf dem Podium und genießt den Beifall.

Gabriel spricht dann kurz über Hoffnungssignale aus Bayern und anschließend lange über die gedemütigten Liberalen: Die Wähler hätten „die Parolen, die Lügen der FDP erkannt und sie aus dem Landtag geworfen“. Wer alle Wahlversprechen breche, habe es auch nicht verdient, in Landtagen oder im Bundestag vertreten zu sein. Welche Wahlversprechen er genau meint, ist ein bisschen unklar, aber egal. Dann ist Steinbrück dran. Er reiht sich unter die Bayern-Uhrenspezialisten ein: „Wir wissen, dass die SPD bei einer Bundestagswahl immer noch deutlich besser abschneidet als bei einer Landtagswahl und umgekehrt die CSU immer deutlich schlechter abschneidet als bei einer Landtagswahl.“

Hinter den Kulissen und jenseits aller Wahlabendrhetorik wird in der SPD- Spitze durchaus eingeräumt, dass der Ausfall der Liberalen in Bayern der SPD im Bund am 22. September stimmenmäßig nichts bringt. Stimmungsmäßig aber schon. Und Stimmung kann helfen in einer Lage, in der viel davon abhängt, ob die eigenen Leute zur Wahlurne gehen oder schon vorher abwinken. Eine Stimmung, die an diesem Abend im Willy-Brandt-Haus keiner trüben will, weshalb denn auch kein Wort fällt über eine große Koalition. Im Gegenteil. Es bleibe, versichert Steinbrück, beim Wahlziel: Rot-Grün.

Das Problem ist nur: Für die Grünen ist diese Landtagswahl auch keine Freude. Seit drei Wochen befindet sich die Partei sachte im demoskopischen Sinkflug. Ein gutes Abschneiden in Bayern hätte man als Dementi dieses Trends werten können. Passiert ist das Gegenteil. Schon nach der ersten Prognose ist klar, dass die Partei schlechter abschneidet als bei der letzten Landtagswahl 2008. Claudia Roth versucht das Ergebnis denn auch gar nicht erst schönzureden. „Da bin ich natürlich enttäuscht“, sagt die Grünen-Chefin in München in die Kameras.

Auch in der Parteizentrale in Berlin herrscht Ernüchterung. Immerhin, tröstet sich einer, könne eine solche Schlappe ja auch „ein heilsamer Schock“ für die Mobilisierung sein. Fast schon trotzig beklatschen die Grünen-Anhänger ihre Spitzenkandidaten, als die um 18.35 Uhr vor die Presse treten. „Wir werden um jede einzelne Stimme kämpfen“, kündigt Katrin Göring-Eckardt an – und nennt als Stichworte für den Wahlkampfendspurt die Energiewende und die Steuerpolitik.

Jürgen Trittin bemüht gar alte Tugenden der Bewegung: „Wir sind seit unserer Gründung Gegenwind gewohnt.“ Woher der kommt, dafür hat der Schöpfer der grünen Steuer-Kampagne so seine eigene Verschwörungstheorie. Seit Wochen seien die Grünen einer Kampagne derjenigen ausgesetzt, die ihre Privilegien verteidigten, schimpft Trittin: „Wir Grüne lassen uns von solcher Lobbypolitik nicht einschüchtern!“

Eine Woche noch. Viel Zeit ist das nicht, um Stimmungen zu wenden und um Stimmen zu buhlen. Es wird rauer werden in den letzten Tagen vor der großen, der Bundestagswahl. Selbst in Bayern geht das Gefecht ja weiter. Horst Seehofer hat Angela Merkel am Sonntag Morgen am Telefon eigens noch einmal versprochen, dass die CSU sich jetzt nicht zurücklehnen wird. Die Zusage ist glaubhaft. Schließlich wäre so eine absolute Mehrheit in München ja höchstens halb so schön, wenn sie sich nicht beim Mitregieren in Berlin zur Geltung bringen ließe.

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