zum Hauptinhalt

Politik: Neue Offenheit

Salomon Korn ist neuer Vizepräsident des Zentralrats der Juden

Leise Stimmen zwingen zum Zuhören. Nicht, dass er dazu zwänge; man macht es schon selbst, aus freien Stücken, weil er manches unerhört Kluge sagt. Ein Intellektueller – und noch dazu einer, der, bis er 16 war, gar nicht so richtig Deutsch konnte. Heute schreibt er Essays in einer Weise, dass Großfeuilletonisten ihn mit Beachtung und Geleitwörtern adeln: Salomon Korn, der neue Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Polnisch und jiddisch haben sie damals gesprochen; damals, als die Familie aus dem Auffanglager heraus war und in Frankfurt – nein, nicht heimisch wurde. Das kam später. Erst wollten sie, die aus Polen kamen, weiter in die USA. Aber wie es so kommt im Leben, manchmal, diesmal: Der Vater arbeitet erfolgreich als Immobilienkaufmann, zur Gewöhnung kommen Freunde – und dann wird aus dem Wohnort der Heimatort. Heute sagt Salomon Korn: Ich vermisse Frankfurt, wenn ich längere Zeit weg bin.

Ist das ein Lebensweg. Korn, 1943 in Lublin in einem Versteck im Getto geboren, studiert Architektur mit Nebenfach Soziologie in Berlin und Darmstadt, hört in Frankfurt Adorno, promoviert über die Reform des Strafvollzugs. Er baut das Jüdische Gemeindezentrum in Frankfurt, ein viel gelobtes Gebäude, das 1986 fertig wird – und sagt danach zweierlei: dass er sich „nicht mehr im Transit“ in Deutschland aufhält; und dass er als Architekt aus seiner Sicht das beste geleistet hat. Seither ist Korn Baumeister nur noch mit Worten. Im Frankfurter Westend verwaltet er Häuser und Wohnungen, das Erbe seines Vaters; und er schreibt. Oder pflegt das Nachdenken, die Analyse, das differenzierte Reden. Über sich sagt er, dass er ein jüdischer Traditionalist, aber liberaler Mensch sei. Andere sagen über ihn, er sei „unaufgeregt“. Der das sagt, muss es wissen: Marcel Reich-Ranicki. Sie kennen sich aus Frankfurt. Korn leitet dort seit 1999 die Jüdische Gemeinde, er folgt Ignatz Bubis. Er hätte längst den Zentralrat führen können, nach dem Tod von Bubis. Aber er wollte nicht, und auch das gehört zu einer unaufgeregten Sicht: dass Ämter nicht den Menschen ausmachen. Dass keiner die Öffentlichkeit suchen muss, um zu wirken, wenn ihn seine Ideen tragen. Dass Glamour kein Glanz ist. Und in Frankfurt, da kann Korn leben, wie er es sich vorstellt, „ohne Außendruck, anders zu sein“.

60 Jahre ist er am 4. Juni geworden, und Michel Friedman hat eine „glühende Lobrede“ auf Salomon Korn gehalten; so jedenfalls ist die Rede aufgefasst worden. Friedman bewundert Korn, der so anders ist, nicht nur als Friedman. Einer, der Wurzeln schlägt. Seit Jahrzehnten ist er verheiratet; seine Frau hat Psychologie studiert. Einer, der sich gerne „von der Zeit umspülen“ lässt, für den Denken und Lyrik und Reisen und Muße Hobbys sind. Der sich durch Lebenskrisen hindurchgedacht hat. Der ein „Minimum an Anonymität“ bewahren möchte als „Frage der Lebensqualität“. Einer, der Distanz schafft – und sie zu sich selber hält.

Nun ist Korn einer der Zweiten im Zentralrat, und die Anonymität wird eine Frage der Gelegenheit. Er wird sich weiter Zeit nehmen für seine Familie, seine drei Kinder seine wissenschaftlichen und publizistischen Interessen. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel hat er 1999 gesagt: „Ich möchte im Dialog und in der Zusammenarbeit zwischen Juden und Nichtjuden in Deutschland beitragen zu einer neuen Offenheit, auch im Bewusstsein der Traumata, die sich wohl erst in drei, vier Generationen verflüchtigen werden. Keine neue Dreistigkeit, sondern eine neue Offenheit, die das Trennende auch als das möglicherweise Verbindende erkennt.“ Das sind gewählte Sätze, wohl durchdacht, die auch heute aktuell sind. Das ist: Salomon Korn.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false