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300 000 Christen aus dem gesamten Nahen Osten sind in der libanesischen Hauptstadt Beirut zusammengeströmt, um das Oberhaupt der katholischen Kirche, Papst Benedikt XVI., predigen zu hören.

© dapd

Nahost: „Wir leben in einem Ozean der Angst“

Der Papst spricht den Christen im Nahen Osten Mut zu. 300 000 Menschen feiern ihn im Libanon.

Eben noch scheinen seine Augen starr und müde, plötzlich wirken sie hellwach, Oberkörper und Kopf beugen sich nach vorne. Minutiös gespannt hört Benedikt XVI. der 28-jährigen Rania Abou Chacra zu. Alle Erschöpfung scheint verflogen, das anstrengende Protokoll vom Vormittag vergessen. Und mit einem Male sind die zehntausend Jugendlichen im Halbrund der Plastikstuhl-Arena mucksmäuschenstill. „Wir leben in einem Ozean der Angst“, sagt die junge Frau im schwarzen Hosenanzug, die ausgewählt wurde, in ihrer aller Namen zum Papst zu sprechen. Arbeitslosigkeit, Korruption, Entmutigung, und nie enden wollende politische Krisen – so erleben die jungen Christen ihre Welt, in die sie hineingeboren wurden. „Wir fühlen uns ohnmächtig – und dennoch wollen wir bleiben in unserer Heimat, hier wo unsere Wurzeln sind“, ruft die junge Frau hinein in den brausenden Beifall ihrer Altersgenossen. Normalerweise arbeitet Rania Abou Chacra in Beirut bei der HSBC-Bank und berät Firmen bei Krediten und Geldgeschäften. In der Kirche ist sie seit Jahren in der Jugendarbeit aktiv. Und so haben sie und ihre sieben Mitstreiter die letzten acht Wochen tausende von Mails Jugendlicher gesichtet mit Vorschlägen für die Rede an den Papst. Herausgekommen sind zwei Manuskriptseiten, sorgfältig eingelegt in einer schwarzen Ledermappe, die es in sich haben. „Wir sehnen uns nach Frieden, einer besseren Zukunft und einem Leben ohne Kriegsangst“, heißt es in dem Text. Der Fundamentalismus mache sich immer mehr breit, „darum brauchen wir mehr denn je die aktive Präsenz der Kirche im Nahen Osten, eine Kirche, die uns begleitet auf unserem Weg durchs Leben.“. Geradezu väterlich-zärtlich antwortet der 85-jährige Pontifex auf die Klagen der Jungen, die sich am Samstag im Abendlicht hoch auf dem Gipfel über Jounieh und Beirut auf dem Hof des maronitischen Patriarchats in Bkerke versammelt haben. „Ihr habt einen speziellen Platz in meinem Herzen“, sagt er in seiner Predigt. „Habt keine Angst. Die Kirche braucht euren Enthusiasmus und euren Mut. Ihr seid die Hoffnung und die Zukunft des Libanon“. Selbst Arbeitslosigkeit und Armut sollten niemanden nicht dazu bringen, „die bitteren Früchte der Emigration zu kosten, die Entwurzelung und Trennung von der Heimat, hergegeben für eine ungewisse Zukunft“.

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Diese Worte kamen an. Stundenlang hatten die jungen Leute in strahlender Sonne auf den Gast aus Rom gewartet, sich in Stimmung gesungen und geklatscht. Und auch der alte Herr aus dem Vatikan ließ sich anstecken, obwohl fromme Popsongs bekanntlich nicht nach seinem Geschmack sind. Wie bei Vorgänger Johannes Paul II. - die Begeisterung, unbekümmerte Freude und strahlenden Gesichter der Jungen brachten auch bei Benedikt wieder Farbe in sein fahles Gesicht. Nie zuvor hatte der Pontifex auf einer Auslandsreise so fragil und angegriffen gewirkt. Und noch nie hat sich ein katholisches Oberhaupt in den letzten Jahrzehnten eine so brisante und schwierige Visite zugemutet. Letzte Woche erlebte die arabische Welt die schwersten antiwestlichen Tumulte seit Jahrzehnten, ein Flächenbrand, wie es ihn zuvor noch nie gegeben hat. Entsprechend beispiellos waren die Sicherheitsvorkehrungen in Beirut. Das ganze Volk wurde für drei Tage in Urlaub geschickt, der Luftraum über der Hauptstadt bei Ankunft der Papstmaschine für zwei Stunden komplett gesperrt. Nicht eine Sekunde habe er daran gedacht, den Besuch aus Sicherheitsgründen abzusagen, versicherte Benedikt auf seinem Hinflug.

