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Erwägt Sanktionen gegen Syrien: Der türkische Ministerpräsident Erdogan.

© Reuters

Nach Militäroperationen gegen Oppositionelle: Türkei grenzt sich von Syrien ab

Der internationale Druck auf die syrische Regierung wächst. Sogar der türkische Ministerpräsident Erdogan erwägt Sanktionen.

Viel Gerede, kaum Substanz und keine Ergebnisse – so lautet der Vorwurf an die Außenpolitik der Türkei. Dabei versucht Ankara sich als regionale Führungsmacht zu etablieren. Jüngstes Beispiel ist der Konflikt in Syrien, wo wiederholte Reformappelle von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan vom Regime des Präsidenten Baschar al Assad komplett ignoriert wurden. Nun muss Ankara handeln, um nicht als Papiertiger dazustehen. Eine offizielle Distanzierung von Assad wird erwartet, auch bilaterale Handelssanktionen sind im Gespräch. Zudem arbeitet die Türkei an einer Regionalinitiative, um Assad zum Rücktritt zu bewegen.

In den syrischen Städten Latakia und Deir al Sor - hat sich die Situation nach den Militäroperationen und Razzien der vergangenen Tage zwar wieder etwas beruhigt. Dafür rückten die Regierungstruppen am Mittwoch nach Angaben von Regimegegnern in größerer Zahl in die Städte Homs und Hama vor. In Hama seien außer Erwachsenen auch zahlreiche Minderjährige festgenommen worden.

Die Organisation Syrischer Menschenrechtsbeobachter berichtete, am Vortag seien in der Provinz Idlib und in Deir al Sor jeweils ein Zivilist getötet worden. In Latakia sei am Mittwoch eine Frau ihren Verletzungen erlegen, die sie am Montag erlitten habe. Ein Scharfschütze habe in Homs einen Mann erschossen. Gute Gründe, sich vom Regime abzugrenzen.

Der türkische Anspruch, als muslimische Demokratie, EU-Kandidat und wirtschaftlicher Aufsteiger eine führende Rolle in der Region zu spielen, hat mehrere Rückschläge erlitten. Vermittlungsbemühungen im iranischen Atomkonflikt scheiterten und weckten im Westen sogar Misstrauen. Der Libyen-Konflikt erwischte Ankara auf dem falschen Fuß. Und in Syrien hat die Türkei trotz vieler Appelle nichts erreicht: Assad lässt weiter auf das eigene Volk schießen.

Erdogan brülle wie ein Löwe, beiße aber nicht zu, schrieb der Kolumnist Semih Idiz. Die Erdogan-Regierung arbeitete bis vor kurzem eng mit Baschar al Assads Syrien zusammen, sogar gemeinsame Kabinettssitzungen gab es. Die Beziehungen zum ehemals feindlichen Nachbarn Syrien galten als Beispiel für den Erfolg der „Null-Problem“-Politik des türkischen Außenministers Ahmet Davutoglu.

Damit ist es vorbei. Ankara hat eingesehen und öffentlich eingestanden, dass Davutoglus jüngster Besuch in Damaskus vom 9. August nichts gebracht hat. Statt der erwarteten Entspannung habe es eine Verschärfung gegeben, sagte Davutoglu. Er weiß, dass die mehrheitlich sunnitische Bevölkerung der Türkei als Reaktion auf das Vorgehen des Assad-Regimes gegen die sunnitische Mehrheit in Syrien inzwischen mehr erwartet als nur Appelle. Erdogan und Davutoglu machen aus ihrem Frust keinen Hehl. Erdogan soll Assad am Telefon angefahren haben: „Was machen Sie denn da?“ Davutoglu warnte die Syrer davor, die Türkei mit leeren Versprechen über Truppenrückzüge und andere Entspannungssignale hereinlegen zu wollen.

Über lancierte Presseberichte und Berater lässt die Regierung nun seit einigen Tagen durchsickern, welche politischen Mittel gegen Syrien infrage kommen. Ein Davutoglu-Berater brachte die Möglichkeit eines türkischen Einfuhrstopps für syrische Importe ins Gespräch. Im Falle einer von den Vereinten Nationen gebilligten internationalen Militäraktion in Syrien will die Türkei laut Pressemeldungen zwar nicht aktiv teilnehmen, aber Unterstützung leisten, etwa durch die Bereitstellung von Luftwaffenstützpunkten. Davutoglu sagte am Mittwoch, es sei undenkbar, dass sich die Türkei aus einer solchen Aktion ganz heraushalte. Das Thema Syrien wird bei Regierungspolitikern und Militärs in einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats in Ankara an diesem Donnerstag zur Sprache kommen.

Während ein militärisches Eingreifen in Syrien bisher nur als theoretische Möglichkeit eine Rolle spielt, ist das Nachdenken über eine offizielle Distanzierung vom Assad-Regime weit gediehen. Ein Regierungsvertreter sagte unserer Zeitung, im Moment sei eine solche Erklärung zwar nicht geplant, doch beobachte Ankara die Entwicklung der Lage und werde „entsprechend handeln“.

Sollte die Türkei als größter Nachbar Syriens öffentlich verkünden, dass Assads Regierung aus ihrer Sicht ihre Legitimation verloren hat, dann wäre das ein wichtiger Impuls für die syrische Opposition, sagte der Nahost-Experte Oytun Orhan von der Ankaraner Denkfabrik Orsam dem Tagesspiegel. Ankara wolle in dieser Frage nicht erst dann handeln, wenn die USA, die eine ähnliche Erklärung vorbereiten, vorgeprescht seien, betonte Orhan: Im syrischen Regionalkonflikt will die Türkei vorneweg sein und nicht als Teil des amerikanischen Gefolges gesehen werden.

Zunächst sondiert Ankara die Möglichkeit einer gemeinsamen Rücktrittsforderung mehrerer Länder an die Adresse Assads. Nach einem Treffen mit seinem jordanischen Kollegen Nasser Judeh am Mittwoch in Istanbul sagte Davutoglu, er stehe mit den Kollegen mehrerer Staaten in Kontakt. „Ein gemeinsames Vorgehen ist wichtig“, antwortete er auf die Frage eines Reporters, wann die Türkei den Amtsverzicht des syrischen Staatschefs fordern werde. US-Außenministerin Hillary Clinton hatte bereits am Dienstag eine solche Regionalinitiative angedeutet: Wenn Länder wie die Türkei und andere Regionalmächte einen Rücktritt fordern sollten, „dann kann das Assad-Regime das unmöglich ignorieren“. Russland dagegen liefert weiter Waffen an Assads Regime. Solange es keine Sanktionen gäbe, erfülle man die Verträge. (mit dpa)

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