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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) muss nun auf das Ergebnis des SPD-Sonderparteitages warten.

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Nach der Sondierung: Wie geht's Angela Merkel?

Sie kann nur warten. Der SPD-Parteitag in einer Woche entscheidet, ob eine neue große Koalition eine Chance hat. Dabei geht es auch um das politische Schicksal von Angela Merkel.

Von Robert Birnbaum

Wenn Angela Merkel etwas nicht leiden kann, dann ist es Kontrollverlust. Auf den Lauf der Dinge keinen Einfluss zu haben, nichts bewegen zu können, nicht einmal und gerade nicht hinter den Kulissen, von anderen vollständig abhängig zu sein – keiner mag solche Momente. Die Kanzlerin mag sie gar nicht.

Aber was hilft’s? Die lange Nacht der Sondierung ist überstanden, jetzt folgt die lange Woche des Wartens. Nicht mal der Terminkalender verspricht Ablenkung. Am Mittwoch kommt der neue österreichische Regierungschef Sebastian Kurz zum Antrittsbesuch, am Freitag IWF-Chefin Christine Lagarde zum informellen Arbeitstreffen, dazwischen der Trauer-Staatsakt für Altbundestagspräsident Philipp Jenninger. Das war’s an amtlichen Pflichten. Und dazwischen kann die CDU-Vorsitzende nichts tun als hoffen, dass Martin Schulz keine Fehler macht bis zu diesem SPD-Parteitag, der über ihr Schicksal entscheidet.

Echte Sorge bereitet er der Kanzlerin in spe aber erkennbar nicht. Als sie am Freitag der eigenen Fraktion die 28 Seiten Sondierungsergebnisse kurz erläuterte, vermittelt sie den Eindruck: Die Gefahr ist vorbei. Das Presseecho wird bestenfalls durchwachsen, FDP und Grüne schimpfen schon laut auf Kompromisse, die sie aber als Jamaika-Partner selbst akzeptiert hätten. Aber die Hauptsache ist doch, dass eine neue Regierung nun weit wahrscheinlicher geworden ist als Minderheitsgewürge und Neuwahlen. Fraktionschef Volker Kauder hält eine Lobrede, die Fraktion applaudiert lange – inklusive der üblichen Verdächtigen.

Merkel lächelte und war in Gedanken doch schon beim übernächsten Schritt: Mit Koalitionsverhandlungen müsse man fertig sein, „bevor Fasching kommt“. Also bis Mitte Februar, weil die SPD-Mitgliederbefragung ja auch noch Zeit braucht. Merkel will vor Ostern wieder voll im Amt sein und nicht nur geschäftsführend. Die Welt, das hat sie jetzt oft gesagt, wartet nicht auf Deutschland.

Aber hinter Merkels Drängen steckt noch ein Zweites: Auch ihre Uhr läuft. Realistisch lässt eine Wahlperiode knappe drei Arbeitsjahre zwischen Kanzlerwahl und Start in den Wahlkampf. Ein Vierteljahr davon fehlt jetzt schon. Das Jahr 2018 wird absehbar überdröhnt vom Landtagswahlkampf in Bayern und erschwert durch die Diadochenkämpfe um Horst Seehofers letztes christsoziales Amt, den Parteivorsitz. Die prägten schon die Sondierung: Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und Generalsekretär Andreas Scheuer kassierten einen Flüchtlingskompromiss ein, den ihr eigener Landesinnenminister Joachim Herrmann mit formuliert hatte. Dobrindt ist 47 Jahre alt, Scheuer 43. Ihr Ehrgeiz ist so unübersehbar wie die Bereitschaft, ihn mit Ellenbogen durchzusetzen.

Dann sind da die üblichen Verdächtigen in Merkels eigener Partei. Bis zur Regierungsbildung hat sie Ruhe. Nichts diszipliniert Karriereorientierte so gründlich wie die Hoffnung auf ein Amt. Danach wird das Rumoren und Füßescharren weitergehen, und es wird jedes Mal anschwellen, wenn irgendein Großkolumnist wieder, diesmal aber ganz sicher zu wissen vorgibt, dass die Kanzlerin ihren selbstbestimmten vorzeitigen Abgang vorbereite. Oder wenn der nächste Großkolumnist gehört haben will, dass die SPD aussteigt.

Ist nicht schon im Sondierungspapier eigens festgehalten, dass zur Halbzeit Zwischenbilanz gezogen und eventuell „auf Grund aktueller Entwicklungen neue Vorhaben“ vereinbart werden sollten? Die Revisionklausel eröffnet den Weg zu einer neuen langen Nacht mit gezieltem Scheitern. Nun lässt sich allerdings eine einmal gewählte Kanzlerin nur sehr schwer abservieren. Auch darum spricht viel dafür, dass das Datum für Merkels Abgang im Grunde feststeht: Weihnachten 2021, wenn nach der nächsten Bundestagswahl eine neue Koalition vereinbart ist und den oder die Nächste erwählt.

