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Politik: Neue Kraft

Nordrhein-Westfalen-SPD wechselt Führungsspitze – Arbeit, Soziales und Bildung im Mittelpunkt

Ganz am Anfang ist die Stimme noch brüchig. Als Hannelore Kraft ihre Rede etwas umständlich beginnt und freimütig zugibt, „ich bin mir der Größe der Aufgabe bewusst“, macht sie an der einen oder anderen Stelle kleinere Kunstpausen, um Luft zu holen. Sie wirkt nervös. Bevor andere später darüber sprechen, fügt sie an, dass sie nicht in ihrer Jugend – wie die meisten anderen im Saal – bei den Falken sozialisiert wurde, sondern erst vor zwölf Jahren den Weg in die SPD gefunden hat.

Nur wenige Minuten später beweist sie allerdings, dass bei ihr diese zwölf Jahre gereicht haben, um zu verstehen, wie man sich im Kreise der einfachen Mitglieder bewegt und Delegierte auf Parteitagen gewinnt. Als sie über die Tradition der Partei spricht, macht sie plötzlich eine weitere Kunstpause, dieses Mal aber nicht um Luft zu holen, sondern um einen Mann zu ehren, der in der ersten Reihe unter den Gästen dieses SPD-Parteitages Platz genommen hat: Peter Wolf. Zum ersten Mal hebt sie den Kopf von ihrem Manuskript und erzählt den Genossinnen und Genossen davon, dass sie den 96-Jährigen vor wenigen Tagen in Essen besucht und ihm das Abzeichen für 80-jährige Mitgliedschaft in der Sozialdemokratischen Partei an die Brust geheftet hat. „Da spürt man Demut und Ehrfurcht“, fährt sie fort, „und ich werde auf diese Grundwerte unserer Partei aufpassen.“ Das wärmt das Herz der Menschen im Saal – 400 Sozialdemokraten, die ihr dafür mit frenetischem Beifall danken.

Nicht zuletzt dieser Beifall beweist, wie sehr die Genossinnen und Genossen danach dürsten, jemandem zuzuhören, der ihr Sprache spricht und ihnen das Gefühl gibt, trotz der Wahlniederlage am 22. Mai 2005 noch mit aufrechtem Kopf durch das Land laufen zu können. Als sie davon sprach, wie groß ihre Aufgabe ist, weiß jeder in der Bochumer Jahrhunderthalle, was sie meint: die Partei leidet unter einem dramatischen Mitgliederschwund, ihr Spitzenpersonal ist im Lande weitgehend unbekannt, und es fällt den Genossen noch immer schwer, den Spagat zwischen Agenda-Realität und sozialem Anspruch der Basis zu erfüllen.

Guntram Schneider, der DGB-Chef in NRW, hatte das in seinem Grußwort angesprochen. „Verloren gegangenes Vertrauen kann man nur mit einer inhaltlich richtigen Politik zurückgewinnen“, rief er den Delegierten zu und ließ keinen Zweifel, was das für ihn bedeutet: Die SPD müsse Arbeit, Soziales und Bildung in den Mittelpunkt stellen.

Hannelore Kraft wird ihm wenig später zeigen, dass sie die Botschaft verstanden hat. Jürgen Rüttgers, an dem sie sich in den zurückliegenden Monaten häufiger abgearbeitet hat, kommt dabei nur eine Randrolle zu. „Rüttgers ist ein Sozialschauspieler.“ Sie sagt, „die Forderung nach Mindestlöhnen ist richtig“, und „wir brauchen für gute Arbeit gutes Geld“. Sie kritisiert die Auswüchse der Globalisierung, verlangt dass sie „gerecht gestaltet“ werde und plädiert für klare Ansagen der SPD in der Bildung: „Vom Kindergarten bis zur Hochschule muss das Schritt für Schritt gebührenfrei werden“. Am Ende danken ihr die Delegierten für diese Rede mit 410 Ja-Stimmen bei der Wahl zur Landesvorsitzenden, was 95,6 Prozent entspricht.

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