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Für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan (MItte) war die Parlamentswahl ein Triumph.

© AFP/Nicolas Maeterlinck

Nach der Wahl in der Türkei: Triumph und Angst am Bosporus

Manche Künstler wandern bereits aus, da die Türkei Ja gesagt hat zu einem neuen Staat, geformt von und für Recep Tayyip Erdogan. Der Präsident profitiert auch von falscher Taktik seiner politischen Gegner.

Am Tag nach dem Wahlerfolg seiner Partei AKP setzte Recep Tayyip Erdogan ein Zeichen: Nach dem Morgengebet besuchte der türkische Präsident am Montag das Mausoleum des Eyüp Sultan in Istanbul, eine heilige Stätte im Islam – und der Ort, an dem zur osmanischen Zeit die neuen Sultane mit dem Schwert des Propheten Mohammed gegürtet wurden. Die Geste unterstrich den Machtanspruch der AKP, die bei der Wahl fast jede zweite Stimme erhalten hatte. Der „Wille der Nation“ habe sich bei der Wahl für die Stabilität entschieden, sagte Erdogan nach seinem Besuch. Die Welt solle dies respektieren, fügte er in Anspielung auf kritische Kommentare ausländischer Medien hinzu. 

Der 61-jährige Staatspräsident und AKP-Gründer hatte allen Grund, Selbstvertrauen zu demonstrieren. Mit 49,3 Prozent der Wählerstimmen und 317 von 550 Abgeordneten im neuen Parlament hat die AKP ihre beherrschende Stellung im Land wieder hergestellt. Die Niederlage vom Juni, als sie auf rund 41 Prozent abgesackt war, wurde überwunden – am Sonntag erhielt die AKP fast so viele Stimmen wie beim Rekordergebnis von 2011, als sie auf 49,9 Prozent gekommen war.

Beobachter waren sich einig, dass der Erfolg nicht nur an Erdogans Taktik nach der Juni-Wahl lag, als er eine harte Linie in der Kurdenpolitik einschlug, um nationalistische Wähler für die AKP zu gewinnen. Die PKK-Kurdenrebellen spielten Erdogan in die Hände, indem sie Ende Juli mit neuen Gewalttaten gegen die Sicherheitsbehörden begannen, was viele Wähler der legalen Kurdenpartei HDP abschreckte. Der Terror der PKK und der Dschihadisten-Miliz Islamischer Staat hätten bei den Wählern die Angst vor Gewalt und Chaos geschürt und so die AKP gestärkt, kommentierte die Zeitung „Hürriyet“.

Recep Tayyip Erdogan strebt einen Umbau des türkischen Staates an. Die Wähler sind im erneut gefolgt.
Recep Tayyip Erdogan strebt einen Umbau des türkischen Staates an. Die Wähler sind im erneut gefolgt.

© dpa

Auch die Nationalistenpartei MHP half der AKP. Mit einer Totalverweigerung nach der Juni-Wahl verhinderte MHP-Chef Devlet Bahceli die damals mögliche Bildung einer Koalitionsregierung. Bahcelis Nein frustrierte viele MHP-Anhänger. Insgesamt steigerte die Erdogan-Partei die Zahl ihrer Wähler zwischen Juni und November um 4,5 Millionen.

Kritiker verstummen angesichts des AKP-Erfolges

Einige Kritiker der AKP sehen keine Chance mehr, die Verhältnisse im Land zu ändern. Der Dichter Yilmaz Odabasi teilte am Montag mit, er wandere nach Frankreich aus. Andere AKP-Gegner gehen offenbar in die innere Emigration. Der Pianist und Komponist Fazil Say erklärte am Montag, es habe keinen Zweck, die Türken von einem anderen Kurs zu überzeugen. „Wir können nicht jemanden verändern, der sich nicht verändern will.“

Der Akademiker und Erdogan-Kritiker Baskin Oran sagte in der Zeitung „Agos“ voraus, Erdogan und die Regierung würden ab sofort noch „rücksichtsloser“ auftreten. Einige AKP-Anhänger fordern schon die Beschlagnahmung weiterer kritischer Medien. Ministerpräsident und AKP-Chef Ahmet Davutoglu erklärte in seiner Siegesrede zwar, er werde Politik für alle Bürger machen. Doch ähnliche Versprechen hatte auch schon Erdogan nach seinen eigenen Wahlsiegen als AKP-Chef gemacht – und anschließend die Polarisierung im Land weiter vorangetrieben.

Schon bald wird sich zeigen, ob Davutoglus Zusagen mehr wert sind. Nach dem AKP-Wahlsieg gewinnt nun die Debatte über Erdogans Ziel eines Präsidialsystems wieder an Schwung. Schließlich legen die knapp 50 Prozent für die AKP vom Sonntag nahe, dass die Partei auch ein Referendum zum Thema Präsidial-Demokratie gewinnen könnte. Im Parlament braucht die AKP für die Entscheidung für eine Volksabstimmung mindestens 330 Stimmen, also mehr, als sie selbst zur Verfügung hat. In seiner Siegesrede ging Davutoglu deshalb daran, die Opposition zu umwerben. Er rief die anderen Parteien im Parlament auf, zusammen mit der AKP eine neue Verfassung auszuarbeiten.

Auch in der Außenpolitik dürfte die AKP-Regierung ab sofort selbstbewusster auftreten. Mit ihrer breiten Mehrheit im Parlament sei die Regierung zu neuen Reformen in der Lage, verlautete am Montag auf Regierungskreisen mit Blick auf das Verhältnis zur EU. Allerdings erwarte Ankara von der EU einen „ehrlichen, sinnvollen Dialog“. Die Verhandlungen zwischen der Türkei und Brüssel über Fortschritte im türkischen EU-Prozess, über die Visafreiheit für türkische Reisende und über Anstrengungen der Türkei zur Eindämmung des Flüchtlingsstroms nach Europa könnten turbulent werden.

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