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Politik: „Nein der EU wäre ein psychologischer Tiefschlag“

Der Direktor der Internationalen Balkankommission über die Regierung in Bulgarien und den Beitritt

Sieben Wochen hat es gedauert, bis in Bulgarien eine neue Regierung gebildet werden konnte. Kann die große Koalition aus Sozialisten, der Nationalen Bewegung und der türkischen Minderheitspartei die EUForderungen noch rechtzeitig umsetzen, um wie geplant zum 1. Januar 2007 der Union beizutreten? Der nächste Fortschrittsbericht aus Brüssel wird für Ende Oktober erwartet …

Sie hat keine andere Chance. Die Regierung unter dem sozialistischen Ministerpräsidenten Sergej Stanischew wurde sozusagen als Koalition 2007 gegründet – und das ist ihre einzige Legitimation. Vor allem, da die Koalitionsverhandlungen gezeigt haben, wie viel Misstrauen es unter den Parteien gibt. Erfüllt Sie die EU-Forderungen nicht, haben wir in einem Jahr eine wirklich große Regierungskrise.

Wie stabil ist die neue Regierung?

Auf der einen Seite verfügt die Regierung über eine satte Mehrheit im Parlament. Auf der anderen Seite gibt es einen großen Instabilitätsfaktor: Diese Koalition ist in den Parteien selbst nicht populär. Nur wenn sie mit dem EU-Beitritt erfolgreich ist, kann sie weiterregieren.

Der wichtigste Punkt, den die EU immer wieder anmahnt, ist die Reform des Justizsystems …

In der Tat, das bulgarische Rechtssystem ist zurzeit nicht funktionsfähig. Es wird also um die Frage gehen, was tut man gegen die Kriminalität? Und dabei geht es nicht nur um die organisierte Kriminalität. Auch Delikte wie Diebstahl werden zunehmend zu einem Problem. Kritisch ist zudem, dass die Arbeitslosenquote in den Gebieten der Roma-Minderheiten sehr hoch ist. Als ein Resultat daraus steigt dort auch die Kriminalitätsrate. Und wenn diese Entwicklung nur unter ethnischen Gesichtspunkten betrachtet wird, kann auch dies enorme Schwierigkeiten bringen in der Zukunft.

Ein Indiz ist das gute Abschneiden der nationalistischen Ataka-Partei bei der Wahl…

Ein Zeichen dafür, dass sich das politische System unseres Landes in einer Krise befindet. Mit Ataka war zum ersten Mal eine populistische Partei ziemlich erfolgreich. Diese Partei hat nur polarisiert: Die Bürger stehen auf der einen Seite, die politische Elite auf der anderen. Die vielen nicht eingelösten Versprechen der vergangenen Jahre haben eine große Politikverdrossenheit entstehen lassen. Daher muss die Regierung versuchen, die Leute davon zu überzeugen, dass die Opfer nicht umsonst waren und dass die eingeschlagenen Wege funktionieren.

Was erwarten die Bulgaren?

Es geht um weitere Verbesserungen des alltäglichen Lebens. Wir hatten in den vergangenen sieben Jahren ein jährliches Wirtschaftswachstum von fünf Prozent. Gleichzeitig sind die Leute zufriedener geworden. Eine der größten Herausforderungen für die Regierung wird sein, an die wirtschaftlichen Erfolge ihrer beiden Vorgängerregierungen anzuschließen.

Wäre es nicht vielleicht sogar positiv, wenn Brüssel von der Sicherheitsklausel im Beitrittsvertrag Gebrauch macht, und den Beitritt um ein Jahr verschiebt?

Nein. Zwar könnten in einem weiteren Jahr manche Dinge leichter verbessert werden, denn der Einfluss der EU ist viel größer wenn ein Land Kandidat für den Beitritt und eben noch nicht Mitglied ist. Aber eine Verschiebung wäre ein psychologischer Tiefschlag und würde neue Unsicherheiten erzeugen. Ein Nein könnte die positive Einstellung der Bulgaren zur EU total ändern und antieuropäische Gefühle legitimieren, die die EU sicher nicht haben möchte. Und dies gilt meiner Meinung nach genauso für Rumänien.

Die Fragen stellte Sven Lemkemeyer.

Ivan Krastev (40) ist Direktor des Centre for Liberal Studies, eines politischen Think Tanks in Bulgariens Hauptstadt Sofia. Zudem ist er Direktor der Internationalen Balkankommission.

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