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Politik: Nationaler Ethikrat: www. zu spät kommt ...

Wer sich im Internet über den neusten Stand der Stammzellen-Debatte im Nationalen Ethikrat informieren will, stößt erstmal auf Bimbes. Unter www.

Wer sich im Internet über den neusten Stand der Stammzellen-Debatte im Nationalen Ethikrat informieren will, stößt erstmal auf Bimbes. Unter www.Ethikrat.de findet sich zwar Wissenswertes, aber nichts Genetisches: "Kohl war die Partei. Er kontrollierte den Bimbes. Mehr Bimbes, mehr Macht. So einfach ist das." Danke für diesen Ethik-Rat, mag sich der verwirrte Surfer denken. Worüber des Kanzlers Experten-Gremium für Fragen der Gentechnik gerade grübelt, erfährt er nicht. Kanzler- und Bundespresseamt haben schlicht vergessen, sich rechtzeitig die einschlägigen Netz-Adressen für einen Internet-Auftritt des Ethikrats zu sichern. Andere waren schneller: ein erklärter Ethikrat-Gegner und ein politischer Querkopf. Sowohl www.Nationaler-Ethikrat.de als auch www Ethikrat.de sind unter feindlicher Kontrolle. Sozusagen.

Götz Kluge, der Bimbes-Philosoph, hat sich schon im Januar seine Adresse gesichert, kurz nachdem die Ethikrat-Idee geboren war. Dort hat er jetzt ein "ABC für moderne Deutsche" platziert, was durchaus als Ratschlag in Sachen öffentlicher Moral gelesen werden kann. Kohl und sein ethisch anrüchiger Umgang mit Bimbes ist nur ein Beispiel. Kluge lebt übrigens in Japan, verfolgt die deutsche Politik trotzdem und findet, "dass zu wenig nachgedacht wird bei politischen Entscheidungen". Deshalb denkt er selbst ein wenig mit.

Ohne öffentlichen Bimbes betreibt der Münchner Christian Frodl unter Nationaler-Ethikrat.de seine "Informations- und Protestseite" gegen eben jenes Gremium. "Ich biete all das, was der echte Ethikrat nicht bietet", sagt der 29-Jährige und verweist auf Porträts der Mitglieder, ein umfassendes Pressearchiv über den Rat und sonstige Informationen zur Biopolitik. Besonders hämische Berichte über Schröders Rat, den Frodl selbst gern "Abnickgremium" oder "pharmazeutisch-industrieller Legitimationsrat" nennt, kommentiert der Gen-Skeptiker gern mit dem Hinweis "Unbedingt Lesen!". Trotz dieser Wertungen - Frodl hat eine breite, stets aktuelle Informationsplattform ins Netz gestellt und dem Kanzler-Gremium vorgemacht, wie es geht.

Dabei hatte Schröder selbst bei der ersten Ratsitzung gefordert, die Experten sollten Informationen zur Gentechnik erarbeiten und bei deren Verbreitung helfen. Denn eigentlich soll der Ethikrat öffentliches Diskussionsforum sein, die Debatte in die Gesellschaft tragen, Fragen so stellen, dass jeder sie beantworten kann. Aber erst jetzt, sechs Monate nach Geburt der Ethikrat-Idee, sind die Verantwortlichen aufgewacht, haben sich Anfang der Woche die Domain www.nationalerethikrat.de gesichert - also ohne Bindestrich und vorerst ohne Inhalt. Was dort einmal stehen soll, ist unklar. Darüber wollen die 25 Ethik-Experten auf ihrer nächsten Sitzung Ende September debattieren. Ob es dann auch zum Streit zwischen Technikgläubigen und Skeptikern kommen wird, ist ungewiss. Wahrscheinlich ist indes, dass es bis dahin endlich die Geschäftsstelle des Ethikrats gibt. Anfragen von Bürgern und Journalisten beantwortet bisher Renate Nickel von der Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, wo der Rat sich zur Untermiete einquartiert hat - obwohl Frau Nickel eigentlich andere Aufgaben hat.

Frodl und Kluge, die beiden Domain-Piraten, hätten ihre Adresse übrigens sofort an die Regierung abgetreten - wenn mal jemand angefragt hätte. Hat aber keiner. Der Bayer Frodl wäre jedenfalls vorbereitet, falls er seine Domain doch einmal dem echten Rat überlassen sollte. Den gleichen Inhalt will er dann einfach auf eine neue Seite verschieben. Deren Adresse steht auch schon fest: www.Abnickgremium.de. "War noch zu haben", lacht Frodl, "hab ich mir schon mal reserviert."

Markus Feldenkirchen

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