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Erste Runde der Koalitionsverhandlungen am Mittwoch in Erfurt. Vorn im Bild: die Linke-Politiker Bodo Ramelow und Susanne Hennig-Wellsow

© Martin Schutt/dpa

Update

Nach Merkel-Kritik an Rot-Rot-Grün: SPD erinnert CDU an Vorgeschichte als DDR-Blockpartei

Linke, SPD und Grüne verhandeln über eine Regierungskoalition für Thüringen. Führende Vertreter der drei Parteien verbitten sich Kritik von CDU-Chefin Angela Merkel an dem geplanten Bündnis.

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In der Erwartung zügiger Gespräche haben Linke, SPD und Grüne am Mittwoch in Erfurt ihre Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer neuen Landesregierung für Thüringen begonnen. Bundes- wie Landespolitiker der drei Parteien wiesen den Vorwurf von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an der SPD zurück, sich als "stolze linke Volkspartei" zum Juniorpartner der Linkspartei zu machen. Merkel mache es sich aus ihrer fernen Berliner Sicht "ein bisschen einfach", sagte der thüringische SPD-Landesvorsitzende Andreas Bausewein in Erfurt.

Merkel hatte die SPD eindringlich vor dem geplanten rot-rot-grünen Bündnis unter Führung der Linken gewarnt. Wenn die Linke und ihr Spitzenkandidat es „nicht ganz dumm anstellen“, würden sie die SPD als Juniorpartner „noch weiter an den Rand drängen, als sie das in den letzten Monaten schon getan hat“, sagte sie am Dienstagabend bei der Gedenkveranstaltung der CDU zum Jahrestag des Mauerfalls in Berlin. Die SPD bringe sich als Juniorpartner in einer Regierung unter Führung einer Partei links von ihr in eine "staatspolitisch bedrückende Lage".

Der Berliner SPD-Chef Jan Stöß sagte dem Tagesspiegel: "Die SPD braucht keine ungebetenen Belehrungen von der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel. Ausgerechnet von der CDU, die zwei Blockparteien der DDR mit allen Mitgliedern und dem gesamten Vermögen aufgenommen hat und davon bis heute profitiert."  Die Mitglieder der Thüringer SPD hätten die SPD in Thüringen aus der Abhängigkeit von der CDU gelöst, sagte der Politiker, der auch Mitglied des Bundesvorstandes seiner Partei ist. "Jetzt geht es darum, für Thüringen eine sozial gerechte Politik zu vereinbaren."

Carsten Schneider: Stabile Regierung in Thüringen mit CDU nicht möglich

Auch der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, spielte am Mittwoch auf die Blockpartei-Vergangenheit der CDU im Osten an. "Der Linkspartei wurde im Rahmen der Regierungsbildung eine Diskussion aufgezwungen, sich weiter mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen. Das sollte die CDU auch tun, bevor sie mit dem Finger auf andere zeigt", sagte Schneider, der auch stellvertretender Vorsitzender der Thüringen-SPD ist. "Eine Initiative der CDU-Vorsitzenden anlässlich des 25. Jahrestages zum Fall der Mauer wäre dazu ein angemessenes Signal."

Schneider sagte dem Tagesspiegel weiter: "Frau Merkel sollte die Größe besitzen, die demokratischen Spielregeln zu akzeptieren. Offenbar gehen die Verletzungen in der CDU über den bevorstehenden Machtverlust tief." Auch in Thüringen müsse "die CDU noch lernen, dass sie die Regierung nicht gepachtet hat". Die Entscheidung der thüringischen SPD für Rot-Rot-Grün begründete Schneider so: "Weil für die SPD das Prinzip gilt, erst das Land, dann die Partei, gilt es eine stabile Regierung für Thüringen zu bilden. Das ist angesichts des zerstrittenen Zustandes mit der CDU nicht möglich." Die SPD sei "der Garant für eine vernünftige Regierungspolitik, wie sie dies auch im Bund unter Beweis stellt".

Thomas Oppermann, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, sagte dem Tagesspiegel: "Ich sehe keinen Anlass für eine Bedrückung. Es ist staatspolitisch verantwortungsvoll, dass die SPD bereit ist, Regierungsverantwortung in Thüringen zu übernehmen. Nach mittlerweile 24 Jahren CDU-Regierung wird der bevorstehende Wechsel ganz Thüringen gut tun. Ich rate allen, dies unaufgeregt zu begleiten."

Knapp kommentierte der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) die Einlassungen Merkels. "Da spricht eine Parteivorsitzende, die parteiisch ist. Und Punkt. Mehr brauche ich nicht dazu sagen."

Linken-Fraktionsvize Dietmar Bartsch: Nervosität von Merkel ist verständlich

Kritik an den Äußerungen der CDU-Chefin kam auch aus der Linkspartei. "Die Nervosität der CDU-Parteivorsitzenden ist verständlich angesichts von möglicherweise bald nur noch vier Ministerpräsidenten mit CDU-Parteibuch", sagte der stellvertretende Vorsitzende der Linken-Bundestagsfraktion, Dietmar Bartsch, dem Tagesspiegel. "Allerdings sollte dies Angela Merkel nicht dazu verführen, demokratische Entscheidungen ihres Koalitionspartners madig zu machen. Das ist staatspolitisch bedrückend." Verloren habe die SPD in Thüringen und im Bund als Juniorpartner der CDU, nicht der Linken. "Die Union wird sich daran gewöhnen müssen, dass ihre Rote-Socken-Kampagnen in der parteipolitischen Landschaft nicht mehr verfangen und selbst die Kanzlerschaft der CDU nicht naturgegeben ist."

Die Grünen-.Bundesvorsitzenden Simone Peter und Cem Özdemir erklärten: "Dass Bundeskanzlerin Merkel den SPD-Mitgliederentscheid als schlechte Nachricht für den Freistaat abkanzelt, zeigt, wie viel Beharrungsvermögen die CDU in Thüringen entwickelt hat. Die Thüringerinnen und Thüringer haben sich jedoch für den offenen Blick nach vorne entschieden."

Die Mitglieder der SPD in Thüringen hatten sich für eine rot-rot-grüne Regierung unter Führung des Linken-Politkers Bodo Ramelow ausgesprochen. In einer Mitgliederbefragung stimmten 70 Prozent für dieses Bündnis, wie die Landes-SPD am Dienstag mitgeteilt hatte. Die Beteiligung lag bei 78 Prozent. Zu Beginn der ersten Verhandlungsrunde der drei Parteien am Mittwoch sagte SPD-Landeschef Bausewein vor Journalisten, er rechne damit, dass die Verhandlungen in zwei Wochen durch seien. Er sehe keine Punkte, die nicht lösbar wären. In der ersten Runde der Koalitionsverhandlungen am Mittwoch sollten vor allem Formalia geklärt werden. Bei den zu klärenden Sachfragen benannten die Grünen die Finanzierung der freien Schulen als noch strittig, hier gebe es noch viel Luft nach oben.

Angestrebt wird die Wahl von Ramelow zum Ministerpräsidenten am 5. Dezember im Erfurter Landtag. Sollte der Linke-Politiker an diesem Tag tatsächlich ins Amt kommen, könnte er bereits am 11. Dezember an einem Treffen mit den anderen Länder-Regierungschefs teilnehmen, zu dem Kanzlerin Merkel nach Berlin eingeladen hat.

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