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Politik: Nationalstolz: Ein Blick ins Ausland: Der letzte Trumpf der alten Herren in China

Es war im Mai vor zwei Jahren, als ich ein einziges Mal bei meiner Arbeit in China Angst bekam. "Wie könnt Ihr es wagen, uns Chinesen so etwas anzutun", pöbelte uns ein älterer Mann auf der Straße an.

Es war im Mai vor zwei Jahren, als ich ein einziges Mal bei meiner Arbeit in China Angst bekam. "Wie könnt Ihr es wagen, uns Chinesen so etwas anzutun", pöbelte uns ein älterer Mann auf der Straße an. Einen Moment später waren wir von Passanten umzingelt, die Stimmung war gereizt. "Wartet nur, bis China wieder stark ist, dann schlagen wir zurück", rief ein Student und zerrte an meinem T-Shirt.

Drei Chinesen waren bei dem irrtümlichen Nato-Angriff auf die chinesische Botschaft in Belgrad ums Leben gekommen. Niemand hatte erwartet, welche Wellen dies in China schlagen würde. Hunderttausende gingen auf die Straße, trugen Banner mit Aufschriften wie "China wird wieder stark". Ausländer wurden auf offener Straße verprügelt. Es waren die größten Demonstrationen seit den Studentenunruhen 1989. Doch diesmal war es die KP-Regierung selbst, die den Volksaufmarsch steuerte.

Zum Thema: Hintergrund: Die Rau-Äußerung TED: Kann man auf die Zugehörigkeit zu einer Nation stolz sein? Seit Jahren schürt Pekings KP-Führung den Nationalismus im chinesischen Volk. Von der Grundschule an müssen Schüler patriotische Militärlieder singen. Wenn sie größer sind, werden sie im "Politischen Unterricht" berieselt. Nicht etwa Maos Sozialismusexperimente seien schuld, dass China noch unterentwickelt ist, lernen sie, sondern der Westen. Für Pekings Autokraten ist Nationalismus die letzte Trumpfkarte.

Dabei ist die Frage der nationalen Identität für China relativ neu. Jahrtausende war das kaiserliche "Zhong Guo" - das "Reich der Mitte" - für die Chinesen nicht nur die größte, sondern die einzige Zivilisation der Welt. Schießpulver, Papierdruck, der Kompass - viele wichtigen Erfindungen stammen aus China. Von den anderen Völkern wusste man wenig, nannte sie Barbaren. Erst im 19. Jahrhundert, nachdem China den Opiumkrieg verloren hatte und ausländische Kolonialmächte in das Reich eindrangen, machten sich Chinas Intellektuelle zum ersten Mal Gedanken über ihre nationale Identität.

Einen entspannten Umgang mit ihrer nationalen Identität haben die Chinesen bis heute nicht gefunden. Ein "extremes Verhältnis" zu anderen Nationen bescheinigt der Soziologe Sun Longji seinen Landsleuten - der Westen werde entweder vergöttert oder verteufelt. Beobachten konnte man dies an den Pekinger Studenten. Der Amerika-Hass war schnell vergessen. Wie jedes Jahr bewarben sich Hunderttausende für ein Auslandsstudium - die meisten wollten in die USA.

Harald Maass

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