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Verbunden. Einige Traditionsbetriebe haben die koreanische Wirtschaft im Griff – und die Regierung in Seoul. Das Land muss nun mit Traditionen brechen.

© AFP

Nach Scheitern des Galaxy Note 7: Samsungs Straucheln erschüttert Südkorea

Ab sofort darf das Galaxy Note 7 nicht mal mehr ausgeschaltet mit ins Flugzeug. In Südkorea sind die brennenden Samsung-Handys eine nationale Schande. Im Land könnte sich deshalb das Wirtschaftssystem ändern.

Den Mann, der dem Stolz des Landes den Rücken kehrte, verwirren in diesen Tagen seine Gefühle. Eigentlich kann Sang Choi, ein Mittvierziger in Bermuda-Shorts und Karohemd, optimistisch sein. Er hat ein Start-up gegründet, das offenbar gebraucht wurde. „Wir haben unsere Idee“, prahlt Choi, „schon in acht Ländern patentiert.“ Er steht dabei in einem dunklen Saal auf dem Podium, mehr als 100 Investoren sitzen davor. „Wir Asiaten machen uns doch immer Sorgen, dass unsere Englischkenntnisse nicht gut genug sind.“ Mit seiner App könne man es jetzt spielerisch lernen: „Wir bieten virtuelle Unterhaltungen mit Filmstars wie Tom Cruise. So lernt man und erfüllt sich noch seine heimlichen Träume!“ Ohne dass Choi für Werbung bezahlt hätte, hat die App schon 12 000 Nutzer.

Und doch ist nicht alles gut. Sang Choi plagt das Gefühl, dass man ihn vielleicht woanders brauche – bei seinem ehemaligen Arbeitgeber: Samsung. Dessen Jahresumsatz von umgerechnet 275 Milliarden Euro macht ein Fünftel der koreanischen Volkswirtschaft aus. Für den Elektrokonzern arbeiten rund 490 000 Männer und Frauen, insgesamt dürften mehr als eine, vielleicht zwei Millionen Koreaner von ihm leben. Nun strauchelt Samsung mehr als je zuvor.

"Schande für unser Land"

„Wir Koreaner sind sehr stolz auf Samsung“, sagt Choi und fasst sich an die linke Brust, ans Herz. „Aber das, was passiert ist, ist eine Schande für unser Land.“ Die Schande, von der man in Südkorea überall spricht, passt in eine Hosentasche. Auch Choi wollte sich das neue Premium-Smartphone Galaxy Note 7 holen. Dann brannten die ersten Note-7-Handys, es dauerte nur Tage bis es aus immer mehr Ländern hieß: Telefon in Flammen aufgegangen. Sogar nachdem die Akkus ausgetauscht worden waren. Das US-Verkehrsministerium in Washington teilte mit, dass Note-7-Handys in Flugzeugen seit Sonnabend als „gefährliches Material“ komplett verboten sind. Und Air Berlin zog gleich nach.

Samsung hatte da schon einen Rückruf gestartet, das Produkt wurde vom Markt genommen. Was bleibt, ist Erschütterung. Der Schaden könnte Schätzungen zufolge 15 Milliarden Euro betragen. Niemand weiß, was jetzt folgen wird, ob das Vertrauen der Kunden zurückgewonnen werden kann. „Ein rauer Wind erwartet unsere Wirtschaft“, schrieb die konservative Tageszeitung „JoongAng Ilbo“ vor ein paar Tagen. Schon stünden einige Samsung-Zulieferer vor der Pleite. „Die Samsung-Krise offenbart unser Konglomeratsproblem“, meint „Korea Herald“. Das Land sei von ein paar Konzernen abhängig, die gemessen an ihren immensen Erlösen auch zu wenige Jobs für junge Menschen schaffen. Das linksliberale Blatt „Hankyoreh“ schreibt von einer „Vertrauenskrise wegen intransparenter Unternehmensführung“.

"Ich habe die Enge dort nicht mehr ertragen"

Samsung senkte zuletzt seine Gewinnprognose, die Zentralbank geht von weniger Wachstum für ganz Südkorea aus. Die Samsung-Krise, die eine Südkorea-Krise wurde, hat nach Choi auch mit der Kultur im Konzern zu tun. „Die Angestellten können es ihren Chefs einfach nicht sagen, wenn bestimme Vorgaben unmöglich zu erfüllen sind. Im Fall des Note 7 waren es zu enge Deadlines.“ Nach der Universität hatte sich Choi den Traum junger Koreaner erfüllt – einen Job bei Samsung. Ein paar Jahre später verließ er den Konzern wieder. Wegen der „militärischen Strenge“, wie er es nennt: „Ich habe die Enge dort nicht mehr ertragen. Man konnte sich nicht weiterentwickeln, es gab keine Freiheiten. Man führte nur Aufgaben aus.“ Für einen Programmierer wie Choi hieß das: Am Bildschirm kodieren, was von oben diktiert wird. „Wenn ich mal eigene Ideen hatte, hörte keiner hin. Ich war ja nur einer der Jungen.“ Viele sagen, das sei eben so bei den Chaebols.

