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Nato-Gipfel zum Libyen-Konflikt: Reden oder schießen?

Soll die Nato eine noch härtere Gangart gegenüber Gaddafi verfolgen oder jetzt verstärkt auf eine nicht-militärische Lösung setzen? Beim Außenministertreffen in Berlin ringt das Bündnis um eine Lösung im Libyen-Konflikt. Hat es Fortschritte gegeben?

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Das Logo für das Berliner Nato-Treffen ist von unfreiwilliger Symbolik: Ein wie mit groben Kreidestrichen unscharf hinschraffiertes Brandenburger Tor in Schwarz-Rot-Gelb prangt vom Kuli bis zur Stellwand an allem, was die Nato-Außenminister am Donnerstag im Auswärtigen Amt umgibt. Unschärfe dominiert die Frühjahrstagung auch sonst. Die Allianz ist auf der Suche nach einer Lösung für den Libyen–Konflikt, die Bundesregierung ist auf der Suche nach einem Weg, die Verstimmungen im Bündnis über ihren Sonderkurs mit der Enthaltung im UN-Sicherheitsrat beizulegen. Doch beide kommen über diplomatische Floskeln kaum heraus.

Weitet die Nato ihren Militäreinsatz in Libyen jetzt aus?

Am Vorabend des Nato-Treffens hatten Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und der britische Regierungschef David Cameron ein Krisentreffen in Paris abgehalten. Die beiden haben sich von Anfang an dafür stark gemacht, gegen den libyschen Diktator Muammar al Gaddafi zu Felde zu ziehen. Die Briten sympathisieren offen mit der Idee, die Aufständischen mit Waffen zu versorgen. Nun fordern sie gemeinsam mit den Franzosen eine Verstärkung des Kampfeinsatzes.

Doch beim Treffen in Berlin ist von Verstärkung nur noch im Konjunktiv die Rede. Der Oberbefehlshaber des Libyeneinsatzes, der US-Admiral James Stavridis, hat zwar den Außenministern der Allianz beredt erläutert, dass Gaddafis Truppen für die Allianz nur noch schwer zu treffen sind, seit sie ihr schweres Gerät in Wohngebieten verstecken. Stavridis bat deshalb dringend um zusätzliche Kampfflugzeuge, die präzise genug feuern und bombardieren können, um nur den Panzer zu treffen und die Schule daneben nicht. Doch Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen konnte von konkreten Zusagen von Mitgliedsstaaten nicht berichten; nur „Hinweise“ gebe es, die ihn hoffen ließen. Wer die Hinweise gab, sagt der Generalsekretär nicht. Von Belgien können sie nicht kommen, das hat offen abgesagt. Auch Spanien gab den drängenden Partnern in Paris und London einen Korb: Man wolle weiter nur die Überwachung des Flugverbots unterstützen. So bleibt es vorerst dabei, dass Briten und Franzosen den Löwenanteil der Einsätze fliegen, nachdem die USA ihre Kampfflugzeuge Anfang April weitgehend aus dem Gefecht genommen hatten.

Gleichwohl versicherte Rasmussen, die Allianz werde ihre Angriffe mit „hohem operationellem Tempo“ und so lange fortsetzen „wie nötig“. Der Generalsekretär präzisierte auch dieses „nötig“: Bombardiert werde, bis Gaddafis Kämpfer sich zurückzögen, die Aufständischen nicht mehr bedrohten und Hilfstransporte ungehindert zuließen. So bombardierten Flugzeuge der Allianz auch am Donnerstag wieder Ziele im Süden von Tripolis.

Derlei Kundgebungen können indessen nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Militäreinsatz auf der Stelle tritt. Gaddafis Armee ist zu einem Drittel zerstört, vor allem große Depots, Flughäfen und Raketenstellungen sind nicht mehr nutzbar. Trotzdem liegt die von Aufständischen gehaltene Stadt Misrata unter Beschuss der Gaddafi-Anhänger, fast genau so wie Mitte März die Stadt Bengasi, als Amerikaner, Briten und Franzosen sich zum Eingreifen entschlossen. Ganz offenkundig sind die Rebellen zu schwach, um unter dem Luftschirm das Gaddafi-Regime zu stürzen. Doch Rasmussen bekräftigte, dass die Allianz die militärisch naheliegende Schlussfolgerung eben nicht ziehen will: Das Waffenembargo gelte für alle, also auch die Aufständischen. Und auch Bodentruppen bleiben außer Betracht. Rasmussen bekräftigte, Ziel der Nato-Operation sei der Schutz der Zivilbevölkerung, nicht der Sturz des Regimes. Eine „rein militärische Lösung“ für den Libyen-Konflikt könne es auch deshalb nicht geben.

