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Das EU-Parlament.

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Nach der Europawahl: Wer vertritt uns im Europaparlament?

Im neuen Europaparlament gibt es alles: harte Sachpolitik, Klamauk und Extreme. Hier stellen wir einige Abgeordnete vor.

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Es ist eine bunte Truppe, die Deutschland in den nächsten fünf Jahren in Brüssel und Straßburg vertritt. 30 von ihnen sind neu im Europaparlament, 66 sind mehr oder weniger alte Hasen. Neu sind unter den 96 deutschen Abgeordneten, die am vergangenen Sonntag ins Europaparlament gewählt wurden, die Vertreter von Mini-Bewegungen wie der Tierschutzpartei, der Familienpartei oder die Spaßgruppe „Die Partei“ um den Satiriker Martin Sonneborn.

Das skurrile Abgeordneten-Puzzle hat das Bundesverfassungsgericht mit seiner umstrittenen Entscheidung ermöglicht, jegliche Hürde auf dem Weg nach Straßburg zu kippen. Die Karlsruher Richter haben in dem Urteil vom vergangenen Februar die Ansicht vertreten, dass das Europaparlament sehr wohl damit leben könne, wenn demnächst auch ein paar Exoten ihre Büros in Brüssel und Straßburg beziehen. Nun schicken insgesamt 14 deutsche Parteien ihre Leute ins Europarlament. Darunter sind neben CDU, CSU, SPD, Grünen und der Linkspartei auch zwei, die auch dann auf EU-Ebene mit einem Abgeordneten vertreten gewesen wären, wenn Karlsruhe die ursprünglich vom Bundestag vorgesehene Dreiprozentklausel gebilligt hätte: die AfD und die FDP.

Beim Kontingent der EU-Parlamentarier aus Deutschland gibt es eine neue Unübersichtlichkeit. Von einem deutlichen politischen Links- oder Rechtsruck, wie es ihn bei der Europawahl in anderen Ländern gegeben hat, ist das wirtschaftlich prosperierende Deutschland vor einer Woche aber verschont geblieben. Wo sich die Euro-kritische AfD im Plenum einordnen wird, ist noch offen.

Im Gesamtbild sind die Ränder im neuen Europaparlament allerdings sehr wohl stärker geworden – beispielsweise durch den Erfolg der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo in Italien oder den Erdrutschsieg der rechtsradikalen Front National in Frankreich. Der Zugewinn der Radikalen wird jene informelle große Koalition noch stärken, die in Straßburg schon von seit langem das Sagen hat: Das Bündnis zwischen der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP), zu der CDU und CSU gehören, und der Sozialdemokraten mit den SPD-Abgeordneten.

Langweilig dürfte es im neuen EU-Parlament trotzdem nicht werden. Der neue SPD-Abgeordnete Jakob von Weizsäcker fühlt sich für die Auseinandersetzung mit den AfD-Abgeordneten über den Euro bestens gewappnet. Und von Weizsäckers Fraktionskollegin Sylvia-Yvonne Kaufmann will ihre ehemaligen Parteifreunde von der Linken „freundlich grüßen“ – allem Zwist aus der Vergangenheit zum Trotz.

Über ihre politische Agenda werden die alten und neuen Parlamentarier allerdings nicht lange nachdenken müssen. Als Erstes steht ihnen ein Machtkampf mit den Staats- und Regierungschefs über die Besetzung des Chefpostens in der EU-Kommission ins Haus. Das Europaparlament ringt einmal mehr um Einfluss. Auch in Karlsruhe wird man das Tauziehen gespannt verfolgen.

Jakob von Weizsäcker

Jakob von Weizsäcker
Jakob von Weizsäcker

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Dass Jakob von Weizsäcker den Einzug ins Europaparlament schaffen würde, war keine Selbstverständlichkeit. 27 Abgeordnete schickt die SPD ins neue Parlament, und der 44-Jährige stand auf der Bundesliste der SPD auf Platz 25. In Straßburg und Brüssel will sich der Großneffe des Altbundespräsidenten auf Fragen rund um den Euro und die Bankenunion konzentrieren. „Ich bin Ökonom“, antwortet er auf die Frage, ob er sich schon auf die Auseinandersetzung mit AfD-Europaabgeordneten freue, die möglicherweise weniger am Euro hängen als er selbst. „Sachdiskussionen muss ich nicht aus dem Weg gehen“, zeigt er sich gelassen.

