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Nahost: Der angekündigte Überraschungsangriff

Niemand im Gazastreifen hatte die israelische Drohung ernst genommen – jetzt sinnt die Hamas auf Rache.

Im Nahen Osten droht ein neues Jahr voller Krieg. Das jedenfalls glauben sowohl Palästinenser als auch Israelis seit Samstag. In den Eilmeldungen der Nachrichten, in den Debatten in israelischen Großstadt-Kneipen und auf den Protestversammlungen in der palästinensischen Westbank geht man von einem langen Militäreinsatz im Gaza-Streifen aus.

Um 11.30 Uhr Ortszeit warfen israelische Kampfflugzeuge 40 Bomben auf Einrichtungen der Hamas-Regierung im Gaza-Streifen ab. Rauchwolken stiegen auf, Ägypten öffnete umgehend den Grenzübergang in Rafah, damit Verletzte in ägyptische Krankenhäuser gebracht werden können. Die Zahl von etwa 750 Verletzten, von denen palästinensische Quellen sprechen, ist Medienberichten zufolge die höchste Opferzahl innerhalb eines Tages seit dem Sechs-Tage-Krieg 1967. Einzelne Beobachter sprechen von getöteten Kindern.

In südisraelischen Städten ist derweil Alarm ausgerufen worden: Ein Hamas-Sprecher kündigte zuvor an, dass Israel für das „Blutbad“ einen sehr hohen Preis zahlen werde. Schon am Samstagabend schlugen wieder Sprengkörper in Südisrael ein. Ein Israeli wurde dabei getötet. Beobachter gehen aber davon aus, dass sich der massive Militärschlag als kontraproduktiv erweisen könnte. Nun stehe Israel als Aggressor dar, auch weil die Hamas-Angriffe in den vergangenen Tagen keine Menschenleben kosteten.

In der palästinensischen Hauptstadt Ramallah in der Westbank kam es zu Spontanprotesten, auch im mehrheitlich arabischen Teil Jerusalems versammelten sich in der Nacht zum Sonntag Palästinenser und linke Israelis, um gegen die Angriffe zu demonstrieren. Vor dem Verteidigungsministerium demonstrierten am Abend 300 israelische Bürger. An den israelischen Checkpoints nahe an Grenzen zu arabischen Nachbarn wurden die Truppen verstärkt. Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas, der seit der Machtübernahme der Hamas 2007 keinen Einfluss im Gazastreifen mehr hat, ließ seinen inoffiziellen Vize Yasser Abo Rabbo in Ramallah eine Note verlesen: „Wir drücken unsere Solidarität mit allen Opfern dieses Angriffs aus und verlangen einen sofortigen Stopp der Aggression gegen den Gazastreifen.“ Die palästinensischen Autonomiegebiete gelten als politisch tief gespalten – in der Westbank regiert die Fatah, in Gaza die Hamas.

Alles hatte zuvor auf einen relativ ruhigen Samstag hingedeutet. Militante Palästinenser hatten zwar in der Nacht eine Rakete auf einen Kibbuz abgefeuert, aber auf die sonst üblichen Angriffe in den Morgenstunden verzichtet. Die Bevölkerung von Gaza deckte sich mit Lebensmitteln ein. Israel hatte am Freitag nach einer zehn Tage langen Blockade rund 100 Lastwagen mit humanitären Hilfsgütern, Medikamenten und Getreide durchgelassen.

Die Bewohner von Gaza freuten sich schon auf das ebenfalls gelieferte Kochgas. „Wir leben hier wie in der Steinzeit. Wir essen nur ungekochte Sachen wie Gemüse. Wir haben kein Kochgas und können keine Eier kochen oder warmes Essen machen“, sagte Umm Ramadan, eine Mutter von fünf Kindern. Sie freute sich auch wieder auf frisches Fladenbrot. Die meisten Bäckereien hatten wegen Mangels an Mehl und Gas schließen müssen.

Niemand im Gazastreifen hatte so richtig geglaubt, dass Israel seine Drohung wahr macht. „Die meisten Menschen glauben nicht, dass Israel es ernst meint. Das ist doch nur Teil des Wahlkampfes“, sagte Umm Ramadan.

Als Umm Ramadan wieder anrief, klangen Angst und Schrecken aus ihrer Stimme: „Die Kinder schreien. Wir wissen nicht, was wir tun sollen. Sollen wir zu Hause bleiben oder auf die Straße gehen? Wo ist es sicher? Um uns herum ist überall Rauch. Wir haben keinen Strom, wir wissen nicht, was wir tun sollen.“ Aus dem Hochhaus konnte sie die dichten Rauchwolken aufsteigen sehen. Mindestens zehn zählte sie, solange die Sicht noch einigermaßen klar war. mit dpa

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