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Nach der Wahl in NRW: CDU im Treibsand

Die NRW-Wahl ist ein Debakel, finden manche Christdemokraten. Sie werden das Gefühl nicht los, dass die Schlappe auch Merkels Macht bedroht - ein Gefühl, das die SPD dagegen ziemlich sympathisch findet. Und Merkel? Die hat ganz andere Dinge im Kopf.

Von
  • Robert Birnbaum
  • Hans Monath

Die Junge Union hinkt der Wirklichkeit erkennbar hinterher. „2 für Zukunft!“, hat die CDU-Jugend kampfeslustig auf das Titelblatt ihres Monatsmagazins „Entscheidung“ gedruckt, dazu zwei lächelnde Herren. Am Montag steckt das Blättchen immer noch in dem Zeitschriftenständer, aus dem sich Besucher des Konrad-Adenauer-Hauses bedienen können. Für den Herrn zur Rechten mag das mit der Zukunft gelten – Jost de Jager hat in Schleswig-Holstein ein ordentliches Wahlergebnis abgeliefert. Der Herr zur Linken nicht. Norbert Röttgen lächelt nur noch auf Fotos entspannt.

Der reale Röttgen steht auf der Bühne neben der Kanzlerin und beherrscht mühsam seine Züge. Seine Zukunft spielt kaum noch eine Rolle. Selbst Angela Merkel ist mit den Gedanken längst wieder woanders.

Was soll sie auch viele Worte verlieren über die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen? Am Morgen radelt Peter Altmaier von seiner Wohnung das kurze Stück zur CDU-Zentrale durch die Sonne, schließt sein Fahrrad ab und stellt dann nüchtern fest, dass die CDU am Sonntag die schlimmste Niederlage ihrer gesamten Geschichte in ganz Deutschland kassiert hat. Im Präsidium und im Vorstand fassen sie den Befund in Zahlen. 26 Prozent im größten Bundesland – das ist gerade noch Kernwählerschaft.

Bildergalerie: Der Wahltag in NRW

Röttgen nimmt alle Schuld auf sich. „Wir sind weder inhaltlich noch mit der Person des Spitzenkandidaten durchgedrungen“, wird er später öffentlich wiederholen. Also mit ihm.

Merkel versichert generös, dass es christdemokratische Tradition sei, Niederlagen als gemeinsame zu betrachten. Sie meint das aber nicht so ernst. Dies ist die Niederlage eines Kandidaten, dessen Fehler ja offensichtlich waren, und das soll sie gefälligst auch bleiben. Einer fragt, ob der fulminante rot-grüne Wahlsieg in Düsseldorf nicht zeige, dass Sparpolitik bei den Wählern nicht ankomme. Merkel schüttelt unwillig den Kopf. Sparen sei „unbestritten ein sehr virulentes Thema“. Dann redet sie über Griechenland und über Europa und über den neuen französischen Präsidenten Francois Hollande, der sie am Dienstag besuchen wird. In den CDU-Gremien hat die Frage übrigens keiner gestellt.

Bei den sozialdemokratischen Gewinnern des Wahlsonntags gehen sie aber auch nicht so weit zu behaupten, dass Hannelore Kraft dafür belohnt worden sei, dass sie nicht als oberste Sparkommissarin durch ihr Bundesland fegt. Für analytische Nachfragen ist sowieso gerade keine Zeit im Willy-Brandt-Haus. Es geht der SPD darum, die Dynamik des NRW-Triumphes in die Bundespolitik zu tragen.

Als die alte und neue Ministerpräsidentin im Foyer der Parteizentrale gemeinsam mit Parteichef Sigmar Gabriel ans Pult tritt, klatschen die Mitarbeiter oben auf den Rängen begeistert. Kraft lacht übers ganze Gesicht, reckt den Kopf und wirft erst mal Kusshände nach oben. Später reckt sie den Daumen in die Höhe und hält ihn in die Kameras.

Endlich einmal wieder vor der CDU liegen, ausgerechnet im größten Bundesland den Nachweis führen, dass Rot-Grün trotz der neuen Konkurrenz durch die Piraten eine eigene Mehrheit schaffen kann – das gibt den Sozialdemokraten Selbstbewusstsein zurück. Jetzt wollen sie mit der Kanzlerin wieder auf Augenhöhe Politik machen, nicht mehr nur mit dem leisen Gefühl der Ohnmacht von der Seitenlinie den Verfall von Merkels Macht kommentieren.