Dem Europaparlaments-Novizen von Weizsäcker gelang der Sprung auf die Bundesliste der SPD über Umwege. Auch wenn er schon seit 1994 Mitglied der SPD ist, sind für seine Biografie eher internationale Stationen als sozialdemokratischer Stallgeruch prägend: Abitur in Wales, Studium der Mathematik, Physik, Informatik und Volkswirtschaft in Bonn, Lyon und Paris. Anschließend arbeitete er unter anderem als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Hans-Werner Sinn am Center for Economic Studies (CES) in München sowie für die Weltbank in Washington und in Tadschikistan. Jetzt räumt er seinen Schreibtisch als Abteilungsleiter im Thüringer Wirtschaftsministerium auf, um nach Brüssel und Straßburg weiterzuziehen.

Im Europawahlkampf war er vor allem in Thüringen unterwegs, und dort ist ihm in der Bevölkerung nach seinen Worten „eine große Bereitschaft, das europäische Projekt zu unterstützen“, entgegengeschlagen. Gleichzeitig ist ihm allerdings auch aufgefallen, dass die Menschen mit „Europa“ eher Begriffe wie Frieden und Energiesparlampen verbinden als die Detailarbeit der Straßburger Abgeordneten während der Euro-Krise. Von Weizsäcker möchte das ändern und sich im neuen Europaparlament für eine engere wirtschaftspolitische Kooperation unter den Euro-Staaten einsetzen: „Wir brauchen eine neue Architektur des Euro.“

Joachim Starbatty

Joachim Starbatty
Joachim Starbatty

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Nicht sein gleichaltriger Parlamentskollege Hans-Olaf Henkel, sondern Joachim Starbatty ist der wahre Elder Statesman der AfD. Während Henkel oft abweisend wirkt, fliegen dem Rheinländer Starbatty an der Parteibasis die Herzen zu. Der Volkswirt war schon Euro-Kritiker, bevor es diesen Begriff überhaupt gab. 1997 klagte er zusammen mit drei anderen Professoren gegen die Einführung der Einheitswährung – und scheiterte.

Zu den AfD-Mitgliedern der ersten Stunde zählte Starbatty trotzdem nicht. Als Bundestagskandidat zog ihn Parteichef Bernd Lucke erst aus dem Hut, nachdem sich die Berliner Landes-AfD zerstritten hatte. In die oft technokratisch wirkende Partei bringt Starbatty etwas Verschmitztheit hinein. „Ich bin 74 Jahre alt“, sagte er am Tag nach der Europawahl. „Jetzt werden Sie sagen: Ganz schön alt. Nun – in meinem Alter war Adenauer noch zwölf Jahre im Amt. Soll aber keine Drohung sein.“

Starbatty selbst sieht sich als „Europäer von Herzen“. Zum Beweis führt er seinen Lebenslauf an. In den 60er Jahren promovierte er bei Alfred Müller-Armack. Der verhandelte als Adenauers Europa-Staatssekretär die Römischen Verträge mit und gilt als Schöpfer des Begriffs der sozialen Marktwirtschaft. Starbatty ist für die AfD ein wichtiges Bindeglied zum Milieu der alten, westdeutschen CDU, auch wenn er selbst schon 1994 austrat.

