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Einkaufen, um das Gewissen zu beruhigen? Auch Bio-Konsum bleibt Konsum, meint unser Gastautor.

© Jan Woitas/dpa

Nachhaltigkeit: Wie man die Menschen zu mehr Genügsamkeit bewegt

Nachhaltigkeit ist hip. Doch in der Welt der Biosupermärkte wird Genügsamkeit oft zum Etikettenschwindel. Wie wir dennoch das Maßhalten in unseren Alltag einschreiben können. Ein Essay.

Umberto Eco hat einmal die Kulturkritiker in zwei Sorten unterteilt: Apokalyptiker und Integrierte. Die einen sehen furchtbar schwarz, die anderen wiegeln ab und finden, eigentlich fügten sich die derzeitigen Entwicklungen doch ganz passabel ineinander. Naturgemäß begegnet man diesen beiden Haltungen in der Frage, wie es mit der Gesellschaft weitergehen soll – zumal das anscheinend unbegrenzte Wachstum im Widerspruch zur Endlichkeit natürlicher Ressourcen steht. Erstere geißeln den Konsumismus und mahnen mit großem moralischen Impetus mehr Verzicht an. Anders die ‚funktionale‘ Deutung: Sie kocht das Drama auf kleiner Flamme und hält kleine Veränderungen für völlig ausreichend.

Die "Lohas" zelebrieren den Verzicht - ohne zu verzichten

Im Begriff ‚Suffizienz‘ bündelt sich diese Debatte wie im Brennglas. Allerdings bleibt offen, wie sich die Tugend des Maßhaltens und der Wunsch nach qualitativem Wachstum zueinander verhalten. Während Effizienz in der Regel auf neue Technologien zielt, meint Suffizienz eher ein Umdenken. Das ist gesellschaftlich ungleich schwerer zu haben. Zwar gibt es sie punktuell bereits, diese neue Genügsamkeit, diesen mitunter als hippen Trend ausgerufenen „Cult of Less“ (Kult des Weniger). Das mag an holzschnittartige, ideologische Systemverweigerung erinnern, auch an die alternativen Autarkie- und Selbermach-Modelle, an die Hippies der 1970er Jahre. Aber schließlich warnte der Club of Rome schon 1972 vor den Grenzen des Wachstums. „Seit dem Ölschock“, formulierte unlängst der Münchner Fotograf Thomas Weinberger, „versuchen wir, unser auf Wachstum ausgerichtetes Wirtschaftssystem künstlich am Leben zu halten. Die allgemeine Stimmungslage ähnelt der vor einem aufziehenden Gewitter: Es ist Tag, aber der Himmel ist durch heraufziehende Wolken verdunkelt. Noch ist alles ruhig, aber die Straßenlaternen gehen an und künden davon, dass etwas nicht in Ordnung ist.“

Robert Kaltenbrunner ist promovierter Architekt und Stadtplaner. Er arbeitet im Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (Bonn/Berlin) und hat zahlreiche Aufsätze zu verschiedenen Themen des Planens und Bauens veröffentlicht
Robert Kaltenbrunner ist promovierter Architekt und Stadtplaner. Er arbeitet im Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (Bonn/Berlin) und hat zahlreiche Aufsätze zu verschiedenen Themen des Planens und Bauens veröffentlicht

© privat

Recht eigentlich ist es unstrittig, manche Weichen endlich neu zu stellen. Beginnen könnte man beispielsweise damit, die Menschen von ihrer Rolle als passive Konsumenten zu emanzipieren und selber zu verantwortlichen Akteuren und Produzenten zu machen. Freilich steht man dabei vor drei schier unüberwindlichen Barrieren:

(1) Die Naturnutzung ist nach wie vor viel zu billig; es fehlt an Preiswahrheit. Es mag sein, dass „peak oil“ die fossilen Energien absehbar verteuert; ob dies ausreicht, sei dahingestellt.

