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Nährwert-Ampel: Kommt die Ampel-Kennzeichnung von Lebensmitteln?

Verbraucherschützer wollen eine Nährwert-Ampel für Lebensmittel einführen. Hat das Aussicht auf Erfolg?

Geht es nach dem Willen von Verbraucherschützern, sollen Ampelfarben künftig Aufschluss darüber geben, wie fettig, salzig und süß Lebensmittel sind. Doch noch ist die Politik davon nicht überzeugt.

Wer ist dafür und wer dagegen?

Die Lebensmittelproduzenten und -verkäufer sehen keine wissenschaftliche Grundlage für eine Ampelkennzeichnung und befürchten eine Irreführung der Verbraucher. Bei dem Vorhaben gehe es "um eine politische, oftmals ideologische Abwertung von Erzeugnissen", behauptet etwa der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde. Die Ampelfarben bedeuteten "Schwarz-Weiß-Malerei", sie suggerierten dem Verbraucher, er könne sich ohne weiteres Nachdenken gesund ernähren, wenn er möglichst viele grün gekennzeichnete Produkte wähle. Dabei komme es vor allem auf die richtige Kombination verschiedener Lebensmittel an.

Die Befürworter - Verbraucherschützer, Ärztekammer, Elternvertreter und Krankenkassen - erinnern an die wachsenden Gesundheitsprobleme durch falsche Ernährung. 37 Millionen Erwachsene sowie zwei Millionen Kinder und Jugendliche sind bereits übergewichtig. Viele ernährten sich falsch, weil sie zu schlecht informiert seien beziehungsweise von der Industrie zu viele fett- und zuckerhaltige Lebensmittel untergeschoben bekämen. Das CSU-geführte Verbraucherministerium verwies bisher darauf, ein nationaler Alleingang sei nicht möglich und eine Verpflichtung der Hersteller zur Nährwertkennzeichnung rechtlich problematisch. Doch der Druck ist gewachsen. Die Verbraucherminister der Länder forderten die Bundesregierung schon im September 2008 dazu auf, sich in der EU für eine verpflichtende Farbkennzeichnung von Lebensmitteln einzusetzen.

Um welche Lebensmittel geht es?

Die Ampelgegner führen gern an, dass man Lebensmittel nicht per se in "gut" oder "schlecht" einteilen könne. Je nach Konstitution und Alter hätten Menschen schließlich einen unterschiedlichen Nährstoffbedarf. Und mit den Ampelfarben erhielten dann auch Lebensmittel wie Olivenöl, Heringe oder Nüsse ein rotes Stoppsignal, deren Verzehr der Gesundheit überaus förderlich sei. Natürlich mache die erweiterte Kennzeichnung nur bei zusammengesetzten Lebensmitteln Sinn, räumt Stefan Etgeton vom Bundesverband der Verbraucherzentralen ein. Wer Butter oder Schokolade kaufe, wisse um die Inhaltsstoffe. Bei Pizza oder Müsli jedoch könne man sich sehr wohl für die fett- oder zuckerärmere Variante entscheiden - wenn man die Inhaltsstoffe dank einer verlässlichen Kennzeichnung auf den ersten Blick erkenne. Die Ampel unterscheide nicht zwischen gesunden und ungesunden Lebensmitteln, betont der SPD-Gesundheitspolitiker Wolfgang Wodarg, sie gebe lediglich Empfehlungen für die jeweilige Verzehrmenge.

Warum reicht die bisherige Kennzeichnung nicht aus?

Europas Lebensmittelindustrie hat bereits ein Kennzeichnungssystem entwickelt, mit dem die Hersteller Richtwerte für die Tageszufuhr von Nährstoffen angeben: die "Guideline Daily Amounts". Allerdings sind die Angaben freiwillig, und es handelt sich um Prozentangaben, die sich auf den Tagesbedarf für eine erwachsene Frau beziehen. Um so den persönlichen Bedarf zu errechnen, bräuchte jeder Konsument "Lehrbuch und Taschenrechner", sagt die Vorsitzende des Verbraucherausschusses, Ulrike Höfken (Grüne). Außerdem sei der Bedarf, etwa beim Zucker, zu hoch angesetzt, und auch die portionsbezogenen Angaben seien irreführend.