Denn die Erwartungen der Christen sind geradezu übermenschlich. Auch aus Jordanien, Irak und Syrien sind sie nach Beirut gepilgert, um den Papst live beim Open-Air-Gottesdienst an der so genannten Waterfront zu erleben. Das Areal mit freiem Blick aufs Mittelmeer ist aufgeschüttet aus Trümmern des 15-jährigen, libanesischen Bürgerkriegs. 300 000 Besucher scharten sich vor dem Altar, den eine stilisierte weiße Zeder überragte, Symbol des Libanon und des Friedens gleichermaßen.

In Syrien sehen die Christen in Assad das kleinere Übel

Die Erwartungen der vom islamischen Fundamentalismus bedrängten Christen im Nahen Osten an den Papst waren grenzenlos. Er sagte: "Ihr habt einen besonderen Platz in meinem Herzen."
Die Erwartungen der vom islamischen Fundamentalismus bedrängten Christen im Nahen Osten an den Papst waren grenzenlos. Er sagte: "Ihr habt einen besonderen Platz in meinem Herzen."

© dpa

Essam ist aus Aleppo gekommen, seinen Nachnamen sagt er nicht, in zwei Tagen will er wieder zurück. Mit seinem violetten T-Shirt und verspiegelter Sonnenbrille sieht man ihm nicht an, dass er einmal Priester werden will und seit drei Jahren Theologie studiert. „Die Unsicherheit unter den Christen wächst“, sagt der 24-Jährige, in dessen Heimatstadt seit acht Wochen erbittert gekämpft wird. Der melkitische Erzbischof wurde bereits von Bewaffneten angegriffen und seine Residenz verwüstet. 500 000 chaldäische Glaubensbrüder aus dem Irak mussten nach dem Sturz von Saddam Hussein ihre Heimat verlassen. Mehr als 900 Christen wurden zwischen 2003 und 2012 bisher in Mesopotamien getötet, hunderte gekidnappt und gefoltert. Seit 18 Monaten toben Gewalt und Krieg nun auch in Syrien. „Viele Christen fragen sich, ob sie noch bleiben, oder besser fliehen sollen“, sagt Essam, der einen Platz ganz vorne am Papstpodium ergattert hat. Wie seine Bischöfe sieht auch er das Assad-Regime nach wie vor als das kleinere Übel an, verglichen zu den neuen islamischen Gotteskriegern, die bei den Rebellen zunehmend den Ton angeben. „Politisch stehen wir zu Assad“, bekräftigt er. „Islamische Radikale, das sind für uns eine total neue Erfahrung, das gab es vorher nicht.“ Wenn man ihn reden hört, kommt einem die Ahnung, dass es mit den Christen in Syrien bald genauso schlimm enden könnte wie zuvor im Irak. Keiner verkörpert diese innere Gespaltenheit stärker als der melkitische Patriarch Gregorios III. Laham von Damaskus. Groß und breit strich er in seiner Ansprache an den Papst die Unterdrückung der Palästinenser durch Israel heraus. Das Morden in Syrien dagegen mit seinen inzwischen 26 000 Toten erwähnte er mit keinem Wort. „Leider ist das Dröhnen der Waffen weiterhin zu hören wie auch das Schreien der Witwen und Waisen“, rief der Papst zum Höhepunkt der Freiluftmesse am Sonntag aus und appellierte an die internationale Gemeinschaft und die arabischen Länder, „gangbare Lösungen vorzuschlagen, die die Würde jedes Menschen, seine Rechte und seine Religion achten“.