Nach seiner Wahl klang es fast so, als gehe für Starbatty mit dem Wechsel auf die Brüsseler Bühne ein Lebenstraum in Erfüllung: „Ich habe mich 50 Jahre lang immer wieder wissenschaftlich mit Europa auseinandergesetzt. Wenn ich jetzt höre, welchen Unsinn andere Abgeordnete über Europa erzählen, dann kann ich das kaum ertragen.“ Den ordoliberalen VWL-Professor, der im schwäbischen Tübingen wohnt, zieht es allerdings nicht in die EU-Währungspolitik. Starbatty will Mitglied des Auswärtigen Ausschusses werden. Im Wahlkampf, sagt er, habe er im Grunde „etwas polemisch gewürzte Vorlesungen“ gehalten. Mal sehen, wie viel Gelegenheit er dazu noch in Brüssel haben wird.

Joachim Zeller

Joachim Zeller
Joachim Zeller

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Joachim Zeller ist Pragmatiker und Berliner, der in „Bezirksstrukturen“ denken kann. Er kennt die Nöte, die Finanzsorgen der Kommunen. Der 61-jährige CDU-Politiker war Bezirksstadtrat, dann zehn Jahre lang bis 2006 Bezirksbürgermeister in Mitte, danach wieder Stadtrat, bis er 2009 ins EU-Parlament gewählt wurde. Zeller weiß, wie wichtig die Wirtschaft für die Bezirke ist. Deshalb stimmte der lebenslange Nichtraucher im EU-Parlament gegen die Tabakrichtlinie. Seine Begründung: Durch das Regelwerk können Hunderte von Arbeitsplätzen in der Tabakindustrie in Berlin gefährdet sein. Außerdem gebe es schon genügend Vorschriften für den Nichtraucherschutz in der Öffentlichkeit.

„Nicht alles muss in Brüssel entschieden werden“, sagt Zeller, der als Spitzenkandidat der Berliner CDU-Politiker ins EU-Parlament gewählt wurde. In seiner zweiten Legislaturperiode möchte er erneut im Ausschuss für Regionale Entwicklung arbeiten. Ohne Mittel aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (Efre) und dem Europäischen Sozialfonds (ESF) wären der Aufbau des Wissenschaftsstandortes Berlin-Adlershof oder die Gedenklandschaft Berliner Mauer nicht möglich gewesen. Die national verabschiedeten operationellen Programme landen zurzeit peu à peu in Brüssel und werden geprüft. 2016 soll ein Halbzeitbericht veröffentlicht werden. „Es ist doch wichtig, wie das umgesetzt wird. Es soll ja auch ein europäischer Nährwert dabei herauskommen.“

Der studierte Slawist würde gern im Entwicklungsausschuss arbeiten. In der letzten Legislaturperiode war er Mitglied der Delegation in den parlamentarischen Kooperationsausschüssen EU-Kasachstan, EU-Kirgistan, EU-Usbekistan und für die Beziehungen zu Tadschikistan, Turkmenistan und der Mongolei.

Joachim Zeller wohnt in Brüssel im Hotel. Er bleibt ohnehin gern lange im Büro. Wenn alle weg sind, holt er seine schwarze Takamine-Westerngitarre raus und spielt Folk oder Blues. Das beruhigt, sagt er.

Maria Heubuch

Maria Heubuch
Maria Heubuch

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Maria Heubuch zieht es in den Ort, der schon lange ihr Leben beeinflusst. Wie sehr die Europäische Union mittlerweile unseren Alltag bestimmt, weiß nämlich wohl kaum einer besser als jemand, der in der Landwirtschaft arbeitet. Für die 30 Hektar ihres Hofes in der Nähe von Leutkirch im württembergischen Allgäu erhält sie Geld aus dem Brüsseler Agrartopf und muss dafür vielfältige Bedingungen erfüllen und umfangreiche Formulare ausfüllen. „Ich weiß“, sagt also die Grüne, die nach einer Zitterpartie auf Listenplatz elf gerade noch so eben ins Europaparlament eingezogen ist, „wie die EU vor Ort ankommt.“

Ihr politisches Engagement hat denn auch mit ihrem Beruf zu tun. Als „Bäuerin aus Leidenschaft“, wie sie sich selbst bezeichnet, ärgerte sie sich Anfang der 90er Jahre über die Milchquote – und engagierte sich in der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, deren Vorsitzende sie schließlich wurde. „Mein Mann und ich spüren schon den Druck, immer mehr zu produzieren, worunter automatisch die Qualität leidet“, sagt sie. Auch deshalb reizt es sie nun, „von der Ebene der Interessenvertretung und der Nichtregierungsorganisationen in die parlamentarische Arbeit zu wechseln“. Der ältere der beiden erwachsenen Söhne steigt dafür nun in den Betrieb ein, damit die Mama genug Zeit für die Politik hat. Und natürlich hofft sie, einen Platz im Agrarausschuss zu ergattern.