Angela Merkel muss die Koalition der Unwilligen führen

Für die Amtsinhaberin macht das die Sache nicht leichter. Sie muss eine Koalition der Unwilligen führen, die sich selbst vom Start weg ein widersprüchliches Ziel auflastet. CDU, CSU und SPD wollen einerseits gesellschaftliche Konflikte befrieden – sprich: der AfD den Nährboden entziehen. Zugleich wollen alle einzeln sichtbar bleiben. Wie das ohne taktisches Dauergezänk abgehen soll – das den Boden der Populisten düngt –, ist ein ziemliches Rätsel.

Für die CDU-Vorsitzende ist die Sache doppelt schwer. Merkel hat sich bei der Förderung von Nachwuchskräften bisher als gelassene Darwinistin verhalten. Sie gibt Leuten ein Amt in Partei oder Regierung, aber etwas daraus machen müssen die schon selbst. Typisch ihr Satz, für den Kanzler- oder Parteichefjob habe sich noch stets einer gefunden, der ihn unbedingt machen wolle. Die Idee, ein Vorgänger müsse seine Nachfolge regeln, findet sie genau so weltfremd wie die Leitartiklersehnsucht nach dem „großen Wurf“ im Regierungshandeln. Die Erfahrung gibt ihr überwiegend Recht. Zuletzt musste Seehofer erleben, wie wenig man sich den Erben aussuchen kann.

Trotzdem bleibt auch eine gelassene Darwinistin in der Pflicht, der Partei und sich selbst gegenüber. Merkel hat die CDU für Menschen wählbar gemacht, die das vorher strikt ausgeschlossen hätten; sie hat zugleich andere vergrault. In der Summe war die Öffnung ins Bürgerlich-Nichtkonservative trotzdem mehr als ein Nullsummenspiel, auch wenn die Zahlen des 24. September 2017 das aktuell überdecken. Das miserable Ergebnis der Bundestagswahl war die Quittung für die Flüchtlingspolitik. Dass manche echte und alle Konjunkturkonservativen in der CDU es als Merkels politische Gesamtbilanz deuten und zum Rückmarsch blasen wollen, ist Teil dieser leise anschwellenden Diadochenkämpfe.

Deren Ausgang bestimmen kann sie nicht, ihren Verlauf ein bisschen lenken schon. Wer dies Gefecht aus welcher Position heraus führen kann, darauf hat sie ja Einfluss. Laut redet niemand über Ministerposten oder darüber, wer nächster CDU-Generalsekretär nach Peter Tauber wird. Hinter geschlossenen Türen denkt jeder laut nach. Kommt Julia Klöckner aus Rheinland-Pfalz an den Kabinettstisch? Die forsche 45-Jährige hat noch keine Wahl gewonnen, aber die CDU-Parteitage lieben sie. Holt Merkel Annegret Kramp-Karrenbauer nach Berlin? Die Saar-Regierungschefin ist gescheit und erfolgreich, eine sozial sensible Konservative ohne Angst vor der Moderne. Was wird aus dem Medienstar Jens Spahn? Wer von den Erfahrenen bleibt im Kabinett – und wer muss den Platz räumen?

Ach ja, und für die Zukunft des Landes arbeiten muss sie ja dann wohl auch noch. Am Freitag nach der zermürbenden Nacht hebt Schulz Erfolge der SPD hervor und Seehofer nennt Erfolge der CSU. Merkel setzt drei Schwerpunkte, denen die Parteipolitik nicht so direkt anzusehen ist. Der eine ist „Sicherheit“ im wörtlichen und im übertragen sozialen Sinne für die Bürger: Die Leute wollten, „dass das Land funktioniert“. Der zweite ist Tempo: Schnellere Planungen, schnellerer Bau, den Rückstand auf dem Weg zur digital vernetzten Wirtschaft und Gesellschaft wettmachen. Und, zuletzt, ein „neuer Aufbruch für Europa“.

Den hätte eigentlich ja schon Schulz verkünden sollen; aber der SPD-Chef vergisst an diesem müden Morgen wohl schlicht, sein Herzensthema zu erwähnen. Aber verhindern müssen sie sowieso gemeinsam, dass sich dieses Europa weiter wildwüchsig spaltet in einen krisenanfälligen Süden, einen demokratisch legitimierten, aber autokratisch zugerichteten Osten und einen schrumpfenden Kern.

Viel zu tun also für knapp drei Jahre netto. Aber vorher muss jetzt erst dieser SPD-Parteitag zustimmen und danach die SPD-Basis. Schulz darf keinen Fehler machen in der Zeit, und die CSU muss Ruhe geben. Vielleicht will Merkel auch deshalb vor Fasching fertig sein: Spätestens am Aschermittwoch sind die Bayern nur noch schwer zu halten.

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