zum Hauptinhalt

Nach Gaddafis Tod: Die Stunde Null in Libyen

Die militärische Aufgabe in Libyen ist gelöst. Doch dem Land stehen schwierige Jahre des Wiederaufbaus bevor.

Der Diktator ist besiegt. Die Kämpfer des Nationalen Übergangsrates sehen damit den ersten Teil ihrer Mission als erfüllt an. Doch nun steht dem Land die eigentliche Herausforderung bevor – alle Kräfte zu einen für den Wiederaufbau des Landes und die Schaffung demokratischer Strukturen.

Ist trotz des Todes Gaddafis mit einem Anhalten der Kämpfe in Libyen zu rechnen?

Es gibt ja noch kleinere Ortschaften, die nicht von den Milizen der Gaddafi-Gegner eingenommen sind, und die bewaffneten Anhänger des Regimes sind nicht vom Erdboden verschwunden. Daher ist wahrscheinlich, dass es auch in Zukunft noch sporadische Kämpfe geben wird. Allerdings fehlen mit dem Tod Gaddafis und seiner Söhne oder deren Festnahme nun die Führungsfiguren, die eine echte Guerilla hätten organisieren können.

Wie geht es jetzt politisch weiter?

Wenn der Nationale Übergangsrat – wie angekündigt – am Sonnabend die „Befreiung“ Libyens verkünden wird, tritt der bereits vorgelegte Zeitplan für den Übergang in Kraft. Er sieht vor, dass der Übergangsrat von Bengasi nach Tripolis umzieht und innerhalb von 30 Tagen eine Übergangsregierung bildet, die Wahlen für einen Nationalkongress spätestens acht Monate später vorbereiten soll. Dieses 200-Mann-Gremium soll den Übergangsrat ablösen und eine Verfassung ausarbeiten, über die per Referendum abgestimmt werden soll. Anschließend soll es Parlamentswahlen geben.

Ist dieser Zeitplan realistisch?

Nein. Mehrfach bereits war die Bildung einer neuen Interimsregierung angekündigt – und wegen Uneinigkeit verschoben worden. Denn es geht jetzt darum, alle Landesteile, Stämme und Milizen in dem Gremium zu repräsentieren. Und im Kern geht es um ein Ringen zwischen ziviler und militärischer Führung des Aufstandes. Auf der einen Seite stehen Übergangsrat (NTC) und Übergangsregierung, die hauptsächlich mit Libyern aus dem Osten des Landes und auch zahlreichen ehemaligen Vertretern des Regimes besetzt ist, die sich früh von Gaddafi abwandten. Ihnen gegenüber steht der Westen des Landes, die dortigen Milizen und an ihrer Spitze der Chef des Obersten Militärrates von Tripolis, Abdulkarim Belhaj. Zwischen diesen beiden Lagern scheint sich bereits ein Graben zu öffnen, wie gegenseitige Beschuldigungen belegen. So wird Belhaj vom NTC-Mitgliedern vorgeworfen, er repräsentiere „nichts“, sondern sei in letzter Minute angekommen und habe nur einige Leute zusammengetrommelt. Der Versuch von Mahmoud Dschibril, der eine Art „amtierender“ Regierungschef ist, die Milizen seiner Kontrolle zu unterstellen, missfällt dem Kämpfer: Zu einer gemeinsamen Pressekonferenz im September, bei der ein entsprechender Plan veröffentlicht werden sollte, ist er nicht erschienen. Seither liegt der Plan auf Eis. Es besteht die Gefahr, dass zwei verschiedene Legitimationen aufeinanderprallen. Lokale Milizenführer könnten dem NTC vorwerfen, er werde vom Westen unterstützt, während sie das „wirkliche Libyen“ repräsentieren – wenn sie unzufrieden mit der Machtverteilung sein sollten. Während viele NTC-Vertreter Überläufer aus den Reihen Gaddafis sind, haben Führer wie Belhaj eine lange Geschichte des islamistischen bewaffneten Widerstandes und ein frostigeres Verhältnis zum Westen: Großbritannien hatte den Regimegegner einst an Gaddafi ausgeliefert.

Was passiert jetzt mit den Waffen?

