zum Hauptinhalt
Schwarzer Sirup für die Pancakes. Tante Jemina, eine Marke der US-amerikanischen Quaker Oats, wird wohl auch vom Markt genommen.

© Justin Sullivan/Getty/AFP

Nach der Ermordung von George Floyd: Wie US-Unternehmen um die Gunst der Demonstranten buhlen

Ein Reishersteller ändert sein rassistisches Logo, eine Großbank spendet. Erleben wir eine Moralisierung der Ökonomie? Skepsis ist angebracht. Ein Gastbeitrag.

Michael Bröning ist Politikwissenschaftler, Mitarbeiter der Friedrich-Ebert-Stiftung und Mitglied der Grundwertekommission der SPD.

Von L’Oreal und Disney bis zu Ben & Jerry’s Eiscreme reicht das Spektrum der Solidaritätsadressen. Dutzende von Unternehmen boykottieren Facebook, weil die Plattform nicht entschieden gegen Hass im Netz vorgeht. Twitter ringt mit den Wahrheitspirouetten des Donald Trump, und selbst ein führender Hersteller von Parboiled Reis ändert sein als rassistisch kritisiertes Logo.

Erleben wir also eine tiefgreifende Moralisierung der Ökonomie? Skepsis ist angebracht. Sicher, vorherige skandalöse Fälle von Polizeigewalt blieben in der Wirtschaft, von Ausnahmen abgesehen, eher unbeachtet. Heute ändert der Sportgigant Nike sogar seinen Slogan, um sich auf der richtigen Seite zu wissen.

[Mit dem Newsletter „Twenty/Twenty“ begleiten unsere US-Experten Sie jeden Donnerstag auf dem Weg zur Präsidentschaftswahl. Hier geht es zur kostenlosen Anmeldung: tagesspiegel.de/twentytwenty]

In einem mit getragener Pianomusik hinterlegtem Twitter-Video mahnt das Unternehmen „Don’t do it!“ und fordert die Öffentlichkeit auf, „nicht so zu tun, als gäbe es kein Problem in Amerika“. Bislang scheint die Botschaft zu verfangen. Das Video wurde millionenfach angeschaut und hunderttausendfach geteilt – selbst von unternehmerischen Erzrivalen.

Aus Solidarität auf die Knie

Für Aufmerksamkeit sorgte auch die Großbank JP Morgan Chase. Deren CEO sank aus Solidarität mit den Opfern rassistischer Gewalt auf die Knie – bildgewaltig in Szene gesetzt vor einem Tresorraum. Zugleich beschwor der Banker eindringlich den „Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung“.

Manch ein Unternehmen unterlegt Solidaritätsbekundungen auch finanziell. Die Bank of America etwa kündigte an, in den kommenden vier Jahren eine Milliarde Dollar für den Kampf gegen Diskriminierung aufzubringen. Und ein Dutzend weiterer Firmen wie etwa die Warner Music Group wollen sich ähnlichen Initiativen anschließen.

Dennoch bleibt die Frage nach der Glaubwürdigkeit. Ausgerechnet JP Morgan war in der Vergangenheit wiederholt mit millionenschweren Diskriminierungsklagen konfrontiert, in denen sich Mitarbeiter gegen Rassismus wehren mussten. Erst vor zwei Jahren wurde sechs ehemaligen Angestellten 24 Millionen Dollar zugesprochen. Auch in der Beförderungspraxis der Bank, meinen Kritiker, gibt es eher Indizien für Benachteiligungen als für Problembewusstsein.

In den Chefetagen finden sich gerade mal drei Prozent Nichtweiße, obwohl der Großteil der Angestellten in diese Kategorie fällt, wie die „Los Angeles Times“ berichtet. Das aber gilt für fast alle Fortune 500 Unternehmen. „US-Unternehmen signalisieren wie verrückt moralische Integrität“, kommentierte die „LA Times“, „doch Taten sind lauter als Worte“.

Wertebewusste Millennials

Die Ursachen des zumindest rhetorischen Aktivismus liegen in einem Wertewandel, der sich insbesondere in den jüngeren Generationen abspielt. Millennials und die nachfolgende Generation Z, also die Geburtenjahrgänge nach der Jahrtausendwende, zeichnen mittlerweile für einen Großteil der weltweiten Konsumausgaben verantwortlich, während sich die Babyboomer in den Ruhestand verabschieden.

Diese jungen Erwachsenen aber unterscheiden sich in ihren Normen von ihren Eltern- und Großelterngenerationen – nicht zuletzt darin, was ihre Sicht auf die kapitalistische Wirtschaftsordnung angeht. Das Meinungsforschungsinstitut Gallup etwa verweist darauf, dass Kapitalismus und Sozialismus bei jungen Erwachsenen in den USA im direkten Systemvergleich seit dem Jahr 2018 gleichauf liegen.

