zum Hauptinhalt
Ein Volk unter Waffen.

© REUTERS

Neuanfang in Libyen: Frieden schaffen trotz vieler Waffen

Noch haben die Aufständischen die Gaddafi-Truppen nicht geschlagen. Doch schon jetzt stellt sich die Frage, wie man die Rebellen demobilisiert.

Berlin - Der Krieg in Libyen ist noch nicht vorbei. Mit weiteren Luftangriffen auf die letzten Hochburgen Gaddafis will das Militärbündnis die Entscheidung nun erzwingen. Die Vertreter des Nationalen Übergangsrats und die internationale Gemeinschaft planen aber bereits die Zeit nach Gaddafi. Freie Wahlen und Demokratie lauten die Ziele. Ohne Entwaffnung des Großteils der Rebellen ist das nicht möglich, sagt Thorsten Gromes von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung. Die entscheidende Frage sei, wie die Truppen demobilisiert werden. „Es wäre extrem riskant, das von heute auf morgen zu machen“, sagt der Experte für Demokratisierungsprozesse in Nachkriegsgesellschaften. Das sei die Lektion aus dem Irakkrieg. Dort wurden im Jahr 2003 die Strukturen des Baath-Regimes sofort aufgelöst, das Land versank in der Folge im Chaos.

Die schlechteste Variante ist nach Ansicht Gromes das Beispiel Somalia. Seit etwa 20 Jahren herrscht in dem Land im Osten Afrikas Bürgerkrieg. „Es besteht die Gefahr, dass sich die Milizen in Libyen ähnlich wie in Somalia verselbständigen. Sie könnten versuchen, politische Forderungen mit Waffengewalt durchzusetzen.“ Sie dürften aber keinesfalls die Herren über Leben und Tod werden. Das müsse auch die internationale Gemeinschaft verhindern, sagt Gromes.

Einem Nato-Bericht zufolge liegt die statistische Gefahr für ein solches Szenario bei 44 Prozent. In dem Bericht, der am Mittwoch veröffentlicht wurde, wird die derzeitige Sicherheitslage in dem nordafrikanischen Staat analysiert. Demnach möchte das Militärbündnis, dass in Libyen tragfähige Sicherheitsstrukturen aufgebaut werden. Armee und Polizei seien notwendig, um das Sicherheitsvakuum zu füllen. Das werde aber letztlich wohl Jahre dauern.

Auch für Gromes sind neue Institutionen entscheidend für die Zukunft des Landes. Ein erheblicher Teil der Rebellen müsse aber aus dem bewaffneten Dienst wieder ausscheiden und ins Zivilleben zurückkehren. Wenn es sich bei diesen „Freizeitkriegern“ um Leute handele, die durch den Krieg den sozialen Aufstieg geschafft haben, müsse man ihnen Anreize schaffen. „Eine Möglichkeit besteht darin, die Milizen zwar zu entwaffnen, aber als Truppe zunächst beisammen zu lassen und auch zu bezahlen.“ So könnte für sie eine Perspektive geschaffen werden. Prinzipiell gelte aber: „Je länger die Leute in den Miliz-Strukturen bleiben, desto schwieriger wird es, sie wieder ins normale Leben zurückzubringen.“ Eine Entwaffnung setze aber voraus, dass die Kampfhandlungen wirklich beendet sind, was noch nicht der Fall ist.

Die Nato geht insgesamt von 17 000 Soldaten aufseiten der Rebellen aus. Davon seien etwa 1 000 Mann vom Gaddafi-Regime zu den Rebellen übergelaufen. Der Rest seien Freiwillige, die sich im Lauf der Zeit den Aufständischen angeschlossen hätten. Andere Konflikte dieser Art hätten aber gezeigt, dass die Aufständischen oft selbst nicht wissen, wie ihre genaue Truppenzahl lautet, erklärt Gromes.

Unter Gaddafi gehörten 51 000 Libyer zu den Streitkräften, darunter 25 000 zur Armee, 8 000 zur Marine und 18 000 zur Luftwaffe. „Tatsächlich waren die bewaffneten Einheiten Libyens aber in einem schlechten Zustand, bevor der Aufstand begann“, heißt es in dem Nato-Bericht. De facto habe der frühere Machthaber nur über 20 000 Soldaten verfügt, also etwas mehr als ein Drittel der offiziellen Zahlen. Gromes mahnt, dass auch die alten Regimekräfte eingebunden werden müssten, anders als damals im Irak. „Sonst gehen die in den Untergrund und kämpfen gegen eine neue Regierung.“ Das gelte aber nicht für ausländische Söldner, die das Land wahrscheinlich verlassen müssten.

Aus Nato-Sicht sind knapp 86 000 Soldaten nötig, um Sicherheit in Libyen zu gewährleisten. Selbst wenn alle Truppen des Gaddafi-Regimes in der Armee verblieben, wären es immer noch zu wenige. Für die Nato ist das ein Grund, ausländische Streitkräfte nach Libyen zu schicken. Für Gromes hängt eine solche Einmischung davon ab, ob „die Parteien vor Ort das überhaupt wollen“. Heikel werde es dann, wenn man gegen den Willen der Libyer handeln würde. Wenn es zu Kämpfen zwischen den Stämmen käme, könnte eine Friedenstruppe aber schon helfen. „Einzelne Gruppen könnten sich entschließen, jene Gebiete kontrollieren zu wollen, die reich an Öl sind.“ Um das zu verhindern, müsse der Übergangsrat versuchen, möglichst viele Gruppen in den Friedensprozess einzubeziehen und den breiten Konsens suchen.

Trotz der Gefahren gibt es auch Grund zur Hoffnung. „Die Ölreserven garantieren Libyen einen gewissen Reichtum“, sagt Gromes. Das Pro-Kopf-Einkommen sei deutlich höher als in anderen Ländern, davon könne die normale Bevölkerung profitieren „Die Chance auf einen positiven Ausgang sollte bei allen Risiken nicht allzu gering geschätzt werden.“

Zur Startseite