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Nach der Wahl: Sieger und Besiegte - das neue EU-Parlament

Im neuen EU-Parlament sind die Sozialdemokraten dramatisch geschwächt – und die Konservativen bleiben die größte Fraktion. Eine Übersicht.

KONSERVATIVE

Der konservative spanische Oppositionsführer Mariano Rajoy (54) badete in der Wahlnacht in der Menge, genoss den klaren Sieg seiner Volkspartei in vollen Zügen. Spaniens sozialdemokratischer Regierungschef José Luis Zapatero (48) versteckte sich derweil am Sonntag in der Parteizentrale in der Hauptstadt Madrid. Rajoys Konservative (PP) holten mit 42,2 Prozent fast vier Punkte mehr als Zapateros regierende Sozialdemokraten, die sich mit 38,5 Prozent der Stimmen begnügen mussten. Der Erfolg der spanischen Konservativen ist typisch für die europäische Wahlnacht. In vielen europäischen Mitgliedsländern – darunter Deutschland, Großbritannien, Österreich und Italien – hatten sie die Nase vorn. Die konservative EVP-Fraktion im Europaparlament kommt jetzt voraussichtlich auf 263 Sitze. Sie dringt auf eine möglichst rasche Nominierung von EU-Kommissionschef José Manuel Barroso für eine zweite Amtszeit, allerdings fehlt ihr die absolute Mehrheit.

SOZIALDEMOKRATEN

Das bescheidene Sandwich-Buffet in der Lobby des Brüsseler Europaparlaments war am Sonntagabend längst leer geräumt, als die ersten Wahlergebnisse auf den Bildschirmen auftauchten. Zum Feiern war dennoch keinem so recht zumute. Es war wohl bei vielen mehr der Frust, der Appetit machte. Einem Mitarbeiter der Fraktion stand geradezu Entsetzen ins Gesicht geschrieben, als kurz nach 20 Uhr die ersten Hochrechnungen bekannt wurden: Schwere Stimmenverluste in Frankreich, Österreich, Ungarn, und in Deutschland Stabilisierung auf niedrigstem Niveau. Der deutsche SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz sagte, dies sei ein „ganz bitterer Abend“. Die Schlappe ist erheblich – im neuen Europaparlament werden Sozialdemokraten voraussichtlich nur noch 161 Abgeordnete stellen. In der Vergangenheit hat sich zwischen Konservativen und Sozialdemokraten immer wieder eine informelle „großen Koalition“ gebildet. Im neuen Parlament scheinen aber auch andere Koalitionen denkbar – beispielsweise zwischen Konservativen, Liberalen und Grünen.

LIBERALE

In Belgien war die Erleichterung bei den flämischen Liberalen (VLD) groß, dass die Partei bei der Europawahl 20,2 Prozent der Stimmen erhalten hat. Damit ist die VLD weiter mit drei Sitzen in Straßburg vertreten. Insgesamt musste die Alde, die Fraktion der Liberalen im EU-Parlament, allerdings im Vergleich zur letzten Europawahl Einbußen hinnehmen. Daran konnten auch die deutschen Liberalen nichts ändern, die jetzt zwölf Abgeordnete nach Straßburg schicken.

GRÜNE

„Le Dany Boom“ überschrieb die Pariser Zeitung „Libération“ am Montag ihren Bericht zum Abschneiden der französischen Grünen bei der Europawahl. Mit gut 16 Prozent der Stimmen verdoppelte die von Daniel Cohn-Bendit geführte Liste „Europe-Ecologie“ den Stimmenanteil, den die Grünen 2004 erzielten. Von den voraussichtlich 52 Sitzen, die den Grünen im neuen EU-Parlament zufallen, werden 14 von französischen Abgeordneten besetzt werden. In Paris hätte es mit 27,46 Prozent für Cohn-Bendit selbst sogar fast zum ersten Platz gereicht. „Der 7. Juni wird der D-Day der Ökologie sein“, sagte der grüne Spitzenmann nach der Wahl vor seinen Anhängern. Das Erfolgsrezept funktionierte nicht nur in Frankreich: Europaweit legten die Grünen zu, insgesamt um voraussichtlich 1,6 Prozentpunkte. Die deutschen Grünen wurden mit gut zwölf Prozent drittstärkste deutsche Kraft, in Großbritannien konnten die Greens ihren Stimmenanteil mehr als verdoppeln. Sogar in Griechenland ist es den Grünen mit etwa 3,5 Prozent erstmals gelungen, einen Abgeordneten nach Straßburg zu schicken. 2004 erhielten sie nur 0,67 Prozent. In jedem Fall wird man von den europäischen Grünen künftig einiges hören: Cohn-Bendit bringt Bauernführer José Bové mit nach Straßburg und holte Eva Joly an Bord, die als Untersuchungsrichterin einst mächtige Konzernchefs zu Fall brachte. Im Europaparlament möchte „Dany, le Rouge“ eine Mehrheit gegen Barroso schmieden – mit Sozialdemokraten, Liberalen und Linken.