(2) Die Lasten der Ressourcennutzung entstehen an anderer Stelle als am „Tatort“ oder zu anderer Zeit als zur „Tatzeit“; die Zusammenhänge entziehen sich mithin der sinnlichen Erfahrung.

(3) Zwischen dem Wissen um Gefährdung und der Bereitschaft zur Verhaltensänderung besteht weiterhin eine große Diskrepanz. Jeder Verbraucher spielt (s)eine Rolle bei der Inanspruchnahme der Umwelt, mag sich ihrer indes nicht recht bewusst werden. Hinzu kommt der Rebound-Effekt: Der ökologische Effizienzgewinn wird durch Mengenwachstum überkompensiert. Mehr sparsame Autos verbrauchen mehr Benzin als wenige Spritschlucker. Und auch in der Politik fehlt es an Unterstützung; entsprechende Mehrheiten hängen, dem Opportunitätsprinzip folgend, stets dem Glauben an weiteres (Wirtschafts-)Wachstum an. Die calvinistische Ethik der Enthaltsamkeit wird vermutlich kaum Popularitätswerte erreichen wie, sagen wir, die deutsche Nationalmannschaft in einem Halbfinale der WM.

Der Wirtschaftszweig Bio wächst hemmungslos

Will man gleichsam Genügsamkeit ins Geschäftsmodell unserer Gesellschaft integrieren, dann braucht es ein narratives, sinnstiftendes Element. Große Reformprojekte brauchen, um gesellschaftlich wirksam zu werden, eine motivierende Erzählung. Es reicht nicht aus, bloß an den Verstand zu appellieren. „Wo es keinen Mythos gibt“, so der renommierte Historiker Herfried Münkler, „gibt es nur noch Bürokratie und Geschäft.“ Eine gesellschaftspolitische Hoffnung scheint nun heute im „bewussten Konsumenten“ zu liegen, dessen zum Lebensstil werdende Orientierung an Nachhaltigkeit einen Ausweg bieten mag. Es ist indes fraglich, ob mehr dahintersteckt als eine green-washed Version des Homo oeconomicus. Das Ziel der sogenannten LOHAS (das Akronym steht für „Lifestyle of Health and Sustainability“, einen gesunden und nachhaltigen Lebensstil) ist es nämlich, ein wenig zu ändern, um das meiste nicht ändern zu müssen – überspitzt gesagt: Ein Leben in Saus und Braus, das schon bald mit erneuerbaren Energien funktioniert.

Bemerkenswerterweise gibt es kaum einen anderen Wirtschaftszweig, der so hemmungslos vom Wachstum und dem Wunsch nach sozialer Distinktion profitiert hat wie die grüne Lifestyle-Industrie. Gerade sie funktioniert nach einem harten ökonomischen Kalkül des Mehr. Das Entstehen supermarktgleicher Biomärkte in den Städten zeigt es an: Die Nachfrage an Bionahrungsmitteln in Deutschland ist mittlerweile so groß, dass eines von zwei Produkten aus dem Ausland herantransportiert werden muss. Von „regional und saisonal“ ist bei näherem Hinsehen keine Spur. Von Verzicht schon gar nicht.

Sie predigen Nachhaltigkeit und leben in Saus und Braus

Gleichwohl impliziert diese Grundhaltung, das Leben zwar in vollen Zügen, aber nicht auf Kosten der Umwelt oder der Mitmenschen genießen zu wollen, die Frage: Ist Nachhaltigkeit auf nicht dirigistische Weise zu haben? Dass der sogenannte Endverbraucher in seinem Investitions- und Nutzerverhalten von volatilen Randbedingungen – hier sei nur die (Markt)Intransparenz durch eine Vielzahl von Labels, Tarifen oder Produkten genannt – abhängt, wird jedenfalls kaum problematisiert. Dass die Nachfrage das Angebot bestimmt, ist eine eherne Weisheit der Marktwirtschaft. Sie scheint in Fleisch und Blut übergegangen zu sein, so als sei die Nachfrage etwas Festgelegtes und nicht wiederum das Ergebnis von Bedürfnissen, die immer wieder neu erzeugt werden. In der Beziehung zwischen Mensch und Umwelt sind beide Pole Produkt menschlicher Geschichte, also prinzipiell variabel. Über die damit eröffneten Möglichkeiten lässt sich nur nach Maßstäben urteilen, die an einem Bild vom gewünschten und nicht an einem Bild vom natürlichen Leben orientiert sind.