In Südkorea werden Chaebols die riesigen Konzernkonglomerate genannt, die fast die komplette Wirtschaft des Landes dominieren. An ihnen kommt niemand vorbei, nicht beim Einkaufen im Supermarkt, nicht in den Medien, nicht in der Politik. Die Umsätze der zehn größten Konzerne machen 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Neben Samsung gehört etwa der Autobauer Hyundai dazu, der Chemieriese SK oder der Nahrungsmittelkonzern Lotte. Die meisten Konzerne sind in diversen Branchen aktiv. Samsung verdient nicht nur mit Elektronik, sondern auch im Bau, mit Mode, Hotels oder Versicherungen.

Viele Südkoreaner sagen: die Chaebols sind mächtiger als die Präsidentin Park Geun-hye. Wenn das stimmt, dürfte Lee Jae-yong, der Samsung seit zwei Jahren führt, der mächtigste Manager überhaupt sein. In dritter Generation leitet er den Konzern. Samsung, was auf Deutsch so viel wie „drei Sterne“ bedeutet, begann im Zweiten Weltkrieg als Lebensmittelhandel. Nach dem Krieg zog Gründer und Landbesitzer Lee Byung-chul in die Hauptstadt Seoul. Nach dem Koreakrieg musste Samsung bald schon wieder aufgebaut werden - das aber schien auch wegen der strengen Hierarchien und der von Gründer Byung-chul zur Politik gepflegten Nähe zu klappen. In den 1980er übernahm Sohn Lee Kun-hee die Spitze und führte die Expansionsstrategie in alle möglichen Geschäftsfelder fort. Samsung war nun der Elektroexperte.

Weltweit sorgten die feinen, kompakten Fernseher für Aufsehen, vor zehn Jahren dann die Smartphones. Die patriotischen Koreaner erhoben den Konzern zum Nationalstolz, Samsung war Sponsor der Olympischen Spiele. Der Konzern wurde so groß, dass die Regierung ohne ihn kaum noch Wirtschaftspolitik machen könnte.

Vor 60 Jahren gehörte Südkorea zu den ärmsten Ländern

Das Gefühl, die Chaebols seien zu groß geworden, haben inzwischen viele Koreaner. Dabei galten diese Familienunternehmen lange Zeit als Vorbilder. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Japaner abzogen, gehörte Korea zu den ärmsten Ländern der Welt. Dann kam noch der dreijährige Koreakrieg. Um wirtschaftlich aufzuholen, stützte sich Militärdiktator Park Chung-hee auf die damals noch kleinen, aber gut vernetzten Chaebol-Familienbetriebe. Ihnen gab er Kredite und Lizenzen, sie wurden zu Motoren der Industrialisierung. Erst Textilien, dann Schwerindustrie, zuletzt Hightech.

Koreaner nennen den Aufstieg „das Wunder des Han-Flusses“, der durch Seoul fließt. Die Stadt gehört heute zu den modernsten Metropolen der Welt, mit dem schnellsten Internet, den zuverlässigsten U-Bahnen und gläsernen Wolkenkratzern. Viele rasant wachsenden Volkswirtschaften tappten einst in das, was Ökonomen die „Falle der mittleren Einkommen“ nennen: Sie erreichen ein Wohlstandsplateau, von dem aus sie den nächsten Schritt der Spezialisierung nicht mehr erreichen. Südkorea aber gelang dieser Schritt. Dies wohl auch deshalb, weil die Chaebols die Wirtschaftspläne der Regierung durch die strengen Hierarchien schnell umsetzen konnten.

Nun gibt es in den Bars der Hauptstadt kaum ein anderes Thema. Dass Samsung ernste Schwierigkeiten hat, wird als Peinlichkeit und Genugtuung gleichermaßen empfunden. Denn dass die Chaebols zu groß geworden sind, glauben die meisten. Es gibt Koreaner, die waren schon lange vor dem Samsung-Skandal skeptisch. Einer von ihnen, Hong Jong-hak, saß bis zu den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr für die oppositionelle Demokratische Partei im Parlament. Der Ökonom legte sein Mandat nieder, um wieder an der Universität zu forschen. Er lädt in sein Büro in Seoul. „Demokratie und die Konzentration von Kapital sind eng miteinander verbunden“, sagt der kräftige Mann mit lockerem Hemd. „Korea steht heute auf einem Niveau wie Deutschland und die USA in den 20er Jahren. Damals gab es dort einige riesige Konzerngruppen, die einen Großteil der Wirtschaft kontrollierten.“

Die Samsung-Offiziellen sind nun noch schwieriger zu erreichen

Hong reckt sich zum Regal und holt einen Ordner - ein selbst angelegtes Verzeichnis über die Steuerlast verschiedener Unternehmen. „Die Chaebols besitzen gut 1500 kleinere Unternehmen in Korea, das ist nicht einmal ein halbes Prozent aller Betriebe im Land. Aber sie erhalten ungefähr die Hälfte aller Steuererleichterungen.“ Sie zahlen jedenfalls geringere Steuern als der Schnitt.

