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Euro-Bonds, Abzug aus Afghanistan - gleich zu Beginn der Präsidentschaft von François Hollande gibt es Differenzen mit Berlin.

© dapd

Nato-Gipfel in Chicago: Hollande verärgert seine Bündnispartner

Unmut in Chicago: Auf dem Nato-Gipfel hat sich Frankreichs Präsident Hollande gegen die Bündnispartner gestellt: Er will schon Ende 2012 Soldaten aus Afghanistan nach Hause holen - zwei Jahre früher als vereinbart. Das Gipfeltreffen wurde von heftigen Protesten begleitet.

Die Debatte über den bevorstehenden Truppenabzug aus Afghanistan hat den Auftakt des Nato-Gipfels in Chicago dominiert. Das Ausscheren von Frankreichs neuem Präsidenten François Hollande sorgte bei diesem Thema für Unmut bei den Bündnispartnern. Hollande will die schätzungsweise 3400 Soldaten schon Ende 2012 nach Hause holen - zwei Jahre früher als in der Allianz vereinbart. US-Präsident Barack Obama, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Guido Westerwelle zeigten sich irritiert. Hollande spielte die Wirkung seiner Entscheidung demonstrativ herunter. „Wir haben eine gemeinsame Abmachung gefunden“, sagte er am Rande des Gipfels. 2013 sollten französische Ausbilder für afghanischen Polizei und Armee verbleiben. 

Zwischen den Zeilen ließ Merkel Unverständnis durchblicken: „Wir sind gemeinsam nach Afghanistan gegangen, und wir wollen auch gemeinsam aus Afghanistan wieder abziehen.“ Deutlicher wurde Westerwelle: „Ein Abzugswettlauf gießt nur Wasser auf die Mühlen derer, die Unsicherheit säen wollen.“ Auch Gastgeber Obama beschwor die Verbündeten, den Einsatz gemeinsam fortzusetzen: „Genau so, wie wir zusammen Opfer gebracht haben, werden wir jetzt auch entschlossen zusammenstehen, um diese Mission zu vollenden.“ Die USA stellen rund 90 000 Soldaten für die Schutztruppe Isaf, die derzeit etwa 130 000 Soldaten im Einsatz hat.

Es ist bereits das zweite Mal innerhalb von wenigen Tagen, dass Kanzlerin Merkel und Hollande aneinandergeraten. Bereits auf dem ersten internationalen Auftritt Hollandes - auf dem G-8-Gipfel in Camp David am Samstag - gab es Differenzen beim Thema Schuldenpolitik. Hollande trat in Camp David vor die Presse und kündigte an, er werde gemeinsame Schuldscheine der Euroländer verlangen. „Zu meinen Wachstumsvorschlägen gehören auch Euro-Bonds. Und ich werde sie nicht alleine fordern“, sagte er. Denn: „Dafür habe ich hier bei den G-8 die Bestätigung erhalten.“ Gemeint ist Italiens Regierungschef Mario Monti, der eine gemeinsame Schuldentilgung schon lange befürwortet, mit Rücksicht auf Berlin aber bislang nicht laut danach gerufen hat. Merkel hat Euro-Bonds bis auf weiteres ausgeschlossen.

Das zweite wichtige Thema des Nato-Gipfels war die Raketenabwehr in Europa. Die Nato sei ihrem Ziel einen großen Schritt nähergekommen, hieß es am Sonntag (Ortszeit) Montag. Das System, das vor Angriffen sogenannter Schurkenstaaten wie dem Iran und Nordkorea schützen soll, ist in Teilen einsatzbereit. Der Raketenschild sei „unverzichtbar“ und werde der es der Nato ermöglichen, sich „gegen Bedrohungen von außerhalb der europäisch-atlantischen Region zu verteidigen“, sagte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. In dem Abwehrsystem werden Satelliten, Schiffe, Radaranlagen und Abfangraketen mehrerer Nato-Länder zusammengefügt, um Europa vor einer möglichen Bedrohung durch Raketen mit einer Reichweite von bis zu 3000 Kilometern zu schützen.

Die Militärallianz hatte den Aufbau im Herbst 2010 bei ihrem Gipfel in Lissabon vereinbart und beschloss nun die erste Betriebsphase. Dabei werden mit einem Raketenabwehrsystem ausgestattete US-Militärschiffe auf einer US-Marinebasis im spanischen Rota stationiert und eine Radarstation im Südosten der Türkei in Betrieb genommen. Zudem nimmt die Kommandozentrale auf dem Nato-Stützpunkt im deutschen Ramstein ihre Arbeit auf. Gegen Ende des Jahrzehnts soll das Abwehrsystem vollständig einsatzfähig sein.

Mit dem Start des Raketenschilds dürfte die Konfrontation mit Russland, das sich von dem Abwehrschild bedroht fühlt, in eine neue Runde gehen. Russland hatte nur Stunden vor dem Beschluss zur Raketenabwehr erneut seine Ablehnung deutlich gemacht. Vize-Verteidigungsminister Anatoli Antonow sagte in Moskau, das System könne das strategische Gleichgewicht stören. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen versuchte erneut, die russischen Bedenken zu zerstreuen: „Es gibt eine reale Bedrohung und dagegen brauchen wir eine reale Verteidigung. Und natürlich kann Russland das nicht blockieren.“ Er hoffe, dass die Führung in Moskau irgendwann verstehe, dass eine Zusammenarbeit im gemeinsamen Interesse sei. "Die Nato-Raketenabwehr richtet sich nicht gegen Russland“, stellten die Gipfelteilnehmer in einer gemeinsamen Erklärung noch einmal klar. Das Militärbündnis will sich demnach weiterhin „aktiv“ um eine Zusammenarbeit bemühen. Rasmussen hob jedoch auch hervor, dass die Nato sich von den Bedenken Russlands nicht von dem Projekt abbringen lasse.

Der Nato-Gipfel in Chicago war der größte in der 63-jährigen Geschichte der Nato und wurde von Protesten begleitet. Viele tausend Aktivisten zogen durch das Zentrum der Millionenstadt. Es kam zu einzelnen Zusammenstößen von Demonstranten und Polizei mit Verletzten und Festnahmen.

(dpa, AFP)

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