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Nach dem Gebet in die verbale Offensive: Ministerpräsident Erdogan sagt der PKK erneut den Kampf an.

© dpa

Türkei: Neue Eskalation im Kurdenkonflikt

Nach dem Tod von zwölf türkischen Soldaten bei Angriffen von PKK-Rebellen steht die Türkei vor einer neuen Eskalation des Kurdenkonflikts. Türkische Presse spekuliert über Unterstützung Israels für die PKK.

Die Türkei steht unter Schock. „Unser Schmerz ist groß, unsere Trauer reicht bis zum Gipfel der Berge,“ sagte Recep Tayyip Erdogan. Der türkische Ministerpräsident stand am Sonntag im osttürkischen Van vor elf Särgen, die mit der Landesfahne geschmückt waren. Elf Soldaten waren von den PKK-Rebellen bei einem nächtlichen Angriff getötet worden. Einige Minister, die mit Erdogan aus Ankara zur Trauerfeier gekommen waren, brachen in Tränen aus. „Wir werden nicht aufgeben, sie werden nicht gewinnen“, sagte Erdogan. „Sie werden in ihrem eigenen Blut ertrinken.“ Es wird also noch mehr Tote geben. Nach einem der schwersten Schläge der PKK gegen die Armee seit Jahren schwindet die Hoffnung auf eine friedliche Lösung des Kurdenkonflikts.

In der Nacht zum Samstag waren PKK-Kämpfer aus dem Nordirak in die Region südlich der Stadt Semdinli in der Nähe der türkischen Grenzen zum Irak und zum Iran eingesickert. Gegen zwei Uhr morgens Ortszeit eröffneten sie das Feuer auf Stellungen der Armee. Acht Soldaten starben auf der Stelle, einer später im Krankenhaus. Als die türkischen Truppen die Verfolgung der Angreifer aufnahmen, zündeten die Rebellen eine im Straßengraben versteckte Bombe und töteten weitere zwei Soldaten.

Türkische Kampfjets bombardierten darauf vermutete PKK-Stellungen im Norden Iraks, die Armee meldete den Tod von mindestens 12 PKK-Kämpfern. Doch das konnte niemanden über die eigentliche Bedeutung des Rebellenangriffs hinwegtäuschen: Auch mehr als ein Vierteljahrhundert nach Beginn der Kämpfe zwischen der PKK und der türkischen Armee im Jahr 1984 hat die Türkei kein Rezept gegen die Rebellen.

Nun schlägt die Stunde der Hardliner. Die Nationalisten im Parlament von Ankara fordern bereits die Wiedereinführung des Ausnahmezustands im Kurdengebiet – als ob die PKK nicht gerade in den Zeiten des Kriegsrechts in den 1990er Jahren ganz besonders stark gewesen wäre. Auch Erdogan selbst will offenbar auf militärische Härte setzen, zumindest legte dies seine Rede bei der Trauerfeier in Van nahe. Zusammen mit Generalstabschef Ilker Basbug und seinen Ministern besuchte Erdogan per Hubschrauber das Kampfgebiet.

Auch die kurdische Seite gießt Öl ins Feuer. Ein PKK-Sprecher im Nordirak drohte im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP damit, den Krieg in die türkischen Städte zu tragen. Die PKK-Unterorganisation TAK hatte bereits Anschläge in Urlaubsgebieten angekündigt.

Mit der neuen Gewaltwelle will die PKK nicht nur ihre Stärke demonstrieren, sondern Ankara auch dazu zwingen, ihren inhaftierten Chef Abdullah Öcalan als Gesprächspartner zu akzeptieren, was für Ankara nicht in Frage kommt. Bisher glaubte Erdogan, die PKK mit Hilfe politischer Reformen zugunsten der Kurden schwächen und schließlich in die Bedeutungslosigkeit drängen zu können. Sein Programm mit dem Titel „Demokratische Öffnung“ beinhaltet unter anderem eine Ausweitung der Sprachfreiheit für die Kurden.

Doch die „Öffnung“ konnte sich nie richtig entfalten. Erdogan trat angesichts massiver Kritik der Nationalisten bei den Reformen auf die Bremse – und die Kurdenpartei BDP verweigerte sich als politische Vertretung der Kurden den Gesprächen mit der Regierung, weil sie ebenfalls Öcalan als eigentlichen Kurdenchef ins Spiel bringen wollte.

Nun, nach fast 50 toten Soldaten und Polizisten bei PKK-Angriffen seit Mitte April, steht Erdogan vor einem Scherbenhaufen. Zwar betonte der Premier, er bleibe bei der „Öffnung“. Doch viele Beobachter sind sicher, dass es aus ist mit der Initiative, weil sie die Gewalt nicht stoppen konnte. „Der Ministerpräsident begann seine Initiative mit dem Vorsatz, dass die Mütter nicht mehr weinen sollten“, schrieb der „Hürriyet“-Kolumnist Cüneyt Ülsever. „Jetzt weinen sie noch mehr als vorher.“

Wie die PKK es schafft, trotz der mittlerweile engen geheimdienstlichen Zusammenarbeit von Türkei, USA und Irak immer wieder wie aus dem Nichts aufzutauchen und zuzuschlagen, weiß in Ankara niemand so recht. In ihrer Hilfslosigkeit stürzen sich manche in Verschwörungstheorien.

Erdogan selbst sprach von „Kräften, die die PKK gegen die Türkei benutzen“. Wen er damit meinte, sagte er nicht, doch in der Presse machen wilde Spekulationen die Runde, die PKK werde von Israel unterstützt. Schließlich habe Israel wegen des Streits um den Angriff auf die Gaza-Schiffe noch ein Hühnchen mit der Türkei zu rupfen. Manche Nationalisten betrachten Kurden und Juden ohnehin als gefährlichen Doppelfeind – sie finden derzeit mehr Gehör als besonnene Stimmen, die den Türken raten, im Land selbst nach den Gründen für den Kurdenkonflikt zu suchen.

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