Wie steht es um eine politische Lösung des Konflikts?

Das Problem ist, dass eine politische Lösung eben so wenig in Sicht ist. Ein Anlauf der Arabischen Union zur Waffenruhe war daran gescheitert, dass die Aufständischen in Libyen sich nicht auf Verhandlungen mit Gaddafi einlassen wollten. Dass der von sich aus die Waffen schweigen lässt, glaubt die Allianz bis auf Weiteres auch nicht. „Bisher sind den Worten von Oberst Gaddafi keine Taten gefolgt,“ sagt Bundesaußenminister Guido Westerwelle. Den Worten der Alliierten ist Gaddafi aber bisher noch viel weniger gefolgt, auch wenn wieder alle von Rasmussen über Westerwelle und US-Außenministerin Hillary Clinton bis zu Kanzlerin Angela Merkel forderten, der Diktator müsse gehen.

Wie man ihn dazu bewegen kann, bleibt unscharf. Direkte Gesprächskanäle zu dem Mann, der sich in Tripolis verschanzt hat, gibt es nach Auskunft deutscher Diplomaten nicht. Mancher hofft darauf, dass Politiker aus dem Umfeld des Diktators zum Machtwechsel beitragen. Frankreichs Außenministers Alain Juppé warb für einen „echten nationalen Dialog“ in Libyen zwischen den Aufständischen und gemäßigten Kräften im Westen des Landes. Dies gelte insbesondere für die „Verantwortlichen in Tripolis, die erkennen müssen, dass es in Libyen keine Zukunft mit Gaddafi gibt“ – also Führungsfiguren des Regimes, die ihr einstiges Idol zum Aufgeben bringen sollen. Ob dahinter mehr steckt als ein weiterer Appell ins Ungewisse – ungewiss. Gastgeber Westerwelle sah sich jedenfalls veranlasst, „einen langen Atem“ anzuempfehlen. Weil das aber gerade aus seinem Mund ein wenig besserwisserisch klingen könnte, hat er staatsmännisch versichert: „Und die internationale Gemeinschaft hat diesen langen Atem.“

Wie steht Deutschland nach seiner Enthaltung im UN-Sicherheitsrat im Bündnis da?

Für Westerwelle war die Gastgeber-Rolle ohnehin ein Spagat. Er hat den Entschluss, sich im Sicherheitsrat zu enthalten, nicht allein gefällt. Aber Kanzlerin Angela Merkel ist es irgendwie gelungen, damit nicht mehr in Verbindung gebracht zu werden. Merkel trifft sich denn auch mit Clinton und sagt der US-Außenministerin, zur Lösung des Konflikts sei ein „politischer Prozess“ ebenso gefragt wie „militärische Möglichkeiten“. Clinton hört das gern. Sie hat seinerzeit die US-Regierung von der Skepsis gegen den Libyen-Einsatz abgebracht und damit erst die UN-Resolution ermöglicht, die den Deutschen nun so viel Ärger macht.

Ausbaden muss den Ärger Guido Westerwelle. Und so erlebt man am Morgen eine denkwürdige Szene. Zwei Stunden lang frühstückt Westerwelle mit dem französischen Kollegen Alain Juppé. Danach ist von einem deutschen Sonderweg amtlich keine Rede mehr. Das Vertrauen in Deutschland bestehe weiter, versichert Juppé, „es war auch nie verschwunden“. Er erlaubt sich aber doch noch einen sarkastischen Scherz: „Wenn Guido Westerwelle der Meinung wäre, dass Muammar al Gaddafi an der Macht bleiben sollte, nur dann hätten wir ein Problem.“

Westerwelle bleibt ernst und versichert, dass Deutschland nicht „neutral“ sei, sondern die Ziele der Offensive gegen Gaddafis Soldaten unterstütze. Und was die deutsch-französischen Beziehungen angehe – falsch wäre es, „irgendwelche Unstimmigkeiten“ da hinein zu interpretieren, die Beziehungen seien „tadellos“. Das stimmt aber höchstens neuerdings. Noch am Dienstag hatte schließlich Frankreichs Verteidigungsminister Gérard Longuet in der Pariser Nationalversammlung Westerwelle als dummen Schulbuben verspottet: Dessen Versuch, mit einer Zusage von Soldaten für humanitäre Hilfseinsätze wieder Boden bei den Verbündeten gutzumachen, sei so eine Art „mündliche Nachprüfung“.

Schwierig bleibt die deutsche Rolle auch durch ein Paradox: Westerwelle und Merkel können sich durch den Gang der Dinge in ihrer Skepsis gegen den Luftkrieg bestätigt sehen. Nur zeigen dürfen sie das den ratlosen Verbündeten nicht.

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