„Das Ergebnis macht uns stolz“, sagte Kraft. Oben klatschen sie wieder laut. Auch die stellvertretende Parteichefin bemüht sich, einen Spannungsbogen aufzubauen, der bis zur Landtagswahl in Niedersachsen im Januar 2013 und bis zur Bundestagswahl acht Monate später reicht. Ihr Schlüsselwort heißt „Verlässlichkeit“. Ihre eigene Wahl habe sie vor allem deshalb gewonnen, weil sie ihre Versprechungen eingelöst habe, sagt Kraft. Deshalb müsse Verlässlichkeit noch stärker zum Markenzeichen für die ganze SPD werden.

Schon vor ihrem Durchmarsch war Kraft in ihrer Partei das beliebteste Mitglied der engeren Parteiführung. Auf dem Parteitag im Dezember in Berlin erhielt sie weit mehr Stimmen als Parteichef Gabriel oder jeder andere Parteivize. Nun ist ihr Einfluss in der SPD noch einmal gewachsen. Sie kann, wenn sie will, dabei mitreden, wer für die SPD Angela Merkel als Kanzlerkandidat herausfordern wird. Sie hat jetzt schon zwei Wahlen gewonnen. Von den drei Herren, die sich jetzt Troika nennen, hat noch keiner eine einzige für sich entschieden.

Gabriel hat Kraft denn auch vorsichtshalber schon am Wahlabend attestiert, dass sie für diesen Spitzenjob natürlich infrage käme – um gleich anschließend aber daran zu erinnern, dass sie selbst eine Kanzlerkandidatur ausschließt. Das ist die Linie, der auch die beiden anderen potenziellen Kandidaten folgen: Sie selbst entscheidet – aber, schade eigentlich, sie will ja nicht.

Wahrscheinlich hat Kraft damit sogar recht. Sie hat zwischen Rhein und Ruhr auch deshalb so haushoch gewonnen, weil sie beim Anblick eines normalen Bürgers sofort in Ruhrpottslang gefallen ist. Die is eine von uns, haben die Leute dann gedacht. Aber „Hömma“ als Einleitung eines Gesprächs von Mensch zu Mensch ist, wie der kluge Politologe Franz Walter ganz richtig feststellt, in anderen Weltgegenden schlicht unverständlich.

Das hält den Rest der Troika aber nicht davon ab, vorsichtshalber ebenfalls von der Wahlsiegerin zu schwärmen. Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hat schon bei der Wahlparty am Sonntagabend in eher umständlichen Sätzen ihre Fähigkeit gepriesen, auf Menschen zuzugehen. Peer Steinbrück, früher einmal Ministerpräsident in Düsseldorf, ließ die Zuhörer noch mal wissen, dass er es ja gewesen sei, der mit guten Gründen diese Frau Kraft einst zur Ministerin gemacht habe.

Merkel hat nicht viele Gedanken für ihren Ex-Hoffnungsträger übrig

Der Ex-Finanzminister wertete den Wahlausgang in NRW als „Abstimmung gegen eine reine Austeritätspolitik“, als Abrechnung der Bürger mit blinder staatlicher Sparwut also, die am Ende auch noch die Wirtschaft abwürgt. Er wird das am Dienstag wiederholen. An dem Tag, an dem der Franzose Hollande bei Merkel einschwebt, hat sich die Troika in der Bundespressekonferenz angemeldet. Der Sieg des Sozialisten, der einen Kurswechsel in Europa versprochen hat, hat den deutschen Parteifreunden schon Auftrieb gegeben.

