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Angela Merkel während ihrer Erklärung zum Ausgang der Präsidentschaftswahlen in den USA vor der Blauen Wand im Bundeskanzleramt in Berlin.

© imago/IPON

Nach der US-Wahl: Angela Merkel: Anti-Trump und Populistin

Die Woche, in der Donald Trump gewählt wird, verändert den Blick auch auf sie: Angela Merkel als Anti-Trump? Für die Mehrheit macht sie populäre Politik. Für andere, auch in der Union, ist sie populistisch.

Die Kanzlerin liest ab, Wort für Wort. Besser ist besser, und pragmatisch ist es außerdem. Soll keiner sagen, sie hätte etwas Falsches gesagt, nicht wahr? Sie ist ja nicht Donald Trump, soll das nebenbei auch sagen, sie redet nur über ihn. In gezirkelten Sätzen, wie sie so ist. Doch werden ihre Sätze weit über diese Woche hinaus Wirkung entfalten. Sie schleichen sich in ihrer Wirkung gewissermaßen an, wie die Erkenntnisse nach dieser Wahl.

Welch ein Tag, der Mittwoch nach der Wahl in Amerika. Und welch eine Woche daraus geworden ist. Was Angela Merkel da so alles erlebt hat. Wie sie sich gesteigert hat. In ihrer Bedeutung.

So fing es an:

Am Montagnachmittag steht der Besuch der Ausländerbehörde Berlin auf ihrer Agenda, weil sich Merkel, so wie sie ist und ihre Mitarbeiter sie kennen, „exemplarisch“ ein Bild über die „konkrete Situation in einer Ausländerbehörde“ machen will, inklusive Aufbau der Behörde und Arbeitsablauf. Und das kann ja auch nicht schaden, werden sie sich gedacht haben, angesichts der Themen, die ihr in dieser Hinsicht gerade um die Ohren fliegen.

Der Dienstag: Die Kanzlerin begrüßt gegen Mittag die norwegische Ministerpräsidentin Erna Solberg. Business as usual gewissermaßen für die Kanzlerin, die mächtigste Frau Europas, ja der Welt, wenn man dem Urteil eines amerikanischen Magazins folgt: ein bisschen Bilaterales, dann die Wirtschaft und, unvermeidbar, „aktuelle außen- und europapolitische Fragen“.

Bei diesem Thema schleicht sich die Wahl in den USA aber schon an. Nur gilt zu dem Zeitpunkt noch: Alles ist offen, nichts ist schon gelaufen.

The Day After

Jetzt ist er da, der Mittwoch, der Tag danach. The Day After. Das Beben in den USA ist Gewissheit, Ausläufer erreichen das Kabinett, wo einige Minister sich ja schon sehr deutlich geäußert haben über Donald Trump, der gewonnen hat. Trump, der „Hassprediger“, wie ihn der sonst doch höchst diplomatisch formulierende Außenminister und unerklärte bundesdeutsche Präsidentschaftskandidat Frank-Walter Steinmeier vor der Wahl genannt hat. Bis dahin galt Hillary Clinton auch noch als wahrscheinliche Siegerin.

Die Bundeskanzlerin hat das Wort. Was sich angeschlichen hat, nähert sich der Klimax des Tages und in Merkels Woche. Ein Telegramm hat sie Donald Trump schon geschickt, diese „gefährliche Frau“, wie er im Wahlkampf fand, aber eines mit Glückwünschen. Was sich an diesem Tag nicht gefährlich, höchstens besonders doppeldeutig liest.

USA waren immer ein Sehnsuchtsort für Merkel

Es folgt als Höhepunkt ihr „Statement“. So wird eine Erklärung inzwischen auch hierzulande genannt. Merkel steht da vor der deutschen und der europäischen Fahne am Pult im Kanzleramt, öffnet ihre Mappe mit dem aufgeprägten Bundesadler. Sie betont als Erstes, was alle denken. Nämlich, dass die Wahl eines amerikanischen Präsidenten eine besondere Bedeutung weit über die USA hinaus hat. Und dass die Beziehungen Deutschlands zu den USA besonders eng sind, „mit keinem Land außerhalb der Europäischen Union haben wir eine tiefere Verbindung“. Sie persönlich auch nicht, die USA waren immer auch ein Sehnsuchtsort für Merkel, als sie noch nicht Kanzlerin war. Am besten hat das übrigens ein Republikaner verstanden: George W. Bush. Lang ist’s her.

Ein Teil ihrer Antwort auf Trump ist eine Regierungserklärung: Mit den Werten als Basis bietet sie dem künftigen Präsidenten Trump enge Zusammenarbeit an, auf dass die Partnerschaft mit den USA ein Grundstein der deutschen Außenpolitik bleibe. Warum? Das erklärt sich im Grunde von selbst, aber nur fast, denn nach Trumps Sieg ist ja nichts mehr selbstverständlich: „Damit wir die großen Herausforderungen unserer Zeit bewältigen können: das Streben nach wirtschaftlichem und sozialem Wohlergehen, das Bemühen um eine vorausschauende Klimapolitik, den Kampf gegen Terrorismus, Armut, Hunger und Krankheiten, den Einsatz für Frieden und Freiheit – in Deutschland, in Europa und in der Welt“.

