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Nach Enthüllungen: Belastungsprobe für Wikileaks

Nach der Veröffentlichung geheimer US-Dokumente wächst der Druck auf Wikileaks. Gründer Julian Assange ist in den USA inzwischen Anwärter auf den Titel "Staatsfeind Nummer eins".

Mit Gegenwehr hat Julian Assange sicher gerechnet, als er seinen Coup plante. Aber wohl kaum damit, so schnell Anwärter auf den Titel „Staatsfeind Nummer eins“ der USA zu werden. Und nicht alle Gegner des Wikileaks-Gründers denken in demokratischen Kategorien. „Julian Assange sollte ermordet werden“, schlug Tom Flanagan, Professor an der Universität von Calgary und Berater des kanadischen Regierungschefs, am Mittwochabend im kanadischen Fernsehen lächelnd vor. Obama möge „eine Drohne auf ihn losschicken“. Gut, er sei wirklich sehr schlecht drauf, ließ Flanagan den sprachlosen Moderator dann wissen. Aber „ich wäre wirklich nicht unglücklich, wenn Assange verschwinden würde“.

An Drohnen denkt in der US-Regierung wohl niemand. Ohnehin ist es offenbar schwer, an den untergetauchten Assange überhaupt heranzukommen. International ist er zwar zur Fahndung ausgeschrieben – aber nicht wegen der Wikileaks-Enthüllungen, sondern wegen Vergewaltigungsvorwürfen in Schweden.

Was unternehmen die USA gegen Assange?

Schon seit den ersten Veröffentlichungen geheimer Unterlagen zum Afghanistankrieg im Juli prüfen die USA, mit welchen juristischen Mitteln sie Assange beikommen können. Im Zentrum der Überlegungen steht dabei der „Espionage Act“ von 1917 – und damit aus der Zeit des Ersten Weltkrieges. Verfolgt werden kann demnach jeder, der ohne Genehmigung Dokumente über die nationale Verteidigung erhält oder versucht, sich diese zu beschaffen. Allerdings sind sich die Experten uneins, ob der Spionageparagraf auf Ausländer anwendbar ist. Außerdem müsse bewiesen werden, dass Assange sich die Dokumente selbst aktiv beschafft habe, sagte der Rechtsprofessor Scott Silliman dem „Wall Street Journal“. Ohnehin gibt es ein mächtiges Gegengewicht in der US-Verfassung: das Recht auf freie Meinungsäußerung. Das gelte auch für die Veröffentlichung geheimer Dokumente, argumentiert Hina Shamsi von der US-Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union. Das hätten US-Gerichte wiederholt festgestellt. „Wikileaks zu verfolgen wäre nichts anderes als Medien zu verfolgen, die ebenfalls Geheimdokumente veröffentlicht haben.“

Welche Mittel gegen Assange werden in den USA noch diskutiert?

Der Hass auf den Wikileaks-Chef ist groß. Ein US-Branchendienst berichtet von einem Brief des republikanischen Abgeordneten Peter King an die US-Außenministerin. King wollte von Hillary Clinton wissen, ob Wikileaks als ausländische terroristische Organisation eingestuft werden könne. Die nötigen Kriterien seien doch erfüllt: „Wikileaks stellt eine gegenwärtige und konkrete Gefahr für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten dar.“

Die Internetfirma Amazon will Wikileaks nicht weiter unterstützen. Warum?

Wikileaks war gerade erst auf die Dienste des US-Unternehmens Amazon ausgewichen. Die Zugriffszahlen auf die Wikileaks-Homepage waren nach den Veröffentlichungen der geheimen Depeschen von US-Diplomaten am vergangenen Wochenende so stark gestiegen, dass die bisherigen Speicherkapazitäten nicht mehr ausreichten. Amazon hatte der Enthüllungsplattform daraufhin auf den eigenen Servern Gastrecht gewährt. Der Schritt sollte die Seite außerdem vor den andauernden Hackerangriffen schützen. Bei solchen Attacken werden Unmengen von Daten zu einem Server geschickt, um diesen lahmzulegen.

Doch mit der Unterstützung durch Amazon ist es nun vorbei. Der Online-Händler fürchtete nach Boykottaufrufen im Internet um sein wichtiges Weihnachtsgeschäft. Auch der Vorsitzende des US-Senatsausschusses für innere Sicherheit, Joe Liebermann, hatte Amazon mit einem Boykott gedroht und forderte zudem andere Unternehmen auf, ebenfalls ihre Zusammenarbeit mit Wikileaks zu beenden.

Was bedeutet die Sperrung für Wikileaks?

Nachdem die Internetseite cablegate.wikileaks.org am Mittwoch zeitweise nicht ansteuerbar war, funktionierte sie am Donnerstag tadellos. Inzwischen hat Wikileaks rund 600 der insgesamt mehr als 250 000 Dokumente aus US-Botschaften ins Netz gestellt. Auch andere Teile der Seite wie das Video „Collateral murder“ aus dem Irakkrieg, mit dem Julian Assange im Frühjahr die Welt aufgeschreckt hatte, liefen problemlos. Die anderen beiden großen Veröffentlichungsprojekte des Jahres, die Afghanistan-Tagebücher sowie die Dokumente zum Irakkrieg, waren jedoch gar nicht oder nicht richtig abrufbar.

„Fein“, kommentierte Sprecher Hrafnsson den Amazon-Schritt am Mittwochabend. „Dann werden wir unser Geld ausgeben, um in Europa Leute anzustellen.“ Man habe Mittel und Wege, das Problem zu lösen. Wikileaks deponiert seine Daten ohnehin gleichzeitig auf mehreren Servern. Fällt der eine aus, springt der andere ein. Mittwochnacht füllte der schwedische Provider bahnhof.se die von Amazon gerissene Lücke. Zudem ist die Website von Wikileaks dezentral aufgebaut. Ist die Startseite wikileaks.org blockiert, können die Inhalte immer noch unter anderen Adressen abgerufen werden, wie derzeit beispielsweise unter cablegate.wikileaks.org.

Das Team um Assange ist technisch äußerst versiert. Vor allem wenn es darum geht, Rechnerkapazitäten im Internet zu finden oder zu schaffen. Und Wikileaks verfügt über ein weltweites Unterstützernetz, das der Enthüllungsplattform in weiten Teilen die Treue hält. Zumindest derzeit noch. Allerdings sind von den ursprünglichen Wikileaks-Gründern bereits die meisten nach Streitigkeiten wieder abgesprungen. (mit AFP/dpa)

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