NATIONALKONSERVATIVE

Die rechtspopulistische Dänische Volkspartei (DF), die drittstärkste Kraft im Lande, konnte bei der Europawahl mit dem Wahlspruch „Gebt uns Dänemark zurück“ auch ihren EU-Wert auf 14, 8 Prozent verdoppeln. Ob sie wie bislang der Fraktion der Nationalkonservativen (UEN) beitritt, ist noch nicht ganz entschieden. „Wir werden erstmal in Ruhe verhandeln“, sagte ein Sprecher der Partei am Montag. Vor allem durch eine kurz vor der Wahl platzierte skandalös-rassistische Äußerung, wonach osteuropäische Politiker in Brüssel dümmer seien als westeuropäische, konnte der Spitzenkandidat Morten Messerschmidt dänische Vorzugsstimmen einheimsen.

LINKE

Leichter wird es nicht für die Linke in Europa – auch wenn die deutsche Linkspartei, die im eigenen Land 7,5 Prozent der Stimmen errang, die Gruppe mit acht von voraussichtlich insgesamt 33 Sitzen klar dominieren wird. Nicht weniger als elf Nationalitäten und 13 Parteien, die teilweise wiederum aus mehr oder weniger losen Wahlbündnissen bestehen, sind vertreten. Allein die französische Linke, die vier Sitze errang, besteht aus zwei Bündnissen, von denen eines insgesamt sechs Untergruppen vertritt. Der Spitzenkandidat der deutschen Linkspartei, Lothar Bisky, forderte bereits ein „Ende der Zersplitterung“ der Linken in Europa. „Sonst wird es ein Ende der Linken geben.“ Nur in wenigen Ländern konnten die Linken von den Schwierigkeiten der Sozialdemokraten profitieren – so wie in Portugal. Dort zogen zwei Linksbündnisse enttäuschte Sozialdemokraten an und errangen Zugewinne. Mit jeweils elf Prozent der Stimmen werden sie künftig insgesamt fünf Abgeordnete stellen. Die tschechischen Kommunisten, die immerhin noch vier Abgeordnete nach Straßburg schicken, gehen dagegen geschwächt ins neue Parlament. 2004, unmittelbar nach dem EU-Beitritt ihres Landes, hatten sie rund 20 Prozent der Wähler für sich gewinnen können – und waren als zweitstärkste tschechische Kraft nach Europa gezogen. Nun sind sie auf 14 Prozent abgesackt.

NEUE MITTE-RECHTS–FRAKTION

Der britische Oppositionsführer David Cameron will eine neue Mitte-rechts-Fraktion im EU-Parlament gründen, um gegen die Übertragung weiterer Kompetenzen an Brüssel mobil zu machen. Er wolle eine neue „starke“ Gruppe bilden, die eine „Alternative zu den föderalistischen Ideen“ innerhalb der EU anstrebe, sagte Cameron Ende Mai in Warschau, wo er einen Bundesgenossen gefunden hat: Die national-konservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) des ehemaligen Premiers Jaroslaw Kaczynski. Die machte im Wahlkampf vor allem durch anti-deutsche Parolen von sich reden und konnte damit wohl viele ältere Wähler mobilisieren. Am Ende schaffte es die PiS auf knapp über 27 Prozent der Stimmen. Dritter im Bunde soll die konservative Demokratische Bürgerpartei (ODS) aus Tschechien werden, die mit 31,45 Prozent der Stimmen ihren Führungsanspruch in Prag behauptete. Ob es zur Bildung einer neuen Mitte-rechts-Fraktion kommt, ist unklar.

SONSTIGE

In Ungarn gab es bei der Europawahl einen Absturz der Linken – und einen Aufstieg der rechten Parteien. Im Windschatten der national-konservativen Oppositionspartei Bund Junger Demokraten (Fidesz) kam die rechtsextreme Jobbik-Partei auf über 15 Prozent. Deren Spitzenkandidatin Kriztina Morvai jubilierte am Montag, dass nun ein „Traum“ wahr werde, „Ungarn den Ungarn“ gehören und der heimatliche Markt vor „minderwertigen ausländischen Lebensmitteln“ geschützt werde.

Die Gewinne für Rechtsradikale, Populisten und Europaskeptiker alarmieren viele Europäer. Das Bild der politischen Verschiebungen ist allerdings nicht einheitlich. In einigen Ländern wie den Niederlanden, Österreich, Dänemark, Großbritannien, Finnland und Ungarn ist der Rechtsruck unverkennbar. In Frankreich, Belgien und auch in Polen verloren die Rechtsradikalen dagegen Wähler.

Doch auch wenn die antieuropäischen Populisten und Radikalen jetzt im EU-Parlament sitzen, heißt das noch nicht, dass ihr Einfluss auf die europäische Politik wächst. Dass die zersplitterten Antieuropäer, die in vielen Fällen nur zwei oder drei Abgeordnete nach Straßburg schicken, die Voraussetzungen für die Bildung einer Fraktion erfüllen und 25 Gleichgesinnte aus mindestens sieben EU-Mitgliedstaaten zusammenbringen, ist eher unwahrscheinlich. Statt handfester Parlamentsarbeit wird es deshalb an den Rändern des Parlaments vermutlich wieder viel Klamauk geben: Fähnchen, grölende Zwischenrufe und Hasstiraden.

(mit anw, hhb, kkr, m.m., tog, ze)

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