Jetzt wollen Gabriel, Steinmeier und Steinbrück die Gunst der Stunde nutzen und Merkel ihre Forderungen für eine Zustimmung zum Fiskalpakt präsentieren. Bei Wachstumspaket und Finanztransaktionssteuer, soll die Botschaft lauten, muss Merkel sich bewegen. Wir drei, heißt die Botschaft hinter der Botschaft, bewegen die Weltgeschichte mit. „Der Weg aus der Krise“ lautet übrigens die Überschrift über dem Auftritt. Man kann das doppeldeutig lesen. Seit drei Jahren rennen die Sozialdemokraten vergeblich gegen diese Regierung an. Auch der Triumph in NRW ändert erst mal nichts daran, dass die Umfragewerte der SPD wie angenagelt scheinen. Aber er lässt zum ersten Mal seit langem wieder eine Ahnung von besseren Tagen aufscheinen.

Bildergalerie: Wie Politiker auf das Wahlergebnis reagierten

Es gibt ja übrigens auch in der CDU ein vages Gefühl, dass diese Schlappe Merkels Macht bedroht, obwohl keiner genau zu sagen weiß, warum. NRW war vorher schon rot-grün, im Bund hat Rot-Grün immer noch keine Mehrheit und auch keine in Aussicht, weil die Linke aus dem Bundestag kaum herausfliegen wird und die Piraten wohl trotzdem dort einziehen dürften. Schwarz-Grün liegt zwar auch ferner denn je, aber das hat umgekehrt den Vorzug, dass sogar die Selbstentleibung des prominentesten Schwarz-Grünen in der CDU keinen nachhaltigen Schaden anrichtet. Das alles ist richtig.

Trotzdem ist da plötzlich Treibsand. Im CDU-Vorstand sind besorgte Fragen nach Machtoptionen gestellt worden. Merkel und andere haben die Besorgten zu beruhigen versucht: Erstens könne die CDU inzwischen ja mit jedem außer Linken und Piraten, zweitens sei eine Neuauflage des schwarz-gelben Bündnisses 2013 keineswegs unmöglich. Die neue Stärke der NRW-FDP zum Beispiel speise sich nur zu sehr geringen Teilen aus ehemaligen CDU-Wählern.

Außerdem haben sie sich aber in der CDU-Spitze vorgenommen, dass sie jetzt endlich mal Politik mit- statt gegeneinander machen wollen. Der „Glaubenskrieg“ um das Betreuungsgeld, hat einer gesagt, der müsse aufhören. Der Name „Horst Seehofer“ ist aber nicht gefallen. Das ist insofern ein bisschen verwunderlich, als der CSU-Chef derzeit lautstark zu vernehmen ist: Eine „politische Katastrophe“ sei der Wahlausgang in Düsseldorf, konnte die CDU schon morgens in der „Bild“-Zeitung lesen, ein „Desaster mit Ansage“.

Am Montag dröhnt es weiter aus dem Süden: Er sei „nicht bereit, zur Tagesordnung überzugehen“. Nach Berlin kommt er neuerdings ja nicht mehr. Am Donnerstag hat er das Kamingespräch der Länderchefs mit Merkel boykottiert und danach verkündet, er werde zu keinem Koalitionsgipfel mehr reisen, wenn nicht endlich das Betreuungsgeld komme.

Merkel, in der Pressekonferenz darauf angesprochen, reagiert tiefgekühlt. „Der Vorsitzende der CSU hat das gesagt, was ihn bewegt hat“, sagt sie. Wann, glaubt sie, spricht er wieder mit ihr? „Dann, wenn es sich als notwendig erweist.“ Merkel hat jetzt monatelang die Koalitionsabsprache zum Betreuungsgeld verteidigt, auch gegen ernsten Widerstand in der eigenen Fraktion. Seehofer könnte ihr dankbar sein. Stattdessen bläst er sich auf. Schöne Aussichten für 2013 – die Bayern wählen im gleichen Jahr wie der Bund, vielleicht sogar am gleichen Tag.

Vielleicht rührt auch daher das Treibsand-Gefühl. Merkel wird im nächsten Jahr wirklich einen Wahlkampf „Allein gegen alle“ führen müssen. Gegen den SPD-Kandidaten, wer immer das sein wird, Seehofer im Rücken und die FDP sonstwo, nur ganz sicher nicht mehr fest an ihrer Seite. Und dann sind da noch die Hollandes dieser Welt, die CDU und die Griechen. Schon verständlich, dass Angela Merkel für Ex-Hoffnungsträger nicht so viel Gedanken übrig hat.

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