Maria Heubuchs Hof ist kein Bio-Bauernhof, wie man bei jemandem, der seit 30 Jahren bei den Grünen aktiv ist, vielleicht vermuten könnte. „Man kann auch so sehr umweltbewusst arbeiten“, sagt sie dazu. Was es gibt, ist eine Biogasanlage und Fotovoltaik auf dem Dach, erzählt die Frau, die nach einer emotionalen und bodenständigen Rede auf dem Nominierungsparteitag etwas überraschend als Nachfolgerin des Grünen-Urgesteins Heide Rühle auserkoren wurde. Die 55-Jährige will auch in der Brüsseler Politikmaschine versuchen, sich treu und geerdet zu bleiben: „Und wenn es anders wäre“, glaubt sie, „würden mich die Bauern da schnell wieder runterholen.“

Martina Michels

Martina Michels
Martina Michels

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Das Thema Europa ist in ihrer Biografie fest verwurzelt. Martina Michels, „in Prenzlauer Berg geboren und in Friedrichshain aufgewachsen“, wie sie sagt, studierte Philosophie und arbeitete zu DDR-Zeiten unter anderem im Ministerium für Gesundheitswesen, wo sie an der Vorbereitung von Abkommen mit Ostblockländern mitarbeitete. Sie kümmerte sich darum, dass nach Tschernobyl Kinder aus den betroffenen Regionen Hilfe in der DDR erhielten oder dass Mukoviszidosekranke aus der damaligen UdSSR in der DDR behandelt wurden. Reisen durfte sie nicht. „Ein West-Kader war ich nicht. Ich hatte dafür eine zu große Klappe, war Frau mit zwei Kindern und ohne politische Funktion in der SED.“

Erst nach der Wende wurde die 58-jährige Linke in der SED-Nachfolgepartei PDS politisch aktiv. 1991 zog sie ins Abgeordnetenhaus ein, war lange Jahre europapolitische Sprecherin ihrer Fraktion, dann Vorsitzende des Europaausschusses. Von 2003 bis 2013 arbeitete sie als einzige deutsche Linke im EU-Ausschuss der Regionen mit. Die Kommission, der Rat und das Parlament müssen den Ausschuss der Regionen anhören, bevor sie Beschlüsse fassen, die regionale Regierungen betreffen. 2009 schaffte Michels den Sprung nach Brüssel auf Platz neun der Europaliste nicht.

Im vergangenen September zog sie als Nachrückerin für Lothar Bisky ins EU-Parlament. „Ich wurde da reinkatapultiert.“ Michels wurde vom Ausschuss für Kultur und Bildung zur Vize-Vorsitzenden gewählt. Bei der EU-Wahl kandidierte sie auf Platz sieben. Genau sieben Mandate konnte die Linke gewinnen. Michels, die eine kleine Wohnung in Brüssel hat, freut sich auf ihre Arbeit. Sie möchte gern wieder in „ihren“ Ausschuss und am Aufbau einer europäischen Erinnerungskultur arbeiten.

Früher hat Martina Michels Eulen gesammelt. 300 Exemplare aus Holz, Papier, Metall besaß sie. Ein solcher „Staubfänger“, wie sie sagt, steht noch auf ihrem Schreibtisch in Brüssel. Und statt Eulen hat sie heute einen anderen Tick: große Armbanduhren.

