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© dpa

Nahost: Welches Ziel verfolgt Israel mit der Offensive im Gazastreifen?

Die israelische Bevölkerung soll sich auf lange Kämpfe im Gaza-Streifen einstellen, die Regierung mobilisiert 6500 Reservisten. Welches Ziel verfolgt Israel?

Drei Minuten und 40 Sekunden. So lange brauchte die israelische Luftwaffe, um in einem ersten Angriff die militärische Infrastruktur der radikalislamischen Hamas weitgehend zu zerstören. 60 Kampfflugzeuge warfen 100 Tonnen Bomben ab. Es war die größte militärische Offensive Israels gegen den Gazastreifen seit dem Sechs-Tage-Krieg. Auch in der Nacht und am Sonntag griff die israelische Luftwaffe Ziele der Hamas und der militanten Untergrundorganisation Islamischer Dschihad an. „Wir haben noch unzählige Ziele auf unserer Liste“, drohte das Militär. Die Regierung bewilligte ein Teilmobilmachung von 6500 Reservisten.

Doch obwohl das alles wie der Auftakt einer großen Bodenoffensive mit dem Ziel einer Rückeroberung des Gazastreifens wirkt, ist genau dies wenig wahrscheinlich. Dagegen spricht schon, dass die angekündigte Truppenverstärkung für den von der Hamas erwarteten Einmarsch nicht ausreicht. Das war auch nie die Absicht der israelischen Regierung und Armeeführung, sondern nur die Forderung einiger Rechtsaußenpolitiker. Die Angriffe sollten der Hamas empfindlich schaden, gleichzeitig aber das Risiko für die eigenen Streitkräfte gering halten. Am 10. Februar wird in Israel ein neues Parlament gewählt – die Regierung wollte angesichts der andauernden Raketenangriffe palästinensischer Extremisten Entschlossenheit demonstrieren. Schon länger wirft die Bevölkerung Südisraels den in Jerusalem weit außerhalb der Reichweite der Raketen regierenden Politikern vor, sie nicht ausreichend zu schützen.

Israels Verteidigungsminister Ehud Barak warnte bereits vor einem Monat vor der Illusion einer „sterilen Lösung“ aus der Luft für das Raketenproblem: „Wer eine stabile und anhaltende Lösung der Hamas-Bedrohung aus Gaza will, der muss hineingehen und das Problem dort behandeln.“ Doch der Preis werde sehr hoch (oder gar zu hoch) sein.

Was will die Armee?

Die Generäle im Generalstab argumentieren mit wenigen Ausnahmen ähnlich wie Barak. Ziel jeder Militäraktion habe die Schwächung des Aggressionspotenzials der Hamas zu sein, was aber Aktionen über einen langen Zeitraum verlange. Vom ursprünglichen Ziel der Regierung, der militärischen Vernichtung der Hamas und deren Sturz aus den Machtpositionen, ist seit Monaten nicht mehr die Rede.

Die Mehrheit in der Armeeführung hat sich intern auch gegen einen „halben Einmarsch“ ausgesprochen, also gegen die Eroberung größerer Gebiete mit anschließender Truppenstationierung. Die Raketenbedrohung würde so nicht vermindert, dagegen stiege der innere und äußere Druck auf Israels Regierung stark an.

Was spricht gegen einen Einmarsch?

Interne Kriegsszenarien der Armeeführung verdeutlichen, warum diese nicht für einen Einmarsch eintritt. Ein solcher würde rund acht Kriegstage zur Folge haben, heißt es. Dabei müsse mit dem Tod von 650 Hamas-Kämpfern und mehr als 30 israelischen Soldaten gerechnet werden, sowie vielen Opfern unter den palästinensischen Zivilisten. Große Teile der palästinensischen Infrastruktur wären zwar anschließend zerstört, doch die Raketenangriffe auf Israel würden anhalten. Zudem müsse damit gerechnet werden, dass die Hisbollah versuchen könnte, mit Raketenangriffen aus dem Südlibanon auf Nordisrael eine zweite Front zu eröffnen.

