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Wulf Gallert, Spitzenkandidat der Linken in Sachsen-Anhalt, und Katja Kipping Vorsitzende der Partei Die Linke sprechen nach der Wahl über das Abschneiden der Linken.

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Update

Nach Wahlniederlagen der Linkspartei: Katja Kipping warnt vor "Wahlkampf-Viagra" für die AfD

Linken-Parteichefin sieht angesichts der Wahlerfolge der AfD die Gefahr, dass die Positionen der Partei von anderen übernommen werden. Die Kritik richtet sich auch an die Genossin Sahra Wagenknecht.

Von Matthias Meisner

"Wenn AfD-Positionen übernommen werden von anderen Parteien, führt das vor allem dazu, dass die AfD gestärkt wird." Katja Kipping, die Vorsitzende der Linken, sagt das am Montag nach den Wahlen in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, die für ihre Partei in allen drei Ländern mit einer Niederlage endeten.

Es ist ein Hinweis beispielsweise an den sachsen-anhaltinischen Ministerpräsidenten Reiner Haseloff, der die Obergrenzen-Debatte in der Flüchtlingsfrage mit befeuert habe. Und an SPD-Chef Sigmar Gabriel, dem sie einen "Schlingerkurs" in der Asylpolitik vorwirft. Aber, so fügt Kipping auf Nachfrage hinzu, sie habe diese Bemerkung auch als "Warnung an uns selber" gemeint. AfD-Positionen zu übernehmen, das wäre "Wahlkampf-Viagra" für diese Partei, die aus Sicht der Linken-Chefin "zumindest in Teilen faschistisch orientiert" sei.

In der Wahlanalyse, die Horst Kahrs und Benjamin-Immanuel Hoff für die linken-nahe Rosa-Luxemburg-Stiftung verfasst haben, heißt es, alle linken Spitzenkandidaten bei den Wahlen hätten "Haltung für offene Grenzen für Menschen in Not und gegen Rassismus" gezeigt, "doch öffentlichkeitswirksam wurden aus Partei und Bundestagsfraktion auch andere Positionen vertreten".

Kipping hat recht: Den Linken wurde gestern die Quittung für ihren seit Gründertagen grenzenlosen Opportunismus präsentiert. Der Versuch, das Protestpotential aus politisch wenig reflektierenden Wählerschichten zu instrumentalisieren, führt ins politische Nirwana.

schreibt NutzerIn graefekiez

Erst am Wahlwochenende hatte Sahra Wagenknecht, die bisher schon deutlich von der Parteilinie abgewichen ist, ihre Position in der Flüchtlingsdebatte zugespitzt. Im Interview mit dem "Berliner Kurier" verwendete sie die Begriffe "Kapazitätsgrenzen" und "Grenzen der Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung" - viele in der Partei verstanden das so, als ob die Vorsitzende der Linken-Bundestagsfraktion nur einen anderen Begriff für "Obergrenze" suche.

Eine direkte Aufnahme der Flüchtlinge von Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze – wie im September aus Ungarn – lehnte Wagenknecht ab. Sie sagte: "Griechenland muss geholfen werden. Natürlich können wir die schlimme Situation der Menschen nicht ignorieren, aber das geht nur mit einer europäischen Lösung und Verteilung. Es können nicht alle Flüchtlinge nach Deutschland kommen."

Linke leben schon immer von Protestwählern. Das sind teilweise die ehemaligen Kader der SED und vom kapitalistischen System abgehängte Wähler gewesen. Nun müssen sie diese Wähler mit der AfD teilen.

schreibt NutzerIn ubbu

Es war nicht die erste umstrittene Aussage von Wagenknecht zum Thema. Auch ihr Ehemann, der ehemalige Linken-Vorsitzende Oskar Lafontaine, hatte die Debatte mehrfach entgegen der Parteilinie angeheizt. Kipping hält das nicht für gut, versichert aber, sowohl Partei wie auch Fraktion hätten eine "klare Position" für Weltoffenheit und Solidarität. "Wir lehnen Obergrenzen ab." Sie sagte: "Diese Position wird bei uns breit geteilt. Das andere, muss man sagen, ist eben nicht die Position der Partei." Eine Richtungsdebatte in der Partei zu dieser Frage lehnt sie ab. Die Linke werde nicht gewinnen, wenn sie bei einem "AfD-Imitationswettbewerb" mitmache.

In Sachsen-Anhalt so schwach wie seit mehr als 20 Jahren nicht mehr

Die Linke war in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz - in beiden Ländern saß sie noch nie im Landtag - erneut klar an der Fünfprozenthürde gescheitert. Besonders schmerzlich aber ist für sie das Resultat aus Sachsen-Anhalt, wo sie gegenüber 2011 von 23,6 auf 16,3 Prozent fiel - so schwach war sie seit mehr als 20 Jahren nicht mehr. Den Status als Oppositionsführerin im Landtag verliert sie an die AfD.

Nach Zahlen von Infratest-Dimap hat die Linke in Sachsen-Anhalt 29.000 Wähler an die AfD verloren, mehr noch waren es bei der CDU (38.000). Die SPD kommt nach dieser Erhebung auf ein Minus von 21.000 Wähler zu Gunsten der AfD. Nach Angaben der Forschungsgruppe Wahlen kommen die Wähler der AfD in Sachsen-Anhalt zu jeweils 17 Prozent von CDU und Linkspartei, zu zehn Prozent von der SPD. Die meisten AfD-Wähler sind ehemalige Nichtwähler. Linke-Spitzenkandidat und Landtagsfraktionschef Wulf Gallert gibt zu, dass sie AfD "quer durch alle sozialen Schichten den Frust abgeholt" habe. Am Montagabend trat Gallert als Fraktionschef zurück.

Perspektivisch bedeutet der Ausgang der Wahlen in den drei Bundesländern für die Linke nichts Gutes. Laut Kahrs und Hoff sind rot-rote oder rot-rot-grüne Regierungsmehrheiten nun "stärker noch in die politische Ferne gerückt". Neben Sachsen sei Sachsen-Anhalt nun der zweite ostdeutsche Landesverband der Partei "ohne greifbare Regierungsoption". Generell, so heißt es in der Analyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung weiter, sinke die Mobilisierungsfähigkeit der Partei in Ostdeutschland, zugleich werde die AfD als "erfolgreiche rechtspopulistische Protestpartei" ein Wachstum bei Wahlen "äußerst erschweren".

Ernüchtert sagt Kipping: Die Protestkarawane sei weitergezogen.

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