Stadtplaner können viel für das nachhaltige Leben tun

„Alles in Maßen“: Das mag eine schrecklich deutsche Formulierung sein. Und doch bleibt sie sehr richtig. Was wenig mit einem „Lob des Mittelmaßes“ zu tun hat, aber viel mit gesundem Menschenverstand. In die Sphäre des Kulinarischen übertragen könnte sich Suffizienz etwa in Ratschlägen wie diesen artikulieren: „Iss nichts, was deine Großmutter nicht kannte“. Oder: „Misstraue Lebensmitteln mit mehr als fünf Zutaten.“

Wie auch immer: Positiven Beispielen kommt eine eminente Rolle zu. Zwar mag ein Imagewandel hin zu „Askese ist cool“ nicht in Sicht sein. Aber staatliche und kommunale Initiativen können durchaus helfen, Glaubwürdigkeit herzustellen und eine Mobilisierungsgrundlage zu liefern. Die Stadt Zürich hat es demonstriert: Ihre Bürger votierten Ende 2008 bei einer Volksabstimmung mehrheitlich für die „2000-Watt-Gesellschaft“. Dabei handelt es sich um ein energiepolitisches Modell, demzufolge der Energiebedarf eines jeden Bewohners einer durchschnittlichen Leistung von 2000 Watt entsprechen darf. Wie ambitioniert dieses Ziel ist, das man bis 2050 erreicht haben will, zeigt sich im Vergleich: Die Schweiz weist derzeit einen fast dreimal höheren Verbrauch aus.

Warum nicht eine Pflicht, auch Gebäude zu recyclen?

Es nimmt nicht wunder, dass sich die Suffizienz-Debatte besonders auf das Planen, Bauen und Wohnen bezieht. So wurde im Herbst letzten Jahres vom Umweltbundesamtes ein Planspiel lanciert, anhand dessen die Flächeninanspruchnahme reduziert werden soll und den Kommunen entsprechende Anreize gegeben werden sollen. Basis sind Flächenausweisungsrechte in Form von Zertifikaten, die zunächst kostenlos zugeteilt werden. Will die Gemeinde über ein bestimmtes Maß hinaus neue Bauflächen ausweisen, muss sie sie von anderen Kommunen kaufen, die selbst nicht außerhalb ihres Kerns expandieren wollen.

Als einen weiterführenden Aspekt kann man die Rückgabe von Siedlungsfläche ins Spiel bringen. Undenkbar scheint das nicht, zumal im Bergbaurecht diese Konsequenz systematisch verankert ist: Die Renaturierung ausgebeuteter Abbaugebiete ist selbstverständlicher Bestandteil der wirtschaftlichen Betätigung von Bergwerksunternehmen. Auch beim Getränkepfand oder bei der Altautoregelung sind Steuerungsinstrumente etabliert, die vor Jahren noch für abwegig und realitätsuntauglich gehalten wurden. Wäre es nicht ein lohnenswertes Ziel, bei Siedlungsflächen den Weg in die Kreislaufwirtschaft einzuschlagen? Und auch die Wiederverwendbarkeit von Gebäuden und Materialien sollte man als selbstverständliche Produktionsvoraussetzung forcieren: Karl Ganser, der Direktor der IBA Emscher Park, hat bereits vor Jahren eine „Rücknahmeverpflichtung“ für neue Gebäude gefordert; sie müsse schon bei der Baugenehmigung nachgewiesen werden und finanziell abgesichert sein.

