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2. Februar: Ägypten kommt nicht zur Ruhe. Die Rede von Präsident Mubarak hat die Rücktrittsrufe geradezu angefeuert. Mehrere hundert Demonstranten halten sich auch am Morgen nach Mubaraks Rückzugsankündigung auf dem Tahrir-Platz in Kairo auf.

© dpa

Nach Mubarak-Rede: Proteste in Ägypten gehen weiter

Ägypten kommt nicht zur Ruhe. Das Parlament ist suspendiert worden, bis das Ergebnis der umstrittenen Wahl vom Dezember überprüft wurde. Die Rede von Präsident Mubarak hat die Rücktrittsrufe geradezu angefeuert. Das Internet wurde unterdessen wieder freigeschaltet.

Das ägyptische Parlament ist laut Staatsmedien suspendiert worden, bis das Ergebnis der umstrittenen Wahl vom Dezember überprüft wurde. Beide Kammern des Hauses hätten ihre Sitzungen "bis auf Weiteres" ausgesetzt, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Mena am Mittwoch. Die Opposition, deren Anhänger seit über eine Woche gegen Präsident Hosni Mubarak protestieren, hatte nach der Parlamentswahl Betrugsvorwürfe erhoben.

Mubaraks Regierungspartei hatte die Wahl gewonnen, die in der zweiten Runde von den wichtigsten Parteien der säkularen und islamistischen Opposition boykottiert worden war. Sie protestierten damit gegen den Verlauf der ersten Abstimmungsrunde Ende November, die ihrer Ansicht nach von Unregelmäßigkeiten gekennzeichnet war. Nach offiziellen Angaben gingen 424 der 508 Sitze an Mubaraks Nationaldemokratische Partei (PND).

Mubarak hat derweil die versprochene Verfassungsreform auf den Weg gebracht. Das ägyptische Fernsehen meldete, die Reform solle binnen 70 Tagen abgeschlossen werden. Dabei geht es vor allem um einen Paragrafen, der es unabhängigen Kandidaten praktisch unmöglich macht, für das Amt der Präsidenten anzutreten.

Die Änderung dieses Paragrafen war vor Beginn der Protestaktionen vor einer Woche eine der wichtigsten Forderungen der Opposition gewesen. Jetzt, wo sich die außerparlamentarische Opposition zu einer Massenbewegung entwickelt hat, erwarten ihre führenden Köpfe jedoch noch weitere, radikalere Reformen. Das während der Massenproteste abgeschaltete Internet wurde am Mittwoch wieder freigeschaltet. Wie das Staatsfernsehen berichtete, wurde außerdem die Ausgangssperre in Kairo und anderen Städten gelockert.

Die ägyptische Armee hat die Regierungsgegner unterdessen zu einem Ende ihrer Proteste aufgerufen. Die Demonstranten sollten nach Hause gehen, um eine "Rückkehr zu Sicherheit und Stabilität" ermöglichen zu können, hieß es in einer Mitteilung der Armee, die am Mittwoch im staatlichen Fernsehen verlesen wurde.

Auf dem Kairoer Tahrir-Platz forderten am Mittwochmittag dennoch rund 6000 Demonstranten weiter den sofortigen Rücktritt Mubaraks. Unweit davon formierten sich Mubarak-Anhänger zu einer Gegendemonstration. Es kam nach Angaben von Augenzeugen zu hitzigen Wortgefechten, aber nicht zu Gewalt. Im Kairoer Stadtteil Mohandesien formierte sich ebenfalls eine Pro-Mubarak-Demonstration mit mehr als 10.000 Menschen.

Weitere Kundgebungen angekündigt

Staatschef Mubarak hatte am späten Dienstagabend in einer Fernsehansprache angekündigt, bei der Präsidentenwahl spätestens in diesem September nicht mehr zu kandidieren. Die Protestbewegung, die seit acht Tagen auf dem Tahrir-Platz demonstriert, verlangt den sofortigen Rücktritt Mubaraks. Redner auf dem Platz kündigten in der Nacht zum Mittwoch weitere Kundgebungen an.

Die Proteste gegen Mubaraks Regime gingen in der Nacht weiter. Im Zentrum von Alexandria kam es zu kurzen Zusammenstößen. Viele Demonstranten auf dem zentralen Tahrir-Platz in Kairo kündigten die Fortsetzung der Proteste bis zur Amtsaufgabe Mubaraks an.

"Wie immer hört er nicht auf sein Volk"

In einer ersten Reaktion zeigte sich die Jugendbewegung 6. April enttäuscht vom Angebot des 82-Jährigen, im September nicht erneut zu kandidieren. "Wir lehnen das ab, weil es unsere Forderungen nicht erfüllt", sagte ein Sprecher der Bewegung in Kairo. "Wir setzen die Proteste fort, bis unsere Forderungen erfüllt sind, besonders die Forderung nach dem Rücktritt Mubaraks und seines Regimes." Friedensnobelpreisträger Mohamed el Baradei zeigte sich enttäuscht. "Wie immer hört er nicht auf sein Volk." In Kairo hatten tagsüber bis zu zwei Millionen Menschen demonstriert.