Martin Sonneborn

Martin Sonneborn
Martin Sonneborn

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Dass nicht alle besonders begeistert sind über den Einzug von Martin Sonneborn ins Europaparlament, hat er sich wohl selbst zuzuschreiben. Vielleicht hätte die politische Konkurrenz dem 49-jährigen Satiriker noch als Witz durchgehen lassen, dass er in Brüssel „Irre und Verhaltensauffällige“ unter der Fahne der Die Partei versammeln möchte. Doch das von ihm gleich am Montag nach der Wahl angekündigte ausgeklügelte Rotationsverfahren stieß auf deutliches Unbehagen.

Laut diesem soll sich jeder Die-Partei-Mann auf der Liste nur für einen Monat in Brüssel zeigen, um dann einem Nachrücker Platz zu machen. Dafür locken laut Sonneborn satte Bezüge von 33 000 Euro, mit denen sich dort „ein schöner Urlaubsmonat“ machen lasse. Zum einen verdienen EU-Parlamentarier aber „nur“ 13 000 Euro, mit den restlichen 20 000 Euro sind Mitarbeiter zu beschäftigen. Und: Übergangsgeld nach Ausscheiden aus dem Parlament, das Sonneborn für sich und seine Parteifreunde ebenfalls öffentlich reklamierte, gibt’s erst ab einem Jahr Präsenz. Sonneborn sei „noch nicht mal in Brüssel angekommen – aber er hat sich schon in der Bürokratie verstrickt“, lästerte der Grüne Sven Giegold.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) fand: Parteien, die sich am Tag nach der Wahl einen Spaß daraus machten, sich publikumswirksam zurückzuziehen, leisteten keinen Beitrag zur Demokratie, eher im Gegenteil. Und die CDU-Europaabgeordnete Inge Gräßle wollte den ehemaligen Chefredakteur der „Titanic“ gleich vor das „Europäische Amt für Betrugsbekämpfung“ zerren. Ob Sonneborn, so zurechtgewiesen, seinen Brüssel-Aufenthalt doch noch verlängert, ist vorerst offen.

Nur Gregor Gysi findet den neuen EU-Politiker offenbar witzig. Der selbst mit Entertainerqualitäten ausgestattete Linke-Politiker lud Sonneborn und die Piratin Julia Reda per Twitter in sein Berliner Büro ein: „Vielleicht haben Sie Lust, mit mir über die Herausforderungen an Abgeordnete zu sprechen. Ich täte es gern.“ Beide haben bereits zugesagt.

Michael Cramer

Michael Cramer
Michael Cramer

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Vor 35 Jahren hat sich Michael Cramer für ein Leben ohne Auto entschieden. Der 64-jährige Grünen-Politiker ist ein begeisterter Fahrradfahrer, hat den 160 Kilometer langen Berliner Mauerweg für Fahrräder und Fußgänger initiiert. Auf europäischer Ebene ist Cramer der Wegbereiter des inzwischen auf 10 000 Kilometer ausgebauten Europa-Radweges „Iron Curtain Trail“, der die Geschichte des Eisernen Vorhangs „erfahrbar“ macht. 5000 Kilometer der Strecke ist er selbst abgefahren.

15 Jahre Berliner Abgeordnetenhaus lagen hinter dem Sport- und Musiklehrer, als er 2004 das erste Mal ins Europarlament gewählt wurde. Jetzt zieht der verkehrspolitische Sprecher der grünen Europa-Fraktion als einer von elf deutschen Grünen das dritte Mal ins Parlament ein und wird wohl wieder im Verkehrsausschuss arbeiten. Gerne würde er auch in den Kulturausschuss. In der vergangenen Legislaturperiode sei das wegen paralleler Veranstaltungen aber nicht möglich gewesen.