So notwendig wie vielversprechend wäre es zudem, Mobilität neu zu denken. Eine möglichst schnelle Raumüberwindung durch beschleunigte Verkehrsmittel gilt nach wie vor als Leitlinie moderner Mobilitätspolitik. Doch die durch Motorisierung und Ausbau der Straßennetze erhöhte individuelle Beweglichkeit hat, wie zahlreiche Untersuchungen ergaben, kaum zur Einsparung von Reisezeit und zu größeren Freiheitsspielräumen geführt, sondern zur Ausdehnung der Entfernungen zwischen den verschiedenen Bereichen des täglichen Lebens.

Je schneller die Transportmittel werden, desto länger werden die alltäglichen Strecken

Das Paradigma der Beschleunigung trägt nicht der Vielfalt tatsächlicher Mobilitätsbedürfnisse Rechnung. Sie wirkt sogar kontraproduktiv, weil die Haltestellendichte und die Erschließung der Fläche rapide abnehmen. Mobilität entsteht durch die Notwendigkeit, alltägliche Aktivitäten im Raum zu koordinieren. Und die Bequemlichkeit für Reisende definiert sich nicht über die Geschwindigkeit des Verkehrsmittels, sondern über die Reisezeit „von Tür zu Tür“. Dabei entspricht die klassische Pendlermobilität, die in der Regel auf den vollzeitbeschäftigten männlichen Arbeitnehmer fokussiert ist, nicht mehr so recht den Erfordernissen. Heute geht es um die Sicherung der Mobilität von Menschen und Gütern bei möglichst niedrigem Energieaufwand. Die Stadt der kurzen Wege heißt: viel stärker auf die Bedürfnisse und Befindlichkeiten von Fußgängern zu achten, bedeutet den Vorrang des Radverkehrs vor dem Autoverkehr, der Schiene vor dem Straßen- und Luftverkehr. Trotz innovativer Car-Sharing-Konzepte dürfte das Auto dabei kaum mehr an erster Stelle stehen.

Die eigentliche Herausforderung aber liegt im Mentalen; in vielen Sektoren braucht es eine andere Herangehensweise. Hier ließe sich auf das Bild vom Gärtner – im Unterschied zum Handwerker – rekurrieren, das der Ökonom Friedrich August von Hayek in seiner Nobelpreisrede 1974 bemühte: „Wenn der Mensch in seinem Bemühen, die Gesellschaftsordnung zu verbessern, nicht mehr Schaden stiften soll als Nutzen, wird er lernen müssen, dass er in diesem Gebiet nicht volles Wissen erwerben kann, das die Beherrschung des Geschehens möglich machen würde. Er wird daher dieses Wissen nicht dazu verwenden dürfen, um die Ergebnisse zu formen, wie der Handwerker sein Werk formt, sondern sein Wachsen kultivieren, indem er die geeignete Umgebung schafft, wie es der Gärtner für seine Pflanzen macht. Die Erkenntnis der unüberschreitbaren Grenze seines Wissens sollte den Forscher auf dem Gebiet der Gesellschaft eine Demut lehren, die ihn davor bewahrt, ein Mitschuldiger in des Menschen unglückseligem Streben nach Beherrschung der Gesellschaft zu werden.“

Ob Suffizienz zum Leitbild taugt, bleibt freilich offen. Gegen das Motto „nutzen satt verbrauchen“, gegen eine ressourcenschonende Verhaltensweise ist nichts einzuwenden. Strittig ist vielmehr die Frage, ob es sich um eine selbstverantwortete Maxime handelt oder um eine von oben verordnete. Aber wenn es stimmt, dass Kultur aus der Reibung unterschiedlicher Interessen, Traditionen und Ideen entsteht, dann sollten an dieser Stelle ruhig weiter die Funken fliegen.

Robert Kaltenbrunner

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