Demonstranten versammeln sich in einem Protestcamp vor dem Rathaus in New York.
Demonstranten versammeln sich in einem Protestcamp vor dem Rathaus in New York.

© John Minchillo/AP/dpa

In viel stärkerem Maße als vorherige Generationen gründen Millennials und die Generation Y dabei nach eigener Aussage auch persönliche Verbraucherentscheidungen auf ethische Überlegungen. Integrität zeigt sich nicht etwa in allgemeinem Konsumverzicht, sondern in ethisch aufgeladenen Kaufentscheidungen. So machen mehr als zwei Drittel der amerikanischen Millennials ihren Konsum bewusst von den repräsentierten Werten der Hersteller abhängig.

Zugleich glauben 87 Prozent von ihnen, Unternehmen sollten soziale und Umweltfragen deutlich thematisieren. In der Generation Y teilen diese Einschätzung sogar 94 Prozent, wie eine vom US-Magazin „Forbes“ veröffentlichte Umfrage belegt. Moralisches Verhalten wird zumindest auch an Unternehmen delegiert. Damit aber drängt sich die Frage auf, inwiefern die Positionierungen internationaler Konzerne moralischen Überzeugungen geschuldet sind und inwieweit opportunistischem Eigeninteresse.

Rhetorisch anschlussfähig

Denn es ist durchaus nachvollziehbar, dass gerade Unternehmen mit einer jungen Kundschaft alles versuchen, um auf rhetorischer Ebene anschlussfähig zu bleiben. Teile des Managements, die diesen Weg nicht mitzugehen scheinen, leben beruflich gefährlich, wie diese Woche die Personalchefin von Adidas erfahren musste. Doch moralische Gesten unterscheiden sich massiv von wirklich moralischen Praktiken. Das belegt die fragwürdige wirtschaftliche Realität.

Nachhaltige Lieferketten etwa bleiben ein Wunschtraum, ebenso vernünftige Sozial- und Umweltstandards, angemessene Entlohnung, gewerkschaftliche Organisationsrechte und soziale Absicherungen bei Krankheit. Von den Herausforderungen der Kinderarbeit in der Textilindustrie ganz zu schweigen. Manch ein rhetorisch besonders engagierter Konzern zahlt nicht einmal angemessene Steuersätze.

Eine kritische Öffentlichkeit sollte Unternehmen, die Steueroasen nutzen, Produktionsstandards unterlaufen und Betriebsräte drangsalieren, tugendhafte Tweets aber nicht ohne Weiteres als moralischen Freifahrtschein durchgehen lassen. Sicher ist darüber zu streiten, ob die resultierende Doppelmoral nicht dennoch weniger verwerflich ist als die unverblümte Glorifizierung des Eigennutzes im Stile eines Trump.

Moral als Lifestyle-Accessoire?

Doch rein symbolhaftes Virtue Signaling könnte langfristig ebenso schädliche Folgen zeitigen wie brachiale populistische Angriffe auf Sittlichkeit und Verantwortungsbewusstsein.

Kritisch erscheint dabei insbesondere, dass die aktuelle Protestkultur von den Vereinigten Staaten über Großbritannien bis nach Deutschland in dem Maße an Überzeugungskraft einbüßt, wie sie auf Unternehmensseite und auf der Straße zum reinen Lifestyle-Accessoire verkommt.

Denn gerade der identitätspolitisch aufgeladene Aktivismus scheint mit den Parametern kapitalistischer Wertschöpfung selbst und mit emblematischem Markenfetischismus kein grundsätzliches Problem mehr zu haben – und das, obwohl auch das Che-Guevara-Shirt aus dem Sweat Shop stammt.

Im Umkehrschluss gilt gerade deshalb: Multinationalen Konzernen fällt der symbolische Schulterschluss mit dem Aktivismus der Straße so leicht wie nie. Die Allianz der moralischen Wokeness ist für die ökonomische Habenseite mit so gut wie keinen tiefergehenden Verpflichtungen verbunden und dokumentiert nur die Anpassungsfähigkeit des freien Marktes.

Schon Karl Marx begriff den Kapitalismus schließlich nicht als „festen Kristall“, sondern als „umwandlungsfähigen und beständig im Prozess der Umwandlung begriffenen Organismus“. Die Bemühungen internationaler Korporationen, sich nun auch noch als moralisch gute Instanzen in Szene zu setzen, bleiben jedoch bis auf Weiteres alles aber nicht überzeugend.

Michael Bröning

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false