Michael Cramer ist überzeugter Europäer und setzt sich dafür ein, dass grenzüberschreitende Verbindungen absolute Priorität haben. Er ärgert sich maßlos, wenn Politiker ihre Verantwortung auf Brüssel abwälzen. „Ich kenne kein Gesetz von Relevanz, dem die Bundesregierung nicht zugestimmt hat. Also muss man Europa nicht immer madig machen.“ Die europäischen Verkehrspolitiker hätten die Kostenerstattung für Verspätungen nicht nur im internationalen, sondern auch im nationalen Transport durchgesetzt. „Das wollten Kommission und Rat zunächst nicht, aber da haben wir Verkehrspolitiker uns durchgesetzt und gesagt, dass wir so einen Blödsinn nicht mitmachen.“

Cramer betrachtet Brüssel als seinen Arbeitsplatz und hat dort eine Wohnung, in Straßburg wohnt er im Hotel. Und je nach Terminlage fährt er wie viele andere an den Wochenenden wieder nach Berlin. Er betont gern, dass die EU-Parlamentarier 42 Sitzungswochen haben – im Gegensatz zu den 22 Sitzungswochen der Bundestagsabgeordneten.

Sylvia-Yvonne Kaufmann

Sylvia-Yvonne Kaufmann.
Sylvia-Yvonne Kaufmann.

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„Ich freue mich riesig ...“, sagt die Sozialdemokratin Sylvia-Yvonne Kaufmann über ihre Wahl. Um dann noch gleich einen politisch korrekten Halbsatz anzufügen: „... dass ich für die Vertiefung der europäischen Integration arbeiten darf“. Offenkundig angekommen ist sie in der SPD, die 59-Jährige. Einer Partei, von der sie sagt, dass sie sich keine Sorgen machen müsse um deren „klar proeuropäische Linie“.

Das ist eine Spitze gegenüber ihrer früheren politischen Heimat. Sie war in der SED (seit 1976), PDS und Linke (bis 2009). Nach zehn Jahren im Europaparlament, davon drei Jahre als Vizepräsidentin, hatte sie die Linke nicht erneut aufgestellt. Wütend und enttäuscht verließ sie die Partei, ihr Übertritt zur SPD wurde vom damaligen Parteichef Franz Müntefering auf großer Bühne im Willy-Brandt-Haus in Szene gesetzt. Bei der Linken in Erinnerung geblieben ist Kaufmann sowohl mit ihrem spektakulären Abgang als auch mit einer tränenreichen Rede auf dem PDS-Parteitag 2000 in Münster, mit der sie – gegen den Willen von Gregor Gysi und Lothar Bisky – durchsetzte, dass die Partei seinerzeit strikt gegen UN-Militäreinsätze blieb.

Für die SPD hatte es Symbolkraft, dass eine langjährige Linke-Politikerin die Seiten wechselte. Ihre Führung hoffte auf weitere pragmatische Genossen, doch sie kamen nicht. Kaufmann indes ließ man warten. Sie rackerte an der Parteibasis in Lichtenberg, ihre Nominierung für die Europaliste musste sie in der Berliner SPD gegen innerparteiliche Widerstände erkämpfen. Wenn ihr demnächst frühere Kollegen von der Linksfraktion über den Weg laufen, will sie „freundlich grüßen“, wie sie dem „Neuen Deutschland“ versicherte. Sie möchte sogar ausloten, wo es zwischen beiden Parteien Schnittmengen gibt, „da bin ich absolut offen“. Inhaltlich wünscht sich Kaufmann, an die alte Zeit in Brüssel anknüpfen zu können – mit den Themen Bürgerrechte, Inneres und Justiz.

David McAllister

David McAllister
David McAllister

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Wäre David McAllister nicht gerade erst 43 Jahre alt, könnte man ihn für den sprichwörtlichen Opa halten, den man nach Europa schickt: Wahl verloren, Amt verloren – letzte Ausfahrt Europaparlament. Aber Angela Merkel hätte den Niedersachsen kaum zum nationalen Europa-Spitzenkandidaten der CDU gemacht, wenn sie nicht davon ausginge, dass aus dem jungen Mann noch etwas wird. Das EU-Parlament ist Zwischenstation für einen Weg mit offenem Ende – er kann weiter nach Europa führen, aber auch zurück in die deutsche Politik.

