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Nato-Generalsekretär Rasmussen in Brüssel.

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Nato-Beschlüsse zur Ukraine: Verschärfter Kurs gegen Russland

Um Russland abzuschrecken, verstärkt die Nato die militärische Präsenz an den Außengrenzen des Bündnisses. Doch wie ernst ist die Entwicklung zu nehmen?

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Eine Schonfrist hat Frank-Walter Steinmeier bei seinem ersten Besuch im Brüsseler Nato-Hauptquartier seit vielen Jahren nicht bekommen. Sofort musste er Fragen zu den Beschlüssen des zweitägigen Treffens mit seinen Kollegen beantworten, die nichts weniger darstellen als einen Strategiewechsel der Nato. Auf den Hauptquartier-Fluren war viel von einem „game changer“ die Rede, also einem Ereignis, das die Spielregeln verändert. Entsprechend weitreichend ist das, was die 28 Nato-Außenminister hinsichtlich einer neuen „Ostpolitik“ vereinbaren.

Welche Position vertritt die Nato?

Die osteuropäischen Mitgliedstaaten, die Russland wieder fürchten, werden in fast martialischem Tonfall der Beistandspflicht nach Artikel 5 des Nato-Vertrags versichert. „Unsere wichtigste Aufgabe besteht darin, unser Territorium und unsere Menschen zu schützen und zu verteidigen“, sagte Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, der sich im Folgenden direkt an Russlands Präsidenten Wladimir Putin zu wenden schien: „Und täuschen Sie sich nicht: Genau das werden wir tun.“

Für’s Erste wird die Luftraumüberwachung über den östlichen Nato-Staaten intensiviert. US-Außenminister John Kerry freut sich darüber, dass nicht nur die Vereinigten Staaten sechs zusätzliche F16-Kampfjets dafür zur Verfügung stellen, sondern auch die Europäer in der Allianz, darunter Deutschland. „Ob die Angebote abgerufen werden“, erklärt Außenminister Steinmeier in Brüssel, liege nun in den Händen der Nato-Militärs. Dasselbe gilt für eine mögliche Beteiligung an zusätzlicher Seeaufklärung in der Ostsee.

Generell soll die Sichtbarkeit der westlichen Verteidigungsallianz in Osteuropa erhöht werden, nachdem Polens Außenminister Radoslaw Sikorski moniert hatte, in seinem Land unterhalte die Nato gerade einmal ein Konferenzzentrum. Die militärischen Stäbe sollen nun bis Monatsende prüfen, wie eine stärkere Präsenz und damit auch eine stärkere Abschreckung aussehen könnte. Generalsekretär Rasmussen nannte bereits die „Aktualisierung von Verteidigungsplänen“, das häufigere Abhalten von Manövern sowie eine „angemessene Truppenentsendung“. Sikorski forderte öffentlich bereits 10 000 Mann an.

Das ist der mit Abstand heikelste Punkt – politisch, diplomatisch, rechtlich. Vertraglich wurde Russland im Zuge der Nato-Erweiterung lediglich zugesagt, keine Atomwaffen auf dem Gebiet des ehemaligen Warschauer Pakts aufzustellen. Außerdem kamen Russland und die Nato überein, dass das westliche Bündnis dort „keine umfangreichen Kampftruppen dauerhaft“ stationieren werde. Nun wird im Bündnis darüber diskutiert, ob beispielsweise eine Brigade mit wenigen tausend Soldaten unter die Definition fällt oder nicht. Aber es gibt auch Stimmen, die wie ein Nato-Diplomat fragen, „warum wir uns an diese Abmachung halten sollen, wenn Russland sich nicht an seine hält“.

Wie verhält sich Deutschland?

Der deutsche Außenminister plädierte in Brüssel dafür, sich „nicht mit eskalierender Militärpolitik die Mittel der Politik aus der Hand zu schlagen“. Es spricht viel dafür, dass Deutschland eine dauerhafte Nato-Truppenentsendung blockieren könnte, wenn die Forderungen der anderen nicht mehr in Prüfaufträge umgewandelt werden können, sondern Entscheidungen zu den entsprechenden Empfehlungen der Militärs anstehen. Wenn es aber um vorübergehende Truppenverlegungen geht, zeigte sich die Bundesregierung in den Gesprächen durchaus offen. Man will die Vorschläge des Nato-Oberbefehlshabers abwarten.

