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Neue Studie des UN-Hilfswerks Unicef: Flüchtlingskinder in Deutschland massiv benachteiligt

Eine neue Studie des UN-Kinderhilfswerks Unicef kritisiert den deutschen Umgang mit Flüchtlingskindern scharf. Sie müssten monatelang auf Kita- und Schulplätze warten und lebten unter schlechten Bedingungen. Deutsche Behörden verstießen damit gegen die UN-Kinderrechtskonvention.

Flüchtlingskinder werden in Deutschland laut einer Studie des UN-Kinderhilfswerks Unicef gegenüber ihren deutschen Altersgenossen oft massiv benachteiligt. Die am Dienstag in Berlin vorgestellte Untersuchung „In erster Linie Kinder“ beleuchtet umfassend die Situation der Kinder, die mit ihren Familien in Deutschland Zuflucht suchen. Viele Flüchtlingskinder müssen laut der Studie monatelang auf einen Kita- oder Schulplatz warten, es gebe kaum Freizeitangebote für sie, sie würden nur in Notfällen medizinisch versorgt und lebten mit ihren Familien häufig jahrelang in Gemeinschaftsunterkünften ohne Privatsphäre.

Das Handeln der Behörden widerspreche häufig den Prinzipien der UN-Kinderrechtskonvention, sagte Unicef-Deutschland-Vorstand Anne Lütkes. So würden nach deutschem Asylrecht Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren bereits als Erwachsene behandelt. Laut der auch von Deutschland ratifizierten UN-Kinderrechtskonvention gelten Jugendliche bis 18 Jahren aber als Kinder und seien auch dementsprechend zu behandeln. Die Kinderrechtskonvention garantiert seit 1989 jedem Kind die gleichen Rechte – egal, aus welchem Land es kommt oder wo es sich aktuell aufhält. Auch im deutschen Jungendhilferecht sei nach Auffassung der Autoren der Studie die Gleichberechtigung rechtlich vorgesehen und gewollt - die Benachteiligung der Flüchtlingskinder ist daher laut Unicef nicht haltbar.

Unicef stellt in seinem Bericht fest, die soziale Benachteiligung von Flüchtlingen in Deutschland wirke sich besonders stark auf die Kinder aus: Die Unterbringung in isolierenden Gemeinschaftsunterkünften, der eingeschränkte Zugang zu Freizeitmöglichkeiten, die Angst vor Rückführungen, die Nachteile bei der Schulwahl und der eingeschränkte Zugang zur Krankenversorgung belasteten die Entwicklung dieser Kinder stark und prägten ihren Alltag.

Laut Studie erfahren Flüchtlingskinder im Asylverfahren nur geringe Aufmerksamkeit. "Entweder werden sie von Seiten der zuständigen Behörde, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, nicht angehört oder ihre Eltern beteiligen sie nicht am Verfahren", heißt es im Bericht. Dabei gebe es eine Vielzahl von Fluchtgründen, die vor allem Kinder beträfen, wie die Angst vor Zwangsverheiratung, Sippenhaft, Zwangsrekutierung als Kindersoldaten, Beschneidung, Kinderhandel, Kinderprostitution. Die Autoren der Studie kommen zu dem Schluss, dass diese Fluchtgründe bislang nur rudimentär und keinesfalls ausreichend beachtet würden. Studien, die sich mit der Rolle der Flüchtlingskinder im Asylverfahren auseinandersetzten, seien nicht bekannt.

In Deutschland leben nach Unicef-Schätzungen rund 65 000 Kinder mit unsicherem Aufenthaltsstatus. Etwa 36 300 Flüchtlingskinder kamen 2013 mit ihrer Familie nach Deutschland. Etwa 33 Prozent aller Asylantragsteller in Deutschland waren 2013 minderjährig. Eine Aufschlüsselung aus dem Jahr 2012 zeigt, dass 45 Prozent von ihnen zwischen null und fünf Jahre, rund 25 Prozent zwischen fünf und zehn Jahre und 22,47 Prozent zwischen zehn und 16 Jahre alt waren. Jugendliche zwischen 16 und 18 werden nach deutschem Asylrecht wie Erwachsene behandelt, sie machten 2012 7,28 Prozent der Antragsteller aus.

Für den Bericht wurden schriftliche Quellen zum Thema der Lebenssituation von jungen Flüchtlingen zusammengetragen, analysiert und ausgewertet. Außerdem wurden insgesamt 30 Personen interviewt, die über Expertise im Themengebiet verfügen und zum großen Teil hauptamtlich mit Flüchtlingen arbeiten.

„Kinder bleiben Kinder, auch wenn sie auf der Flucht sind“, sagte Unicef-Chefin Lütkes. „Sie haben ihr Zuhause verloren und brauchen besondere Förderung.“ Mädchen und Jungen, die in Deutschland Zuflucht suchten, erführen aber in allen Lebensbereichen Zurücksetzung. Lütkes sieht deshalb auch einen „unabdingbaren Handlungsbedarf“.

Auch von der Kinderrechtsorganisation Save the Children kommt scharfe Kritik. „In den Flüchtlingscamps sind die Standards für Kinder und ihre Familien oft wesentlich höher als hier“, sagt Weneta Suckow im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Aus Sicht der Referentin für humanitäre Hilfe ist das ein Unding: „Die Mädchen und Jungen, die als Flüchtlingskinder nach Deutschland kommen, haben oft unvorstellbare Grausamkeiten erlebt. Umso wichtiger ist es, ihnen ausreichend Stabilität, Schutz und Förderung zu geben und sie nicht allein zu lassen. Das Kindeswohl muss an erster Stelle stehen - immer und überall.“ Doch das sei eben allzu oft nicht der Fall. „Wenn die Klärung des Aufenthaltsstatus einer Familie ein Jahr dauert, ist das ein Drittel der Lebenszeit eines dreijährigen Kindes.“ Viele Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland seien zudem nach wie vor nicht kind- und familiengerecht. Hinzu komme, dass „Verantwortliche in Kitas, Schulen und Kommunen häufig überfordert sind und deshalb dringend Unterstützung und Qualifizierung brauchen“.

mit dpa

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