zum Hauptinhalt

Politik: NATO-Angriffe zermürben rot-grüne Regierung / UN prangern Flüchtlingselend an

BONN/WASHINGTON/GENF (Tsp).Die Bedenken in Reihen der Grünen gegen die NATO-Schläge in Jugoslawien stellen zunehmend den Bestand der Bonner Koalition in Frage.

BONN/WASHINGTON/GENF (Tsp).Die Bedenken in Reihen der Grünen gegen die NATO-Schläge in Jugoslawien stellen zunehmend den Bestand der Bonner Koalition in Frage.Außenminister Fischer warnte seine Partei per Interview davor, das Bündnis mit der SPD und damit auch die eigene Partei zu gefährden.Offenbar vor diesem Hintergrund verzichtete die Koalition auf einen von SPD-Fraktionschef Struck bereits angekündigten Beschluß zur Entsendung von Bundeswehrsoldaten nach Albanien.Derweil wuchs die Sorge um die Vertriebenen.UN-Flüchtlingskommissarin Ogata appellierte an die NATO: "Wir brauchen Hilfe, und zwar sofort."

Wenn die Grünen die Regierungslinie nicht mehr mittrügen, würde das in Bonn "eine andere Koalition mit sich bringen, aber keine andere Politik der Bundesrepublik Deutschland", sagte Fischer der "Frankfurter Rundschau".Er fügte hinzu: "Es geht um Krieg und Frieden, aber es geht auch für uns als Partei um verflucht viel." Der Krieg werde "länger dauern und härter sein", als viele meinten.Einen einseitigen NATO-Waffenstillstand, für den der Grünen-Bundesvorstand am Vortag plädiert hatte, lehnte er ab, ebenso den Einsatz von Bodentruppen.Für dem Fall eines Auseinanderbrechens der rot-grünen Koalition wünscht die Union Neuwahlen.Nur so sei ein Koalitionswechsel möglich, sagte der CDU-Partei- und Fraktionsvorsitzende Schäuble in Berlin.

Aufregung hatte am Dienstag vor allem eine Äußerung von Grünen-Umweltminister Trittin ausgelöst.Dieser hatte in Washington gesagt, Milosevic unterschätzt zu haben und in die militärische Eskalation hineingezogen worden zu sein, stelle einen "Fehler aller Regierungen" dar."Die Intervention hat ihre Ziele nicht erreicht." Die Korrektur dieses Fehlers könne indes nicht sein, "jetzt heimzugehen und sorry zu sagen".Auf die Frage, warum er als grüner Minister den Luftkrieg gegen Jugoslawien unterstütze, sagte Trittin: "Sie verstehen mich da falsch.Ich unterstütze den Luftkrieg nicht." Sein Sprecher Schroeren sagte dazu in Bonn, Trittin stehe "zum Kurs der Bundesregierung".Er sei mit dem "Fehler"-Zitat falsch wiedergegeben worden.Er habe nur abermals auf die Gefahren hinweisen wollen.Mit diesen Klarstellungen gebe es keine Belastung für die Koalition befanden die Fraktionssprecher Müller und Schlauch

Nach den Worten von Verteidigungsminister Scharping (SPD) schickt Deutschland zunächst keine weiteren Soldaten nach Albanien, ist aber im Grundsatz zur Aufstockung seines Kontingents dort bereit.Überlegungen zur Entsendung eines Fernmeldebataillons und Unterstützung der humanitären Programme für Kosovo-Flüchtlinge seien derzeit "nicht entscheidungsreif", sagte Scharping in Bonn.Sie müßten zunächst noch mit den NATO-Partnern abgestimmt werden.Im Kabinett am Mittwoch werde es wahrscheinlich keinen Beschluß in dieser Frage geben.Dies gelte auch eine von SPD-Fraktionschef Struck zuvor noch als wahrscheinlich bezeichnete Entscheidung des Bundestages.Im Notfall könne eine Reaktion aber "innerhalb von 24 Stunden" notwendig werden.Es handelt sich um zu 200 Fernmeldesoldaten, Transportverbände und Hubschrauber.

UN-Flüchtlingskommissarin Ogata sagte in Genf: "Wir geben unser bestes." Angesichts des Exodus der Kosovo-Albaner, der alle bisherige Krisen in den Schatten stelle, seien die UN aber auf Unterstützung angewiesen - durch militärische und zivile Einheiten.Rund 700 000 Menschen seien vor den Truppen des jugoslawischen Präsidenten Milosevic geflohen.Allerdings kämen derzeit nur vereinzelt Personen über die Grenze.Das Schicksal Hunderttausender Kosovo-Albaner in blieb weiter unklar.Viele harrten im Niemandsland aus.Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sprach von "völliger Gesetzlosigkeit" innerhalb des Kosovo.Serbische Einheiten hätten schwerste Menschenrechtsverletzungen verübt.

Die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Beck, kritisierte den vorläufigen Aufnahmestopp für Kosovo-Flüchtlinge.Der Beschluß der Innenminister von Bund und Ländern sei "kleinmütig und engherzig".Scharping sagte, Deutschland solle darüber nachdenken, sein Kontingent von 10 000 auf 15 000 aufzustocken.Bayern warf der EU mangelnde Solidarität vor.Die anderen EU-Staaten hätten zusammen nur 897 Flüchtlinge aufgenommen.

Der britische Premierminister Blair und NATO-Generalsekretär Solana bekräftigten in Brüssel die Entschlossenheit und Einheit der Allianz im Kosovo-Konflikt.Beide Politiker wollten sich nicht eindeutig dazu äußern, ob die NATO Bodentruppen zu Kampfeinsätzen ins Kosovo schicken soll.Auch in der Frage, ob die NATO die Treibstoffversorgung Jugoslawiens durch eine Seeblockade unterbrechen soll, gab es keine eindeutige Antwort.Zuvor hatte Frankreich die US-Vorschläge für eine Seeblockade gegen Jugoslawien zur Unterbindung weiteren Erdöls als "wenig ausgearbeitet" bezeichnet.Der Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, der deutsche General Naumann, setzte sich für die Unterbindung von Schiffslieferungen mit Treibstoff an Jugoslawien ein.

Die Beziehungen zwischen den USA und Rußland haben sich nach dem Telefonat zwischen den Präsidenten Clinton und Jelzin derweil gebessert.Das berichtete die "New York Times" unter Berufung auf Quellen im Weißen Haus.Bundesaußenminister Fischer sprach von einer "bedeutenden Bewegung" Moskaus.Rußlands Außenminister Iwanow kritisierte Belgrad.Seit dem Start der NATO-Schläge sei Gewalt in alle Richtungen ausgebrochen, unter der Albaner, Serben und alle anderen litten.Rußland verlange ein Ende aller Formen der Gewalt und Vertreibung.

Unterdessen trafen in Albanien die ersten von 24 US-Kampfhubschrauber des Typs Apache ein.Ihr Einsatz gilt vielen als Vorstufe für einen Bodenkrieg.Zur Sicherung der Kampfhubschrauber waren auch 700 amerikanische Fallschirmjäger auf dem Weg nach Albanien.

Zur Startseite