Denn ausgerechnet in der Unruheregion des Nahen und Mittleren Ostens liegen die ältesten Wurzeln des Christentums. An seinen Landschaften haben sich die Bilder und Erzählungen der Bibel inspiriert. Von Ur in Chaldäa, dem heutigen Südirak, machte sich Abraham auf ins Gelobte Land, der wohl berühmteste Flüchtling der Weltgeschichte. Im palästinensischen Bethlehem wurde Jesus geboren. In Jerusalem ist er am Kreuz gestorben und nach dem Glauben der Christen drei Tage später wieder auferstanden. Und der in Tarsus geborene Jude Paulus zog über Damaskus bis nach Athen, um auf dem Boden der heutigen Türkei und Griechenlands die ersten Gemeinden zu gründen.

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Einst die dominante Glaubensgemeinschaft im Orient, machen die Christen heute noch etwa fünf Prozent der Bewohner aus, und ihre Zahl schrumpft weiter. „Die Region erleidet ein Ausbluten der Christen. Sie befinden sich in einer schwierigen Lage, manchmal auch ohne Hoffnung“, heißt es in dem Apostolischen Schreiben über „Die Kirche des Orients“, was der Papst während seiner Libanon-Reise feierlich unterzeichnete und was als eine Art kirchlicher Fahrplan in die Zukunft gedacht ist. „Die Salafisten haben keine Hemmungen mehr. Sie werden immer stärker, kennen keine Toleranz und akzeptieren nicht die Präsenz Andersgläubiger“, sagt Muriel Abu-Khalil. „Wir Christen geraten immer mehr in die Defensive.“ Die 25-jährige hat in Beirut Medizin studiert, will nach Belgien emigrieren, dort ihren Facharzt machen und sich niederlassen. „Es gibt nichts, was mich hier noch hält“, sagt sie.

Und als wollten sie die Worte der jungen Ärztin beweisen, rissen jugendliche Randalierer am Wochenende im nordlibanesischen Tripoli die wenige Papstplakate herunter, die sich zuvor in die sunnitische Hochburg verirrt hatten. „Wir wollen den Papst hier nicht“, skandierte die Menge und zündete zwei amerikanische Schnell-Restaurants an. Ein Mensch starb, 25 wurden verletzt. Der sunnitische Mufti des Libanon, Mohammed Rashid Kabbani, überreichte dem Papst daraufhin einen handgeschriebenen Brief, in dem er „jeden Angriff auf eine Kirche als gleichwertig wie ein Angriff auf eine Moschee“ bezeichnete. „Genauso wie wir unsere Geschichte in der Vergangenheit gemeistert haben, werden wir auch die Zukunft gemeinsam meistern“, setzte der Mufti hinzu. Abgesehen davon jedoch blieben die interreligiösen Kontakte ausgesprochen spärlich, sieht man vom Händeschütteln mit den muslimischen Oberhäuptern beim Staatsempfang und einer Hundertschaft von Hisbollah-Pfadfindern bei der Ankunft Benedikts am Flughafen einmal ab.

Die schiitischen Händler in Südbeirut an der Straße zum Flughafen jedoch sind zufrieden. „Solch einen Besuch haben wir nicht alle Tage – das beruhigt die Gemüter und ist gut für unser Zusammenleben“, sagte Ali Ayyub einem lokalen Reporter. Er hoffe, dass die libanesischen Politiker nun dem Vorbild des Papstes folgen werden. Doch danach sieht es nicht aus. Die Hisbollah hat wegen der Benedikt-Tage ihre Großdemonstration gegen den Mohammed-Hetzfilm in Beirut zähneknirschend aufgeschoben. Diese wird nun am Montag sofort nachgeholt. Die junge christliche Ärztin Muriel Abu-Khalil hat derweil ihr Auswandererticket nach Brüssel bereits in der Tasche. Der Flug geht am Dienstag nächster Woche. Dann hat der nahöstliche Alltag auch Beirut wieder.

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