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Nahost: Grenzkonflikt zwischen Saudi-Arabien und Jemen eskaliert

Vor vier Wochen drangen erstmals Rebellen aus dem Jemen auf saudisches Gebiet vor. Sie erschossen Grenzposten und besetzten zwei Ortschaften. Unter der Bevölkerung herrscht Panik.

Die Aufständischen lassen sich jeden Tag eine neue List einfallen. Mal kommen sie als Frauen verkleidet, mal im weißen Pilgerdress. Mal jagen sie nachts Esel mit aufgeschnallten Taschenlampen durchs Gebirge, um von sich abzulenken. Oder sie schicken Kinder als Kundschafter vor. In Kommandos von zehn bis zwanzig Kämpfern operieren die jemenitischen Houthi-Rebellen in der Grenzregion zu Saudi-Arabien. Vor vier Wochen drangen sie erstmals auf saudisches Territorium vor, erschossen Grenzposten und besetzten zwei Ortschaften. Seither herrscht Panik unter der Bevölkerung. 15.000 Bewohner aus 250 Dörfern in der Provinz Jizan sind ins Landesinnere geflohen und hoffen nun in eilig errichteten Zeltstädten, dass sich die Lage bald wieder normalisiert.

Doch davon kann keine Rede sein, stattdessen eskalieren die Gefechte zwischen der saudischen Armee und den schiitischen Houthis - ein Konflikt, der sich zu einem Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und Iran ausweiten könnte. Das Königreich erlebt den größten Militäraufmarsch seit dem Golfkrieg 1990/91 gegen Saddam Hussein. F 15-Kampfflugzeuge und Apache-Hubschrauber fliegen Angriffe bis 200 Kilometer tief ins Landsinnere des Jemen, die Artillerie nimmt Stellungen der Rebellen unter Feuer. Vor der Küste kreuzen saudische Kriegsschiffe, um den Waffennachschub über See abzuschneiden. Zehn saudische Soldaten sind gestorben, neun werden vermisst, ohne dass das Einsickern der Rebellentrupps bislang gestoppt werden konnte.

Saudis verdächtigen Iran die Rebellen zu unterstützen

"Armes Saudi-Arabien, dem Himmel so fern und dem Jemen so nah", scherzte man vor kurzem noch in Riyadh. Doch seit der Feldzug "Verbrannte Erde" der jemenitischen Zentralregierung in Sanaa gegen die Schiiten im Norden das ganze Land in den Abgrund zu reißen droht, ist der saudischen Führung das Lachen vergangen. Sie verdächtigt den Erzrivalen Iran, die Houthi-Rebellen mit Waffen und Geld zu unterstützen, um sie nach dem Vorbild der Hisbollah als Machtinstrument an der Südflanke des Königreiches zu verankern. Aber sie fürchtet vor allem das Einsickern von Al-Qaida-Kämpfern. Mindestens 200 operieren mittlerweile im Nachbarnland, darunter zehn ehemalige saudische Guantanomo-Insassen, die sich nach dem offiziellen Rehabilitationsprogramm dorthin abgesetzt haben. Ein Terrorist versuchte vor drei Monaten, den saudischen Vizeinnenminister umzubringen. Zwei andere wurden wenig später nahe der Grenze gestellt in einem Wagen voll mit Waffen, Sprengstoff und Selbstmordwesten.

Diese Woche erschien König Abdullah zum ersten Mal persönlich auf dem Schlachtfeld und ließ sich im offenen Geländewagen herumfahren. 10.000 neue Häuser innerhalb eines Jahres versprach das Staatsoberhaupt seinen obdachlos gewordenen Untertanen - nicht ohne Hintergedanken. "Das Problem im Jemen gibt uns die Gelegenheit, unser Grenzproblem zu beheben", erklärt Ex-General Anwar Eshki, der das "Middle East Center for Strategic and Legal Studies" in der Hafenstadt Dschidda leitet. Und im Nationalen Sicherheitsrat des Königreichs räumt man freimütig ein, dass die Regierung "darüber nachdenkt, alle Dörfer aus der Grenzregion zu entfernen" und einen zwanzig Kilometer breiten Streifen Niemandsland zu schaffen, gesichert durch einen Hightech-Zaun.

Von Mali über den Jemen nach Saudi Arabien

Bislang ist die Grenze unkontrollierbar. Auf 1800 Kilometern wechselt die unwirtlichste Sandwüste der Welt ab mit 3000 Meter hohen Gebirgszügen, aber auch dicht besiedelten Regionen. Ein- bis zweitausend Menschen kommen in normalen Zeiten täglich illegal herüber, schätzt man in Riyadh. Und jedes Jahr deportiert Saudi-Arabien über 100.000 Migranten zurück in den Jemen, von denen sich viele als Saisonarbeiter bei der Dattelernte verdingen. "Jeder kann heute von Mali bis Riyadh durchmarschieren, ohne jemals kontrolliert zu werden", erläutert ein westlicher Beobachter. Vom Westen Afrikas bis zur arabischen Halbinsel zieht sich mittlerweile ein Gürtel von kaum noch funktionsfähigen Staaten. An der Grenze zum Irak zumindest arbeitet der europäische EADS-Konzern inzwischen an einem Superzaun. Die Grenzbevölkerung zum Jemen jedoch widersetzte sich bisher einem solchen Bauwerk, weil viele, die von Schmuggel oder illegaler Saisonarbeit leben, dann ihren Lebensunterhalt verlieren. "Leider hat es uns in diese Nachbarschaft verschlagen", seufzt Rihab Massoud, Vizechef des Nationalen Sicherheitsrates. "Am liebsten würden wir unser Land verlegen - auf einen Platz zwischen Dänemark und Schweden."

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