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Politik: Neue Regierbarkeit?

Evo Morales regiert seit einem Jahr Bolivien – noch immer scheiden sich die Geister an dem Indio

Von Michael Schmidt

Berlin - Für Evo Morales geht es ums große Ganze. Boliviens erster Indio-Präsident will nicht nur manches anders und vieles besser machen – nein: Der frühere Kokabauer und Gewerkschaftsführer hat sich nach seiner Wahl zum Präsidenten vor einem Jahr nicht mehr und nicht weniger als die Neugründung des Andenstaates „nach 500 Jahren der Ausbeutung und Unterdrückung“ auf die Fahnen geschrieben. Ein kühnes Unterfangen, in einem Land, das ökonomisch und ethnisch so zerrissen wie regional und kulturell gespalten ist und trotz seines Ressourcenreichtums zu den ärmsten des Halbkontinents gehört. Die Bilanz nach zwölf Monaten im Amt fällt naturgemäß zwiespältig aus.

An den Problemen und Konflikten scheint sich wenig geändert zu haben. Noch immer lebt mehr als jeder zweite der rund neun Millionen Bolivianer unterhalb der Armutsgrenze. Noch immer bleibt das Wirtschaftswachstum mit geschätzten 3,3 Prozent im Jahr 2006 hinter den Wachstumsraten der 90er Jahre und dem zurück, was nötig wäre, um das Land nach vorne zu bringen. Und noch immer prägen Massendemonstrationen, gewalttätige Auseinandersetzungen und Straßenblockaden das Bild des Andenstaates im Ausland. Es wächst die Furcht vor einem Bürgerkrieg zwischen dem nach Autonomie strebenden reichen Tiefland der weißen Großgrundbesitzer und Unternehmer und dem armen, mehrheitlich von Indios belebten Hochland. Aber es lebt, sagt Jonas Wolff von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung, die Hoffnung auf eine andere Art der Konfliktaustragung, Bolivien befinde sich, nach Jahren einer schweren politischen und sozialen Krise unter Morales, wenn es gut laufe, „auf dem Weg zu einer neuen Regierbarkeit“.

Sehr schnell sei der Indio-Präsident angegangen, was er im Wahlkampf versprochen habe: Die Wahl einer verfassunggebenden Versammlung, die binnen eines Jahres dem Land ein neues soziales und rechtliches Fundament geben soll, vor allem den bisher ausgeschlossenen Indios mehr Mitspracherechte. Die Verstaatlichung der Rohstoffreserven und die Neuverhandlung der Verträge mit den multinationalen Gasunternehmen zugunsten des bolivianischen Staates. Und die Pläne zu einer Landreform, wonach nicht produktiv genutzte Ländereien von Großgrundbesitzern landlosen Indios übertragen werden sollen. Das meiste, sagt Wolff, komme gut an. Die aktuellen Zustimmungsraten für Morales lägen noch über den 54 Prozent, die er bei seiner Wahl errang. „Aber natürlich ist das ein ausgesprochen konfliktträchtiger Prozess“, sagt Wolff.

Die verfassunggebende Versammlung habe sich im Streit über Verfahrensregeln verhakt und noch keinen einzigen inhaltlichen Punkt diskutiert, stellt Fernando Mires, Politikwissenschaftler der Universität Oldenburg, nüchtern fest. Der reiche Osten drohe mit Abspaltung. Die Regierung stütze sich auf „sehr heterogene soziale Bewegungen“ – und weder der indianisch geprägte noch der gewerkschaftlich ausgerichtete Flügel der Basis sei mit dem bisher Erreichten zufrieden. Mires treibt vor allem eine Sorge um: Ihm fehle ein klares Bekenntnis Morales’ zur Demokratie, sagt der Lateinamerikaexperte. Morales argumentiere vielmehr mal sozialistisch, mal nationalistisch, mal indianisch-messianisch, mal bolivarisch: „Mit einer solchen Mischung“, sagt Mires, „kann man aber keine demokratische Politik machen“.

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