Wie erfolgversprechend wäre eine Ampelkennzeichnung?

Antwort darauf gibt eine noch unveröffentlichte Studie der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. Joachim Westenhöfer, Professor für Ernährungs- und Gesundheitspsychologie, ging darin der Frage nach, welches Kennzeichnungsmodell Verbrauchern am besten bei der Lebensmittelauswahl hilft. Das Ergebnis ist ernüchternd. Unter dem Gesichtspunkt der Verbraucheraufklärung spreche zwar einiges für eine erweiterte Kennzeichnung, sagte Westenhöfer dem Tagesspiegel. Mithilfe von Ampelfarben etwa konnten die Teilnehmer den Nährwert bestimmter Lebensmittel tatsächlich besser einschätzen. Erwarte man sich davon jedoch Verhaltensänderungen und ein Mittel gegen die Problematik von Übergewicht und ernährungsbedingten Krankheiten, so bilanziert der Wissenschaftler, sei das ganze Vorhaben "wohl rausgeschmissenes Geld". Als sich die Studienteilnehmer mit den gekennzeichneten Produkten einen Tagesplan zusammenstellen sollten, war es unerheblich, wie die Produkte gekennzeichnet waren. Ernährungswissen sei eben nur eine Komponente unter ganz vielen, die das Essverhalten bestimmen, sagt Westenhöfer.

Welche Erfahrungen gibt es in England?

Die Ampelidee wird in Großbritannien bereits getestet. Nur gilt die Etikettierung von Lebensmitteln dort immer noch als "verwirrend" - obwohl die Lebensmittelbehörde seit 2006 die einfache Ampel empfiehlt. Sie erfülle am besten die vier Grundprinzipien: dass das System in vier bis zehn Sekunden erfasst werden kann, mit den Ernährungsrichtlinien konform und für alle ethnischen Gruppen nutzbar ist und zudem die "Ernährungsungleichheit" der Bevölkerung bekämpft. Ampelwarnungen werden zu den vier Grundstoffen Fett, gesättigte Fettsäuren, Zucker und Salz gegeben. Trotzdem hat sich die Ampel in Supermärkten nicht gegen die Tabelle der "empfohlenen täglichen Einnahme" durchgesetzt - die Lebensmittelindustrie wehrt sich. Auch einige Ernährungsfachleute halten ein dickes rotes Ampelzeichen für Fett auf einer Flasche Olivenöl für eine sinnlose Botschaft. 23 große Unternehmen, darunter Coca-Cola und die größte Supermarktkette des Landes, Tesco, lehnen die Ampel ab, weil auch nur eine einzige rote Ampel Konsumenten abschrecke.

Wie wird die EU sich entscheiden?

"Wir wollen klare, eindeutige Informationen für den Verbraucher - aber nicht die Ampel," sagt Renate Sommer. Die Europaabgeordnete der CDU ist die parlamentarische Berichterstatterin für die Pläne einer europaweiten Lebensmittelkennzeichnung, die im vergangenen Jahr von der EU-Kommission vorgelegt wurden. Ende März will der Umweltausschuss, Anfang Mai das Plenum des Europaparlaments darüber abstimmen. Doch die Debatte über die technischen Einzelheiten hat eben erst begonnen. Inzwischen liegen fast tausend Änderungsanträge vor. Eines zeichne sich inzwischen immerhin deutlich ab, sagt Sommer: "Keiner, weder die EU- Kommission, noch die Regierungen der EU, noch das Europaparlament, will die Ampel." Auch die SPD-Europaabgeordnete Dagmar Roth-Behrendt ist skeptisch. Tatsächlich könnte die Ampel den Verbraucher mehr verunsichern als aufklären. So müsste das deutsche Schwarzbrot wegen seines relativ hohen Salzgehalts mit rot gekennzeichnet werden. Das labbrige Sandwich-Weißbrot der Briten dagegen mit grün, weil es weniger Salz enthält.

Das EU-Parlament empfiehlt deshalb die Konzentration auf das Wesentliche: Der Kaloriengehalt sollte gut lesbar vorne auf der Verpackung stehen und die Inhaltsstoffe in einer Nährwertbox einschließlich der Ballaststoffe und der Nennung des Herkunftslands des Produkts.

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