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Politik: Neue Farbe für alte Häuser

Im Jahr 2005 wird in der arabischen Welt so oft gewählt wie noch nie – doch an Korruption und Machtmissbrauch ändert das wenig

Im chinesischen Kalender hat gerade das Jahr des „Grünen Huhns“ begonnen. In der arabischen Welt könnte das Jahr 2005 das „Jahr der Wahlen“ getauft werden. Noch nie hat es eine so rasante Folge von Wahlen in der größtenteils von autoritären Regimen beherrschten Region gegeben. Den Auftakt machten die Palästinenser mit ihrer Präsidentenwahl und weiteren Durchgängen der Kommunalwahlen. Im Juli sind Parlamentswahlen geplant. Am 30. Januar gingen in Irak die ersten Parlamentswahlen seit dem Sturz der Diktatur über die Bühne. Die Saudi- Araber, die in einer absoluten Monarchie leben, hatten letzte Woche zum ersten Mal seit 30 Jahren Kommunalwahlen. Im Mai wählen die Libanesen ein neues Parlament. Und die Ägypter wählen im Herbst einen neuen oder wieder den alten Präsidenten und anschließend ein neues Parlament. Doch viele Kritiker in der Region sind skeptisch, dass der Wahlreigen etwas verändern wird. Denn bei vielen Wahlen geht es nicht um eine Neuverteilung der Macht oder die Kontrolle der Staatskasse. Am meisten fortgeschritten ist die demokratische Entwicklung in den Palästinensergebieten. Dort gibt es eine starke Zivilgesellschaft, die Reformen der Institutionen haben bereits begonnen. Bei den Präsidentschaftswahlen gab es eine wirkliche Auswahl von Kandidaten mit unterschiedlichen Programmen.

In Ägypten dagegen darf die Bevölkerung nur über einen Kandidaten abstimmen, den ihnen die Parlamentsmehrheit präsentiert. Das könnte zum fünften Mal Hosni Mubarak sein, dessen Partei das Parlament beherrscht. Zwar wurden im Herbst erstmals seit vielen Jahren zwei neue Parteien zugelassen, aber der Vorsitzende der „Al-Ghad“-Partei, Ayman Nur, wurde im Januar festgenommen und sitzt zunächst für 45 Tage im Gefängnis. Eine von liberalen Gruppen geforderte Verfassungsänderung, welche die Aufstellung mehrerer Kandidaten für die Präsidentschaftswahl ermöglichen und die Anzahl der Amtszeiten beschränken soll, lehnt das Regime ab. Neue Gesetze schränken die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen erheblich ein und unterwerfen sie strikter staatlicher Kontrolle. Den islamistischen Gruppen, die der Gewalt abgeschworen haben, wird eine Beteiligung am politischen Leben versagt. Politische Liberalisierung steht in Ägypten ausdrücklich nicht auf der Agenda, man konzentriert sich auf Wirtschaftsreformen.

Die politische Freiheit in Libanon ist durch die Vormachtstellung des Nachbarlandes Syrien eingeschränkt. Erst im Herbst hatte Damaskus unter internationalen Protesten eine Verfassungsänderung durchgesetzt, um das Mandat des ihnen geneigten Präsidenten Lahud zu verlängern.

Mit Ausnahme von Palästina und Irak finden die Wahlen also entweder ohne Wettbewerb statt oder ändern nichts an den bestehenden Machtverhältnissen. Die weit verbreitete Korruption führt zu parallelen Machtzentren, die oft mächtiger sind als die politischen. Der liberale islamistische Autor Fahmi Howeidi bezeichnet die Wahlen in Ägypten und Saudi-Arabien als „Neuanstrich des Hauses“ und als „Seifenoper“, die als Antwort auf amerikanischen Druck inszeniert wird. „Es gibt keinen politischen Kampf.“

Auch die saudische Analystin Mai Yamani vom Royal Institute for International Affairs in London sieht in den Wahlen keine „Bedeutung“, solange sie nicht von Reformwillen getragen werden und zu einer Beschränkung der Macht der herrschenden Eliten führen können. Der Kolumnist der ägyptischen Tageszeitung „Al-Ahram“, Saleh Eddin Hafez, hat keinen Zweifel: „Demokratie in der arabischen Welt kann nicht durch Wahlen verwirklicht werden.“

Wichtiger als Wahlen, wenn sie nichts an den bestehenden Machtverhältnissen ändern können, sind in der Tat größere Pressefreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Sie sind die Voraussetzungen für eine Demokratisierung der Gesellschaften. Auch hier stehen die Palästinenser an der Spitze. Und damit verliert das gern vorgeschobene Argument, dass politische Reformen undenkbar sind, solange der Nahostkonflikt nicht gelöst ist, in der Region an Gewicht. Wenn Palästina und Irak neue Wege aufzeigen, wie man Minderheiten einbindet und mit dem innenpolitischen Gegner umgeht, könnte das langfristig Auswirkungen auf die gesamte Region haben. So könnte das Superwahljahr 2005 doch noch als Meilenstein in die Geschichtsbücher eingehen.

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