Diese Schieflage sei dem Einfluss geschuldet, sagt der Ökonom, den die Familienimperien auf die Politik haben. Und wenn ein Betrieb ein Fehler mache, dann sei auch noch gleich das ganze Land dran. „Die Autobauer Hyundai und Kia sind derselbe Konzern. Sie haben die Entwicklung von Elektro- und Wasserstoffautos verschlafen, deshalb hinkt jetzt die gesamte koreanische Autobranche hinterher. Als Ende der 90er Jahre der Industriekonzern Daewoo pleiteging, stürzte das ganze Land tiefer in die Krise.“

Und jetzt, nach dem Samsung-Skandal? Die Offiziellen des Konzerns sind für Journalisten noch schwieriger zu erreichen als in normalen Zeiten.

Im „Samsung Innovation Museum“ bei Seoul, wohin die Elektronik-Sparte von Samsung 2015 ihre Zentrale verlegte, gab man sich vor einigen Tagen, als der Rückruf des Galaxy Note 7 noch nicht verkündet war, gut gelaunt. Ein Werbefilm, kinogroß an eine Wand gebeamt, nimmt die Zukunft vorweg: Dank Samsung werden die Menschen eines Tages virtuelle 3-D-Welten durch eine Brille erleben können. Wie Science-Fiction sieht es aus, nur besser, friedlicher, sicherer. Christina Chon, eine hellgeschminkte Dame, die in ihrem Samsung-Kostüm an eine Stewardess erinnert, führt durch eine Ausstellung in der Zentrale.

Chon zeigt auf das nun weltweit umstrittene Galaxy Note 7: „Unser Premiumprodukt auf dem Smartphonemarkt. Es kann den Nutzer durch Scannen der Iris erkennen.“ War da nicht was mit dem Akku? Chon, bis dahin sehr gesprächig, wurde wortkarg. „Da gab es kleine Probleme. Aber seit die Akkus von einem neuen Zulieferer kommen, ist das behoben.“ Ende der Diskussion für die Samsung-Repräsentantin. Danach geht es bei Chon noch gut gelaunt um neue, intelligente Kühlschränke.

Für die Nation zu tüfteln - eine Ehre

„Das Problem ist, dass es alle Innovationen, die von woanders kommen, extrem schwer haben“, klagt Sang Choi, der Start-up-Gründer und Ex-Samsung-Mann später im Zentrum von Seoul. „Und so leiden wir auch alle, wenn bei denen der Erfolg ausbleibt.“ Tatsächlich brachen dieses Jahr die koreanischen Exporte um mehr als zehn Prozent ein, weil die Chaebols ins Schlittern geraten sind. Der Arbeitsmarkt ist für junge Koreaner schon lange ein Problem. Denn neue Unternehmen, die Jobs schaffen würden, werden von den Platzhirschen vom Markt gedrängt.

Die Regierung hat das verstanden. In den letzten Jahren gründete sie Start-up-Zentren, in denen Jungunternehmer - vom Staat unterstützt - Ideen entwickeln. Südkorea will sich von einem Land der Familienkonglomerate zu einem Hub für Start-ups verwandeln. Ob diese Politik erfolgreich sein wird, ist nicht abzusehen. Sang Choi immerhin zählt zu den ersten Profiteuren. Vor einem Jahr zog er in ein modernes Büro am Rande von Seoul, wo er seitdem mit sechs Mitarbeitern an seiner Englisch-Lernen-App tüftelt. „Ich hätte mein Projekt gerne den Wagniskapitalgebern von Samsung angeboten. Die haben sehr viel Geld“, sagt Choi. Er sieht fast wehmütig aus, kurz bevor er sich in der Hotellobby mit einem chinesischen Investor treffen will.

Wieder ein Teil des größten Konzerns der koreanischen Nation zu sein, das wäre für ihn eine fast patriotische Ehre gewesen. „Aber Samsung investiert erst dann in ein Unternehmen, wenn es längst Erfolg hat.“ Gute Ideen, die von unten kommen, unterstütze die Firma nicht.

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