In einer mit Spannung erwarteten Rede an die Nation verkündete Mubarak am Dienstagabend lediglich, dass er die noch verbliebenen Monate im Amt für eine "friedliche Machtübergabe" nutzen wolle. Kurz zuvor hatten die USA erstmals Kontakt mit El Baradei aufgenommen, dem Hoffnungsträger der Opposition.

Obama plädiert für einen schnellen Übergang

US-Präsident Barack Obama drängte Mubarak in einem persönlichen Gespräch, sofort den Weg zur Demokratie freizumachen. "Ein geordneter Übergang muss bedeutungsvoll sein, muss friedlich sein und muss jetzt beginnen", sagte Obama am Dienstag in Washington. Er habe dies in einem Telefonat mit Mubarak nach dessen Rede verdeutlicht. "Er erkannte an, dass der gegenwärtige Zustand nicht aufrechterhalten werden kann."

Der US-Präsident sagte nicht direkt, ob Mubarak sich sofort zurückziehen müsse, aber laut einem Bericht der "Washington Post" würde es die amerikanischen Regierung vorziehen, wenn der Ägypter die Macht schon vor den angekündigten Wahlen an eine Interimsregierung abgeben würde. Obama lobte das ägyptische Militär ausdrücklich dafür, sich während der Massenproteste professionell und patriotisch verhalten zu haben. Er forderte es nachdrücklich auf, sich auch weiterhin für einen friedlichen Verlauf der Demonstrationen einzusetzen. Bei der Vorbereitung freier und fairer Wahlen müsse gewährleistet sein, dass verschiedene Stimmen und Oppositionsgruppen zu Wort kämen, sagte Obama weiter.

Bereits vor der Äußerung des US-Präsidenten hatten Medien berichtet, dass Obama Mubarak aufgefordert habe, auf eine weitere Amtszeit zu verzichten. Der US-Sondergesandte Frank Wisner habe diese Botschaft persönlich in Kairo an Mubarak überbracht. Dies wäre seit Beginn der Revolte in Ägypten die erste konkrete Rückzugsforderung an Mubarak aus dem Weißen Haus.

Amr Mussa, Generalsekretär der Arabischen Liga, warnte davor, das Angebot Mubaraks gleich vom Tisch zu fegen. "Ich glaube, dass da etwas angeboten wurde, über das man genau nachdenken sollte", sagte er im US-Sender CNN. Mussa kündigte an, er werde möglicherweise selbst für das Präsidentenamt kandidieren.

Mubarak will nicht ins Exil gehen

Mubarak sagte in seiner Ansprache: "Ich werde nicht für eine neue Amtszeit kandidieren". Bis zum Ende seiner Amtszeit im September wolle er den Weg für die geforderten freien Wahlen mit Änderungen der Verfassung bereiten. "Die Ereignisse der vergangen Tage verlangen von uns, dass wir zwischen Chaos und Stabilität wählen", sagte Mubarak. Er schloss praktisch aus, ins Exil zu gehen. "Dies Land ist auch meine Heimat, und in diesem werde ich sterben", sagte Mubarak.

Kurz vor der Mubarak-Rede hatte sein Stellvertreter Omar Suleiman erstmals Kontakt mit der Opposition aufgenommen. Nach Informationen des Senders Al-Arabija rief das Büro Suleimans Vertreter der Protestgruppen auf dem Tahrir-Platz an.

In Kairo verständigten sich Vertreter aller größeren Oppositionsparteien und -bewegungen auf eine gemeinsame Linie. Sie fordern den Rücktritt Mubaraks und eine "Regierung der nationalen Allianz". Zu den Forderungen, die nach einem Treffen am Dienstag in Kairo erhoben wurden, gehört auch die Auflösung der beiden Parlamentskammern sowie der Regionalparlamente. Eine Arbeitsgruppe soll eine neue Verfassung ausarbeiten.

Die ägyptische Opposition lehnt Gespräche mit den Machthabern vor einem Rücktritt Mubaraks ab. "Wir erwarten, dass die Führung uns einen Zeitplan für die Umsetzung dieser Forderungen präsentiert. Erst dann sind wir bereit, einen Dialog mit Vizepräsident Omar Suleiman zu beginnen", hieß es.

Für Ägypten gehen die Vereinten Nationen von deutlich mehr Todesopfern bei den Unruhen aus als bisher bekannt. "Unbestätigte Berichte sprechen von bisher 300 Toten und mehr als 3000 Verletzten", sagte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, in Genf. Bei der Demonstration auf dem Tahrir-Platz in Kairo zeigten die Streitkräfte Präsenz, ohne die Proteste zu behindern. Das Militär zog Unruhestifter und mutmaßliche Kriminelle aus dem Verkehr, hielt sich ansonsten aber im Hintergrund. (dpa/AFP)

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