Die Militärs dachten außerdem über die eigentlichen Kampftage hinaus. Die erneute Herrschaft über den Gazastreifen würde täglich allein Kosten von 17 Millionen Schekel (rund 3,5 Millionen Euro) etwa für Medikamente und Babynahrung für die Zivilbevölkerung verursachen, so ihre Berechnungen. Angesichts der Belastungen aus der weltweiten Wirtschaftskrise seien monatliche Ausgaben von einer halben Milliarde Schekel enorm.

Die Rückeroberung des Gazastreifens hänge einzig von der Entscheidung der Politiker ab, argumentieren die Militärs. Denn der militärische Ausgang der Kämpfe wäre zwar eindeutig. Fraglich sei jedoch, was Israel erreichen wolle, und wem nach Ende der Besetzung die Schlüssel übergeben werden könnten.

Welche Erfahrungen lassen Israel zögern?

Die israelische Teilmobilisierung, die Truppenverstärkungen entlang der Grenze zum Gazastreifen und die Aufrufe der Politiker an die eigene Bevölkerung, Geduld zu üben, bedeuten noch nicht, dass Israel in nächster Zeit eine größere Anzahl begrenzter Vorstöße durchführen wird. Denn Generäle und Politiker haben die Lehren aus dem letzten Libanonkrieg gezogen. Vor 2,5 Jahren stießen Bodentruppen nach wochenlangen Bombardements auf südlibanesisches Territorium vor – und erlitten dabei schwere Verluste. Sie konnten den Raketenbeschuss nicht stoppen und mussten den Triumph der Hisbollah hinnehmen. Die eigene Bevölkerung verunsicherte das enorm. Das Kriegsende wurde letztlich nicht mit Waffengewalt, sondern mit einem ausgehandelten Waffenstillstand erreicht.

Wer könnte helfen, diesen Konflikt zu lösen?

Auch der Krieg um den Gazastreifen wird wohl durch eine von dritter Seite auszuhandelnde Übereinkunft beendet werden. Ägypten, das schon die gerade ausgelaufene sechsmonatige Waffenruhe vermittelt hat, bietet sich als logischer Vermittler an. Doch auch andere Staaten werden offensichtlich von den Konfliktparteien in Betracht gezogen. Darunter sind Katar und Jordanien und sicherlich die USA. Auch die EU kommt als Vermittler in Frage, beziehungsweise einzelne ihrer Mitgliedsstaaten.

Wie wirken sich die Angriffe in anderen Teilen Israels aus?

Im arabischen Osten Jerusalems brennen Barrikaden, wütende Menschenmengen sammeln sich an den israelischen Checkpoints zur Westbank, und in der palästinensischen Hauptstadt Ramallah finden militante Großdemonstrationen statt. Setzt die israelische Armee ihre Angriffe fort, wollen die israelischen Araber dauerhaft in den Streik treten. Schon am Vortag haben viele Bewohner der Westbank, Kernland eines künftigen palästinensischen Staates, ihre Arbeit ruhen lassen und in den Straßen protestiert. „Der Streit mit der Hamas ist erst mal vergessen“, sagen junge Fatah-Anhänger aus Ramallah.

Israel hat seine Truppen in den palästinensischen Gebieten inzwischen verstärkt. Die Mauer zur Westbank ist nachts ohnehin ständig beleuchtet, um Palästinenser vom Eindringen nach Israel abzuhalten. Am Sonntag kreisten nun auch Hubschrauber über dem neun Meter hohen Grenzwall, der vor allem Ramallah und Jerusalems Vororte trennt. Im israelischen Radio und Fernsehen wird vor Selbstmordattentätern gewarnt. Alle Mitarbeiter der israelischen Fluglinie El Al haben am Samstagabend eine SMS aus der Firmenzentrale bekommen: „Terrorgefahr. Bitte meldet alle verdächtigen Vorkommnisse sofort!“ An Flughäfen und den großen Stationen der Überlandbusse, dem Hauptverkehrsmittel in Israel, patrouillieren Soldaten. Flugreisende müssen mit mehreren Stunden Wartezeit allein für Sicherheitsmaßnahmen rechnen.

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