Nun ist sie Kanzlerin der freien Welt

Merkel und die Vereinigten Staaten, das ist, neben allem anderen, eine besondere Beziehung. Denn sie ist doch die Pfarrerstochter aus der DDR, die Physikerin wurde, in der Wendezeit zum Demokratischen Aufbruch fand und Vizeregierungssprecherin der letzten, der ersten frei gewählten Regierung der DDR wurde. Für sie sind die Vereinigten Staaten deshalb noch umso mehr eine „alte und ehrwürdige Demokratie“, sie empfindet sie als geradezu gewaltig, „als großes, wirtschaftlich und militärisch starkes Land“. Wer das Land regiert, von dem erwartet sie wirklich, dass er die Verantwortung spürt, die gemeinsame, zumal die für diese gemeinsamen Werte: „Demokratie, Freiheit, Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Einstellung“.

Das alles, so bedeutsam es sich liest, wird von ihr ordentlich vorgetragen, nüchtern, Satz für Satz, Punkt für Punkt. Angela Merkel wirkt dabei so ganz anders als Donald Trump. Aber klingen ihre Worte nicht wie eine Bedingung? Gewiss sind sie das: eine für Trump. Das auch. Und zugleich markiert Merkel ihre Position, ihre höchsteigene, wenngleich das angesichts des großen Bebens fast beiläufig geschieht. Mit diesen Sätzen aber wird sie zur Kanzlerin der freien Welt. Indem sie den Anti-Trump gibt.

Mit einem Mal, diesem Mal, wird der Blick frei. Es ist ein veränderter – auf sie. Die Worte vom Mittwoch, von ihr weitgehend wiederholt in einem Telefonat mit Trump am Donnerstag, werden zur Zäsur. Die Kanzlerin wird sich an ihnen messen lassen müssen, so groß sind sie in ihrem Anspruch. Größer werden damit in einem Zug die Anforderungen an sie. Merkel als Anti-Trump – das kann eine Strategie sein, mit der sie in den USA Wirkung erzielt, in Europa und hier, in ihrem Land, wo die Populisten hoffen, von Trump zu profitieren. Und wo sie schon jetzt mit Merkels populärem Pragmatismus kollidieren. Populär ist der bei der Mehrheit der Bevölkerung, nicht unbedingt in ihrer Partei, der konservativen. Die macht sich selten Luft, aber manche gibt es doch, die sie so sehen – als diejenige, die wie ein wandelndes überparteiliches Bündnis handelt.

Atomausstieg, Ende der Wehrpflicht, Flüchtlinge

Denn das sind die mit ihr verbundenen Entscheidungen: der Atomausstieg. Die Griechenlandhilfe. Das veränderte Familienbild. Die Gleichstellung von Frauen und Homosexuellen. Die offenere Haltung zum Islam in Deutschland, die offene zu Deutschland als Einwanderungsland. Das Ende der Wehrpflicht. Die lange weit geöffneten Tore für Flüchtlinge. Aber auch, dass die jetzt geschlossen sind. Und ihr Kabinett verabschiedet am Freitag für die Industrie einen Klimaschutz light. Wie in der Union zwischen populärer und populistischer Politik differenziert wird, dass sie durchaus diskutiert und anhand der Politik der Kanzlerin auch kritisiert wird – wer weiß das schon? Wenn Merkels Gefolgsleute beim Thema Populismus mit dem Finger auf CSU-Chef Horst Seehofer zeigen, dann können dessen Leute doch sagen, dass drei Finger derselben Hand auf die CDU zurückverweisen. Denn viele der genannten Punkte werden umgekehrt in Bayern als populistisch empfunden, als untaugliche Politik für konservative Parteien sowieso. Und das gilt nicht nur für die CSU, das finden einige, etliche auch in der CDU. Atomausstieg, das Ende der Wehrpflicht, ein „aufgeweichtes“ Familienbild … Für die einen ist es populistisch, bei den anderen ist es populär und Merkel mit einem Mal überall verortet, bei den Rechten wie den Linken.

Wird sie das stärken?

Dazu passt, was der Historiker Paul Nolte sagt: dass sie nicht einfach nach links gerückt, sondern vielmehr dem gesellschaftlichen Zeitgeist gefolgt sei, der längst auch ihre eigene Partei erfasst gehabt habe. „Sie hat festgestellt, dass ihre Wähler gar nicht mehr so konservativ sind, wie ihre Vorgänger dachten.“ Dann wäre also Merkel die Kanzlerin, die dem Zeitgeist folgt. Und so, wie die Rechten sagen, Merkel sei nach links gerückt, können die Linken sagen, sie habe die Mitte nach rechts verschoben, mitten hinein in ihre CDU. Meint Nolte, der Berliner Professor für Neuere Geschichte. Die von Merkel mitgeprägt wird, so und so.

War das eine Woche! Was die Bundeskanzlerin da alles erlebt hat. Es ist noch nicht entschieden, ob es sie stärken oder schwächen wird. Die neueste Geschichte ist die der Wahl eines Populisten, der zur Herausforderung für die Welt wird. Für Angela Merkel in ihrer Zeit als Kanzlerin außerdem. Und da, am Ende, stellt sich plötzlich die Frage, was die CDU, die CSU, die gesamte Bundesrepublik mit ihr wohl noch alles erleben wird.

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