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Politik: Nachfrage nach Aufschwung

KONJUNKTURPROGNOSE

Von Carsten Brönstrup

Deutschland steckt mitten im Aufschwung. Die Unternehmen verkaufen mehr Maschinen, Autos und Medikamente als im vergangenen Jahr, Umsätze und Gewinne steigen. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist: Es merkt niemand. Trotz der stärksten wirtschaftlichen Dynamik seit vier Jahren kommt das Wachstum nicht über beschämende 1,5 Prozent hinaus. Weder in diesem noch im nächsten Jahr. Deshalb wird sich an der Arbeitslosigkeit nichts ändern, und deshalb können die Staatsschulden nicht zurückgedrängt werden. Das haben die führenden Ökonomen des Landes gestern verkündet.

Ihre traurige Diagnose: Die Weltwirtschaft boomt, in Amerika fasst der Aufschwung Fuß, in Asien geht es deutlich voran, in den europäischen Nachbarländern steigt die Stimmung, und sie alle lassen Deutschland hinter sich. Dabei verharmlosen die Fachleute die Lage sogar. „Die deutsche Wirtschaft wirkt müde“, urteilen sie. Tatsächlich befindet sich das Land in der längsten und tiefsten Krise seit dem Krieg. Das Wachstum, das nötig ist, um den Staat am Laufen zu halten, um die Renten zu bezahlen, die Gesundheitsversorgung, den Bau neuer Straßen und Schulen zu garantieren, will sich einfach nicht mehr einstellen. Streng gerechnet nimmt die Wirtschaftsleistung sogar nur um 0,9 Prozent zu, sagen die Forscher – die 1,5 Prozent bekommen wir allein dank der vielen zusätzlichen Arbeitstage in diesem Jahr hin. Das Schlimmste: Mit dieser Zahl hat der Konjunkturzyklus bereits seinen Höhepunkt erreicht. Mehr ist einfach nicht drin. Deutlicher ist selten klar geworden, dass auch eine gute Konjunktur nicht hilft, die Strukturprobleme zu lösen. Trotz des Aufschwungs laufen die Staatsfinanzen aus dem Ruder, Deutschland wird auch künftig mehr Schulden machen, als es der EU-Stabilitätspakt erlaubt.

Deshalb lebt das Land von der Substanz und zehrt den Wohlstand auf, den es sich in den vergangenen Jahrzehnten erarbeitet hat. Klar, wir sind Exportweltmeister, noch. Im Inland aber stagniert die Nachfrage, weil der Staat kein Geld zum Ausgeben hat und die Verbraucher es nicht ausgeben wollen. Und obwohl die Kreditzinsen seit geraumer Zeit auf einem Rekordtief sind, halten sich die Firmen mit Investitionen zurück.

An diesem Trend hat sich nichts geändert, trotz der Reformen im vergangenen Jahr. Sie waren schmerzhaft für Rentner, Kranke, Arbeitslose und Geringverdiener. Aber sie verpuffen: die Steuerreform, weil die Bürger das zusätzliche Geld lieber aufs Sparbuch legen, statt damit einkaufen zu gehen. Die Gesundheitsreform, weil die Krankenkassen die Beiträge kaum gesenkt haben. Die Arbeitsmarktreformen, weil sie zwischen Regierung und Opposition zermahlen wurden oder die Umsetzung vieler Hartz-Instrumente erst gar nicht funktioniert hat.

Das Einzige, was jetzt noch hilft, ist eine konsequente Wachstumspolitik, empfehlen die Wirtschaftsforscher. Das bedeutet: Reformen, nun aber richtig. Zwar wollen die Wähler keine Veränderungen, und die Politiker sind deshalb übereingekommen, lieber alles so zu lassen wie es ist. Doch es gibt einen Reformkurs jenseits der Maximen Sparen, Kürzen, Streichen. Trotz der Flaute laufen einige Branchen hervorragend. Die deutsche Autoindustrie zum Beispiel ist weltweit führend, weil sie viel Geld in die Entwicklung neuer Produkte steckt, weil sie ihre Leute durch Ausbildung und Schulung auf ein Topniveau qualifiziert. Der Maschinenbau steht an der Spitze, weil er flexibel ist und die wichtigsten Nischenmärkte besetzt hat.

Hier ist die deutsche Wirtschaft stark. Für diese Unternehmen muss der Staat etwas tun, von ihnen muss er lernen – indem er mehr Geld für Bildung und Forschung ausgibt und weniger für Beamte, Sozialtransfers und Subventionen. Darin, und in der Flexibilisierung des Stellenmarkts, liegen die Schlüssel zu mehr Wachstum. Das zeigt die Neuregelung bei den Minijobs: Sobald der Staat Arbeit an irgendeiner Stelle von Steuern und Bürokratie befreit, stellen die Unternehmen Tausende neue Leute ein.

Die Bundesregierung scheut weitere Schritte offenbar aus Angst vor Wählern und Gewerkschaften. Wer aber auf das Weiter-so setzt, entscheidet sich am Ende für das Weniger: weniger Sozialstaat, weniger Arbeitsplätze, weniger Einkommen.

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