Niemand wird seine Waffe freiwillig abgeben, solange er nicht zuversichtlich ist, dass seine Interessen berücksichtigt werden. Die Integration der irregulären Milizen in die neuen Sicherheitsdienste oder deren Entwaffnung wird eines der größten Probleme sein. Die USA dagegen sorgen sich vor allem um die geplünderten Waffenarsenale Gaddafis, aus denen angeblich tausende Raketen verschwunden sein sollen, die in die Hände von Terroristen fallen könnten. Die US-Regierung hat daher überlegt, „auf Einladung“ Militärberater nach Libyen zu schicken. Diese Einladung können sich die Übergangsorgane innenpolitisch aber kaum leisten.

Wie verhält sich die Nato jetzt?

Das Militärbündnis beendet seinen Militäreinsatz in Libyen bis zum 31. Oktober. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen bezeichnete diese Entscheidung des Nato-Rates am Freitagabend in Brüssel als vorläufig, die endgültige Entscheidung werde in der kommenden Woche fallen. Bis dahin werde die weitere Entwicklung der Lage abgewartet. „Ich bin sehr stolz auf das, was wir erreicht haben“, sagte Rasmussen. Dies sei auch in der Geschichte des Bündnisses „ein besonderer Moment“. Die Nato hatte sieben Monate lang Ziele in Libyen bombardiert und damit den Vormarsch der Rebellen unterstützt. Nato-Jets hatten nach Angaben der Allianz auch den Konvoi mit gepanzerten Fahrzeugen beschossen, mit dem Gaddafi aus Sirte fliehen wollte.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welchen Beitrag Deutschland leisten kann.

Welchen Beitrag kann Deutschland leisten?

In deutschen Krankenhäusern werden gegenwärtig Dutzende von libyschen Kriegsverletzten behandelt. Ansonsten setzt die Bundesregierung darauf, dass Libyen vor allem in den Schlüsselsektoren Energie, Verkehr und Infrastruktur an deutschem Know-how Interesse zeigt. In diesen Bereichen waren deutsche Unternehmen in Libyen schon vor dem Bürgerkrieg engagiert. In Kenntnis um das Selbstbewusstsein der finanzstarken Libyer will sich Berlin mit politischen Ratschlägen zurückhalten, gerne aber Beratung und Ausbildungskapazitäten zum Aufbau demokratischer Strukturen bereitstellen, wenn der Partner dies wünscht.

Wie reagierten die USA auf die Nachricht vom Tod Gaddafis?

Die USA reagieren erleichtert. Die Regierung und die Medien hoffen überwiegend, dass das Ende des Diktators auch das Ende des monatelangen Kriegs in Libyen bedeutet. Es gibt aber auch skeptische Stimmen, die nun blutige Stammesfehden befürchten. Manche Kommentatoren erinnern warnend an die Gefangennahme Saddam Husseins im Irak 2003. Der Bürgerkrieg zwischen Schiiten und Sunniten eskalierte danach.

Präsident Barack Obama betonte, er sei „stolz darauf, was wir in Libyen erreicht haben“. Das sei zuallererst „ein Sieg des libyschen Volks“, aber daneben auch der Erfolg einer koordinierten gemeinsamen Anstrengung der Nato. „Wir können nun mit Sicherheit sagen, dass das Gaddafi-Regime Geschichte ist.“

Die „Washington Post“ lobt, dass Gaddafis Gegner die vergangenen Monate für den Aufbau einer Übergangsregierung genutzt haben. Das Blatt warnt zugleich, dass zwei Dutzend rivalisierende Milizen, die sich an den Kämpfen gegen Gaddafi beteiligt haben, nun in Tripolis und anderen Städten um Einfluss konkurrieren. Zum Teil gehorchten sie keinem zentralen Kommando. Es gebe Berichte von Folterungen und Vergewaltigungen.

Das konservative „Wall Street Journal“ beschreibt die Lage optimistischer. Trotz aller Risiken könne Libyen leichter stabilisiert werden als andere Länder der Region. Der Ölreichtum erlaube in Kombination mit einer Bevölkerung von nur 6,4 Millionen Menschen einen raschen Aufschwung, der allen zugute komme. Der Erfolg der Revolution werde den Druck auf andere Diktatoren, zum Beispiel in Syrien, erhöhen.

Die Nato-Unterstützung für die Opposition in Libyen ist nach Meinung der US-Experten kein Modell, das sich auf weitere Länder übertragen lasse. Die letzten Monate hätten erneut gezeigt, wie begrenzt die militärischen Fähigkeiten der Verbündeten in Europa seien. Denen sei bald die Munition ausgegangen. Die USA erwarten eine schonungslose Debatte dazu beim Nato-Gipfel.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false