zum Hauptinhalt
Im Mittelpunkt. Vor allem die Haltung Zschäpes wird harsch kritisiert. Foto: Reuters

© REUTERS

Politik: „Nazi-Braut in Hitler-Pose“

Die Türken schauen mit einer Mischung aus Empörung und Skepsis nach München – und fordern Veränderungen.

Istanbul - Die Türken reagierten empört. Vor allem die als arrogant und kaltherzig empfundene Haltung der Angeklagten Beate Zschäpe hat sie zu Beginn des NSU-Prozesses in München erregt. „Nazi-Braut in Hitler-Pose“, titelte zum Beispiel die Zeitung „Habertürk“ neben einem Foto Zschäpes mit verschränkten Armen und einem Bild Hitlers. Dass der NSU auf Hilfe aus dem deutschen Staatsapparat zählen konnte, steht für viele türkische Beobachter fest.

Wenn eine Gruppe mit einer einzigen Waffe in verschiedenen Städten des Bundesgebiets über Jahre acht Türken und einen Griechen erschießen könne und trotzdem nicht gefasst werde, dann sei offensichtlich, dass „geheime Kräfte im Staat“ die NSU unterstützt hätten, sagte der Parlamentsabgeordnete Mahmut Tanal.

Erdal Safak, Chefredakteur der Zeitung „Sabah“, sieht in Deutschland den „tiefen Staat“ am Werk. Der „tiefe Staat“ ist der türkische Sammelbegriff für einen Filz aus strammrechten Behördenvertretern und nationalistischen Killern. Solche Verflechtungen sollen unter anderem bei dem Mord an dem armenischstämmigen Journalisten Hrant Dink in der Türkei eine Hauptrolle gespielt haben.

Diese Erfahrungen im eigenen Land verliehen Zschäpes Auftritt vor Gericht aus türkischer Sicht eine neue Dimension. Dass die Hauptangeklagte ruhig wirkte, einen Kaugummi kaute, mit ihren Anwälten scherzte und dem Gericht den Rücken zukehrte, wurde von einigen als Indiz dafür gewertet, dass die 38-Jährige gute Gründe haben muss, ein mildes Urteil zu erwarten.

Cinar Özen, Politikwissenschaftler der Universität Ankara, stellte im türkischen Nachrichtensender NTV die Frage, warum sich Zschäpe 2011 wohl der Polizei gestellt habe. Immerhin hätten sich die beiden anderen NSU-Mitglieder selbst das Leben genommen, um der Verhaftung zu entgehen. Möglicherweise habe Zschäpe einen Deal mit den deutschen Behörden, lautete Özens Vermutung. NTV griff am Dienstag zudem einen Bericht der „Bild“-Zeitung auf, wonach Zschäpe in der Haft von anderen Gefangenen „wie eine kleine Königin“ behandelt werde.

Häufig muss sich die Türkei aus Europa scharfe Kritik angesichts von Menschenrechtsverletzungen, Hass auf Minderheiten und juristischen Defiziten anhören. Nun kritisieren die Türken die Deutschen – und werden moralisch. So forderte der Parlamentsabgeordnete Tanal die Entfernung des Kruzifixes aus dem Münchner Gerichtssaal. Religiöse Symbole hätten in einem Rechtsstaat nichts verloren, belehrte er die Deutschen. Das Kreuz sei eine „Bedrohung“ für alle Nicht-Christen und habe daher „sofort“ zu verschwinden.

Andere Beobachter riefen zur genauen Prozessbeobachtung auf – ganz so, als sei den Deutschen nicht zu trauen. Das Verfahren sei eine „Nazi-Prüfung“ für Deutschland, befand die Zeitung „Milliyet“. Die türkische Parlamentarierdelegation beim Prozess versprach, das Verfahren auch weiterhin aufmerksam zu verfolgen. „Wir erwarten ein Urteil, das dem Rassismus Einhalt gebietet“, sagte Delegationschef Ayhan Sefer Üstü. „Wir bleiben dran.“Susanne Güsten

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false