Deutschland schickt "Eurofighter" - und ist gegen mehr Truppen an der Grenze

Wie sieht der deutsche Beitrag aus?

Dass die Bundeswehr ins Spiel kommt, wenn es um Luftraumüberwachung im Baltikum geht, hat einen einfachen Grund: Die Deutschen haben damit die meiste Erfahrung. Als Lettland, Estland und Litauen 2004 der Nato beitraten, verfügten sie weder über Abfangjäger noch über ausgebildetes Personal. Seit 2006 übernehmen deshalb Nato-Partnerländer im Rotationsverfahren für jeweils vier Monate die Luftkontrolle an der neuen östlichen Außengrenze. Fünf Mal waren bisher die Deutschen dran, zuletzt von Januar bis April 2012. Derzeit sind die USA zuständig. Ab 2018 sollen die baltischen Luftwaffen die Luftsicherung selbst übernehmen können.

Die Besatzungen der Alarmrotten sind zwar dazu ausgebildet, notfalls Angreifer mit Waffengewalt abzuwehren. Aber in der Praxis haben sie es bei unbekannten Eindringlingen bloß mit Privatfliegern auf Irrwegen zu tun oder mit Linien-Jets, deren Transponder für die automatische Erkennung nicht funktioniert. Das ist im Baltikum nicht anders, auch wenn ein Übungsprogramm mit Scheinangriffen und Abdräng-Manövern ständig auf den Fall der Fälle vorbereitet.

Sollte die Bundeswehr demnächst bis zu sechs „Eurofighter“ auf den litauischen Flughafen Siauliai schicken, wäre das ein Einsatz außer der Reihe und alleine dadurch eine demonstrative Geste. Zugleich bemüht sich die Bundesregierung, die Aktion nicht als aggressiven Akt, gar als Militarisierung der Ukraine-Krise erscheinen zu lassen. Geplant seien „verstärkte Routine-Operationen“, hat ein Diplomat dieser Tage formuliert. Das klingt verdächtig nach einem Widerspruch in sich. Gerade deshalb erfasst es die politische Absicht recht genau: Demonstrieren, nicht drohen.

Russland bleibt gelassen

Wie reagiert Russland?

Auf die Aussetzung der militärischen Zusammenarbeit mit Russland, wie sie die Nato-Außenminister Dienstag in Brüssel beschlossen haben, reagierte Moskau mit ähnlicher Gelassenheit wie auf alle bisherigen Drohungen des Westens. Die „Sprache der Erklärung“ mokierte sich Außenamtssprecher Alexander Lukaschewitsch, rufe einen „gewissen Dejá-vue-Effekt hervor“. Brüssel, so der der Diplomat, habe schon vor sechs Jahren, beim Krieg, den Russland und Georgien sich um dessen abtrünnige Region Südossetien lieferten, die Tätigkeit des Russland-Nato-Rats eingefroren. Dennoch sei das westliche Militärbündnis auf eigene Initiative schnell wieder an den Verhandlungstisch zurückgekehrt.

Ähnlich äußerten sich auch einflussreiche Duma-Abgeordnete. Vom Einfrieren der Kooperation würden weder Russland noch die Nato profitieren. Russische Militärexperten zitieren Nato-Generalsekretär Rasmussen, der mit einer Fortsetzung der Zusammenarbeit beim Kampf gegen den Drogenhandel in Afghanistan und Pakistan rechnet. Dabei kommen auch russische Ausbilder und russische Hubschrauber zum Einsatz.

Mit Ausnahme von Afghanistan aber tendiert die militärische Kooperation zwischen Russland und der Nato seit langem gegen null. Beigelegt werden können die großen Differenzen in der internationalen Politik nur durch Verhandlungen, und diese Tür, das hat man in Moskau registriert, will die Nato nicht zuschlagen. Die Russland-Beziehungen sollen beim nächsten Außenministertreffen im Juni „erneut überprüft“ werden.

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