Als er – denkbar knapp – die Wahl in Niedersachsen verloren hatte, stand für McAllister bald fest, dass seine Zukunft nicht als Oppositionsführer in Hannover liegt. Eine denkbare Karriere in Berlin versperrte die nächste Wahl – in der großen Koalition sind Posten stets knapp. So entschied sich der Deutsch-Schotte, der in Berlin aufgewachsen wist, für Europa. Kontakte nach Großbritannien hat er schon als Landesvater gepflegt, sein Englisch ist natürlich perfekt – als Grundausstattung ist das mehr, als mancher andere nach Brüssel und Straßburg mitbringt. Französisch lernt er gerade.

Ohnehin präsentiert sich McAllister im Moment gern als Lernender. Wer in den Wahlkampfwochen wissen wollte, für welche Ämter denn so der Titel des „Spitzenkandidaten“ prädestiniert, bekam eine bescheidene Auskunft: Er gehe als ganz normaler Abgeordneter in das neue Parlament, wolle sich dort erst mal umschauen und zurechtfinden; später könne man ja weiter sehen.

Das wirkt wie Koketterie. Aber tatsächlich sind bisher die Ämter eher zu McAllister gekommen als umgekehrt; das galt für den Fraktions- und den Parteivorsitz in Niedersachsen ebenso wie für den Job des Ministerpräsidenten, den er von seinem Mentor Christian Wulff erbte. Und in seiner Altersklasse sind die Talente in der CDU nicht dicht gesät; solche mit distinguiert konservativer Anmutung bei liberaler Denkungsart erst recht nicht.

Inge Gräßle

Inge Gräßle.
Inge Gräßle.

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Inge Gräßle kokettiert gern damit, dass sie auch nach zehn Jahren politischer Arbeit in Brüssel dort nicht sonderlich beliebt ist. Für die Herren Barroso, Van Rompuy oder Schulz ist sie ein Plagegeist, der immer wieder Schlagzeilen hervorruft, weil etwas schiefgelaufen ist in der EU. Das hat mit dem Job der 53-Jährigen aus Heidenheim in Baden-Württemberg zu tun. Denn als besonders engagiertes Mitglied im Haushaltskontrollausschuss des Europaparlaments schaut sie – ganz die Bilderbuch-Schwäbin – genau aufs Geld. Sie sei „in Brüssel der Hofkehrer“, hat die CDU-Abgeordnete einmal gesagt. „Und ich kehre auch in den Ecken.“

Sie verbeißt sich in Budgetpläne und Kostenstellen, berechnet, wie viel Personal die EU-Kommission eingestellt hat, was der neue Auswärtige Dienst kostet, wie viel Freizeit den Beamten bei ihrem sehr ordentlichen Salär zusteht oder wofür Fördermittel in Griechenland oder Bulgarien ausgegeben werden. Die Gemeinschaft nimmt Jahr für Jahr schließlich knapp 140 Milliarden Euro Steuerzahlergeld in die Hand. Besonders unbeliebt hat sie sich mit der Reform des Beamtenstatuts gemacht, die deren Privilegien beschnitten hat. Direkt mit EU-Kommissionschef José Manuel Barroso legte sie sich an, als sie nach dem Rausschmiss des für die Tabak-Gesetzgebung zuständigen Kommissars John Dalli unbequeme Fragen stellte. Dann lästert auch schon mal die eigene Partei über sie.

Warum tritt sie ihre dritte Legislaturperiode in Brüssel an? „Die Anerkennung für meine Arbeit kommt nur von außen“, gibt Gräßle zu. Sie will aber auch festgestellt haben, dass durch ihre ständige Nerverei „das Problembewusstsein größer geworden“ ist – und das nicht nur im Politikbetrieb der europäischen Hauptstadt, sondern zum Beispiel auch in Griechenland. Gerade deshalb dürfe man jetzt nicht nachlassen im Bemühen um mehr europäische Kostentransparenz und Betrugsbekämpfung. Gräßle will daher gar nichts Neues ausprobieren im Europaparlament: „Ich will wieder in den Haushaltskontrollausschuss – ist doch klar.“

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