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Lebt in den USA, die Türkei fordert seine Auslieferung: Fethullah Gulen.

© dpa

Nach Putschversuch in der Türkei: Schadet der Streit um die Auslieferung Gülens dem Kampf gegen den IS?

Der Putschversuch belastet das Verhältnis zwischen Washington und Ankara. Eine türkische Zeitung schreibt, die US-Regierung habe Erdogan töten wollen.

Nach dem gescheiterten Staatsstreich in der Türkei gerät auch das Verhältnis zwischen Ankara und Washington in Turbulenzen. Nachdem ein türkischer Minister den USA eine Beteiligung an dem Putschversuch vorgeworfen hatte, ging eine regierungsnahe Zeitung jetzt noch einen Schritt weiter und behauptete, die US-Regierung habe Präsident Recep Tayyip Erdogan töten wollen. Im Zentrum des Streits steht der in den USA lebende Prediger Fethullah Gülen, der von Erdogan als Drahtzieher des Aufstands betrachtet wird. Beobachter befürchten nun, dass der gemeinsame Kampf gegen den „Islamischen Staat“ unter den Spannungen leiden könnte.

Ibrahim Karagül, Chefredakteur der Erdogan-treuen Zeitung „Yeni Safak“, ist für seine mitunter sehr steilen Thesen bekannt. Diese Woche beschuldigte er die Regierung in Washington, Gülen und dessen Anhänger benutzt zu haben, um den Staatsstreich gegen Erdogan loszutreten und den türkischen Präsidenten loszuwerden. „Die USA wollten Erdogan töten“, lautete die Überschrift von Karagüls Kolumne. US-Botschafter John Bass sah sich gezwungen, die Vorwürfe im türkischen Fernsehen zurückzuweisen. Zuvor schon hatte Arbeitsminister Süleyman Soylu von einer Verwicklung der USA in den Putschversuch vom vergangenen Freitag gesprochen.

Erdogan forderte in einem Telefonat mit US-Präsident Barack Obama die Auslieferung Gülens, der seit 1999 im Bundesstaat Pennsylvania lebt. Gleichzeitig reichten die türkischen Behörden in Washington Unterlagen ein, die eine Verwicklung Gülens in gewalttätige Aktionen beweisen sollen. Der islamische Prediger selbst wies alle Vorwürfe zurück und betonte, er glaube nicht an eine Auslieferung, denn es gebe solche Beweise nicht.

USA fordert Beweise

Washington reagiert mit deutlicher Zurückhaltung auf die ungestümen türkischen Forderungen im Fall Gülen. Stichhaltige Beweise müssten her, sagte Außenminister John Kerry. Bisher weigern sich die USA auch, die Aktivitäten der Gülen-Bewegung auf amerikanischen Boden – etwa den Betrieb von rund hundert Schulen – zu verbieten. Mit einem solchen Verbot könnten nach türkischer Ansicht die Geldquellen der Bewegung trockengelegt werden.

Für weitere Spannungen im bilateralen Verhältnis sorgt das Vorgehen der Erdogan-Regierung gegen ihre mutmaßlichen Gegner seit dem gescheiterten Putsch. Obama forderte Erdogan mit Blick auf Massenverhaftungen und Willkürakte gegen mutmaßliche Regierungsgegner auf, die Regeln des Rechtsstaates zu achten. Doch in der amerikanischen Hauptstadt wird stark bezweifelt, dass sich Erdogan daran halten wird. „Man kann nicht innerhalb von ein paar Stunden handfeste Beweise gegen 8000 Menschen sammeln“, sagte Richard Pearson, ein ehemaliger US-Botschafter in Ankara, der jetzt bei der Denkfabrik Middle East Institute in Washington arbeitet, im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

„Die Erdogan-Gegner haben eine Riesenwut auf Gülen.“

Das Gebräu aus gegenseitigen Vorwürfen und Verdächtigen könnte zur Krise zwischen der Türkei und den USA werden, meint der Kolumnist Semih Idiz. Zwar habe Erdogan kein Interesse an einer solchen Entwicklung und werde seine eigene Rhetorik deshalb bald zügeln müssen, sagte Idiz dieser Zeitung. Doch derzeit gingen die Emotionen sehr hoch. „Die Erdogan-Gegner haben eine Riesenwut auf Gülen.“

Der Türkei-Experte Sinan Ülgen vom Institut Carnegie Europe in Brüssel befürchtet, dass der Streit um Gülen den Kampf gegen den IS schwächen könnte. Schließlich verließen sich die USA darauf, den IS von türkischen Luftwaffenstützpunkten angreifen zu können, schrieb Ülgen in einer Analyse für sein Institut. Auch der Zusammenhalt der Nato könnte gefährdet sein.

So weit will Ex-Botschafter Pearson nicht gehen. Es liege bei Erdogan, ob er die Spannungen anheizen und eine ernsthafte Krise auslösen wolle, sagte Pearson in Washington. Derzeit laufe die Zusammenarbeit gegen den IS jedenfalls störungsfrei weiter. Das Gegrummel in den türkisch-amerikanischen Beziehungen verglich Person mit einer aufziehenden Gewitterfront, von der man nicht weiß, ob sie vorüberzieht. „Man sieht die Sturmwolken und die Blitze, man fühlt den auffrischenden Wind“, sagte er. „Aber wird es auch regnen?“

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